So könnte ein Yachtausflug im 22. Jahrhundert aussehen: Per App kommandiere ich mein Boot an die Seebrücke. Naht die Yacht, springe ich an Bord und fläze mich in einen Deckchair, während die Elektronik von selbst zum vorgewählten Ausflugsziel navigiert. Zurück im Hafen parkt sie auch selbstständig ein. Nur den Befehl zum Abschalten der Systeme muss ich noch selbst geben.
Sieht so Skippers Traum aus? Jedenfalls würde derart autonomes Yachting ein Höchstmaß an Komfort und Sicherheit darstellen. Allerdings ist das noch Utopie – nicht anders als autonomes Fahren auf der Straße. Doch die Boots-Industrie hat den Wettlauf dorthin bereits eröffnet. Raymarine, Volvo Penta und Garmin arbeiten an digitalen Steuerleuten, die dem menschlichen Bordpersonal mehr oder weniger gründlich die Leinen aus der Hand nehmen.
Jetzt haben sowohl die Einparkhilfe von Volvo Penta als auch das 360-Grad-Rundum-Kamerasystem von Garmin den DAME Award 2021 gewonnnen, den wichtigsten Preis für Ausrüster in der maritimen Industrie.
Viele Hobbyskipper haben nur wenige Wochenenden im Jahr Zeit, ihr maritimes Domizil zu bewegen. Mangelt es an Fahrpraxis, wächst die Gefahr, teuren Bruch zu produzieren. Für diese Kundschaft sind derlei Hightech-Gadgets hoch attraktiv.
Der US-Spezialist für Bootselektronik Raymarine stellt jetzt ein neues System vor, das bereits mit dem Einpark-Assistenten im Auto vergleichbar ist. Es kann zwar noch nicht auf eigene Faust in die Box zirkeln. Doch Docksense Control überwacht den Einpark-Vorgang gewissenhaft – und greift sogar ins Ruder, wenn die Gefahr einer Kollision besteht.
Der Konkurrenz voraus
Mit dieser Entwicklung ist der Elektronikausrüster, der zum amerikanischen Flir-Konzern gehört, der wiederum vor kurzem vom Tech-Konzern Teledyne geschluckt wurde, seiner Konkurrenz um einen beachtlichen Schritt voraus.
Zuletzt hatte nämlich Volvo Penta mit seinem Anlege-Butler, dem Assisted Docking System (ADS), von sich reden gemacht: Es koppelt den IPS-Podantrieb und das Bugstrahlruder mit GPS-Navigation. Seit dem Frühjahr bietet der schwedische Hersteller es zum Einbau an.
In dieser Woche ist das System in den USA mit dem IBEX Innovation Award ausgezeichnet worden. Hierfür hatten US-Bootsjournalisten die Innovationen des laufenden Jahres unter die Lupe genommen. BWI-Jurorin Zuzana Prochaska, die auch in der Jury des Best of Boats Awards ist, sagte: „Das System nimmt die Angst vor dem Anlegen und ist so einfach, dass man es vielleicht nur zum Spaß macht.“
Die Kombination von GPS und DPS (dem automatischen Halten der Position) „verlangsamt den Entscheidungsprozess“ und ermögliche es dem Steuermenschen, „seine Entscheidungen in kritischen Momenten“ mit Bedacht zu treffen.

Mit dem System von Volvo Penta lässt sich das Boot auf einer zuvor bestimmten Position auf dem Wasser parken, „virtuelles Anlegen“ nennt der Hersteller das. Damit gewinnt der Skipper Zeit, um zum Bug zu gehen, Leinen klarzulegen, an Land um Hilfe zu bitten.
Oder um sicherheitshalber noch eine zweite Runde zu drehen, bis die Böe sich gelegt hat. ADS verringert somit die Gefahr, durch Strömung, Schwell oder Wind auf ein Hindernis gedrückt zu werden. Doch es warnt nicht vor einer Kollision. Wache gehen bleibt hier Aufgabe des Menschen.
Sechs Kameras als Unterstützung
Aktuell haben die Schweden ihren Anlege-Assistenten noch einmal gehörig aufgerüstet: Das neue Surround Camera View System von Garmin besteht aus sechs Kameras, die eine 360-Grad-Rundumsicht ermöglichen.
Im Cockpit lässt sich beim Anlegen die Kameraperspektive im „Glass Cockpit“, dem Multifunktions-Displaysystem von Volvo Penta einblenden. Es können auch virtuelle Markierungen gesetzt werden, um das Peilen bei Annäherung an Steg oder Nachbarboot zu erleichtern.
Surround Camera View ist für Yachten bis 100 Fuß Größe ausgelegt, und es kann natürlich auch ganz ohne Volvo Penta installiert und betrieben werden. Damit bringe man „jenen Komfort an Bord, der auch im Straßenverkehr bereits bekannt ist“, ordnet Dan Bartel von Garmin das neue System ein. Noch nie sei das Manövrieren auf dem Wasser einfacher gewesen.
Kombination von zwei Systemen
Zurück zu Raymarine: Die stellten ihrerseits bereits vor zwei Jahren den „Docksense Alert“ vor. Dieser sehr exklusive Parkpiepser für Yachten setzt sich aus einer Reihe von Stereokameras und viel elektronischem Hirnschmalz zusammen. Rund um das Schiff wird eine virtuelle Pufferzone kreiert, der „Virtual Bumper“.
Die Hightech-Augen observieren diese maritime Bannmeile permanent, sowohl über wie unter Wasser. Sobald das Boot Gefahr läuft, mit einem festen oder beweglichen Objekt zu kollidieren, schlägt der digitale Bootsmann Alarm und greift notfalls auch ins Steuer oder nimmt Gas weg.

