Die seefahrende Menschheit lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: Da sind die einen, die bei etwas über vier Windstärken anfangen darüber nachzudenken, ob sie nicht langsam wieder in den Hafen zurück möchten. Die zweite Gruppe erwägt das auch, macht es aber nicht – weil sie nicht kann. Denn sie ist bei jedem Wetter unterwegs – weil sie muss.
Zu der gehört Cornelius Bockermann, Kapitän des Frachtsegelschiffs Avontuur. Wenn das Wetter so richtig grässlich ist, der Sturm den alten Zweimaster zaust, muss er dennoch Kurs halten. Denn das ist der Auftrag: Die Fracht sicher und möglichst ohne Motor ans Ziel bringen.
Und float kann er unterwegs auch nicht lesen, denn WLAN gibt’s vorläufig nicht auf dem Atlantik. Das Selbstmitleid hält sich bei ihm in Grenzen, denn Bockermann hat sich das alles ausgesucht. Als Gründer des alternativen Frachtunternehmens Timbercoast, das Waren auf traditionelle und klimaschonende Weise transportiert.

Ponyreiten für Kornfässer, was soll die Folklore? Bockermann lacht ein raues Seemannslachen: „Das haben wir schon mit Rum und Rotwein gemacht, der Unterschied im Geschmack ist unglaublich nach der Reise.“
Die Idee dahinter: Das geistige Getränk schwabbelt im Takt der Wellen monatelang in den unbehandelten Eichenfässern hin und her. Und reift dabei auf eine Weise, wie es an Land kaum reproduzierbar wäre. Wohlgemerkt, das ist ein Auftrag, für den Timbercoast sich gut bezahlen lässt. Zum Glück wird der Korn nicht seekrank dabei. Und der Bio-Rotwein auch nicht, den die Avontuur auf ihrem ersten Unterwegs-Hafen lädt: In Douarnenez in der Bretagne kommen französische Barriques an Bord, die sind für ein Koch-Event in der Karibik disponiert.

Angst hat der Kapitän nur an Land
„Oder etwas Ähnliches“, murmelt Bockermann zerstreut. Er ist gerade nicht voll konzentriert, denn im Moment funktioniert die Kompassbeleuchtung nicht, und der Fehler muss noch gefunden werden. Jedenfalls werde er (der Kapitän) mit Sicherheit keinen Edelschimmel oder Schalotten an Bord nehmen, die langen Fahrtzeiten diktieren eben auch die Zusammensetzung des Frachtplans. Alkohol geht immer, leicht Verderbliches ist ausgeschlossen. Die Avontuur bleibt schließlich lange Zeit auf See.

Im Herbst in die berüchtigte Biskaya, hat er da manchmal Angst? „Angst habe ich nur an Land“, antwortet der Kapitän. Das ist kein Hochmut. Denn Bockermann hat sein Leben auf See verbracht, die Biskaya kennt er als platten Teich und als Meerungeheuer. „1983 habe ich die Biskaya bei zwölf Windstärken erlebt, das war schon ziemlich mies.“ Aber nicht wegen des Sturms: Der Alte (seemännischer Ausdruck für den Kapitän) habe angesichts des Wetters den Konsum von Alkohol verboten …
Bockermann wird wieder ernst: „Klar kann man Ärger haben auf See, aber das ist fast immer selbstverschuldet.“ Deswegen gibt es bei ihm keine Angst: Er wisse einfach, wo die Grenzen von ihm und dem Schiff seien. „Und das weiß ich auch, weil ich sie bewusst ausgetestet habe.“ Der Gründer von Timbercoast hat die über 100 Jahre alte Avontuur mit einem Team von Helfern selbst umgebaut, 2016 war das, und ihr auch ein neues Rigg verpasst. Und das musste schließlich auch getestet werden.
Auf günstige Winde ist die Avontuur angewiesen
„Bei sieben Windstärken unter Vollzeug in der Nordsee.“ Man ahnt mit Blick auf den verbeulten Stahlrumpf mit seinen tausend Nietköpfen und Rostflecken, was das bedeutet hat. Bockermann nickt: „Bis uns dann der Außenklüver weggeflogen ist.“ Seitdem wisse er, was das Schiff kann. Und stimmt unumwunden zu, dass Riggschäden regelmäßig