Das neue Produkt von Raymarine kombiniert den Docksense Alert nun mit einer Positions-Überwachung vom Feinsten. Neben den Daten vom GPS fließen bei Docksense Control auch AHRS-Informationen (das steht für „Attitude Heading Reference System“) in die Berechnung mit ein, um auf Einwirkungen von Wind und Wellen zu reagieren. Dabei handelt es sich um eine technische Entwicklung aus der Luftfahrt.
Luftfahrttechnik an Bord der Yacht
Das Fluglagen-Kurs-Referenz-System, so die korrekte Übersetzung für AHRS, kontrolliert bei Flugzeugen drei Dimensionen der Bewegung, nämlich Drehung, Beschleunigung und Stabilität im Verhältnis zur Erdoberfläche. Dafür sind Gyroskope, Beschleunigungsmesser und weitere Sensoren notwendig.

Sie registrieren bei Raymarine jedes noch so kleine Rollen oder Stampfen des Bootskörpers und speisen die Daten ins virtuelle Lagebild ein. Das wiederum bildet dann die Grundlage der Positionsbestimmung. Sobald keine Fahranweisung vom Cockpit mehr kommt, verweilt das Boot stoisch an der aktuellen Position. Höchstens Spritmangel oder ein Orkan können es davon abbringen.
Von selbst ausweichen geht nicht
Die Krönung aber ist die Allianz der IT-Power, die so zu einer aktiven Überwachung wird. Notfalls bleiben Steuer- oder Schubbefehle des Skippers wirkungslos, um das Boot vor dem Kontakt mit Hindernissen zu schützen. Selbst vor einem herannahenden Hindernis ausweichen, etwa durch aktiven Eingriff in Steuerung oder Antriebsanlage, kann Docksense Control zwar noch nicht. Aber wer weiß: Vielleicht arbeitet Raymarine bereits an einer solchen futuristischen Lösung.
Wie bei Volvo Penta verlässt sich auch der Raymarine-Assistent auf eine Joystick-Steuerung. Dabei handelt es sich um das System Aventics Marex 3D des Herstellers Emerson. Es ist nicht allein mit Bugstrahlruder kombinierbar, sondern auch – ein echtes Novum – mit Wellenantrieben.
Per Joystick lässt sich das Boot dabei in jede Richtung manövrieren und gleicht Abdrift durch Wind und Wellen selbstständig aus. „Das Verfahren funktioniert nur bei langsamer Geschwindigkeit, und das Boot wird auch nur schrittweise am Hindernis vorbeimanövrieren“, beschreibt ein Experte des Herstellers auf float-Anfrage.

Als Herz und Hirn der Anlage fungiert ein zentrales Prozessormodul, das den Datenwust in Windeseile sortiert und die entsprechenden Steuerbefehle gibt. Um dem Rudergänger 1a-Rundumsicht zu ermöglichen, beseitigen die Kameras jeden toten Winkel rund um das Schiff. Auf einem Display im Cockpit wird diese 360-Grad-Überwachung übersichtlich dargestellt.
„Es ist ein spannender Schritt nach vorne für Bootsfahrer“, sagt Gregoire Outters, der Chef von Raymarine. Der Preis ist (vorläufig) Verhandlungssache, so das Unternehmen gegenüber float. Fast ein Understatement, möchte man meinen. Welche Schritte plant das kürzlich von Teledyne gekaufte Unternehmen als nächstes in Richtung autonomes Bootsfahren? Es bieibt spannend.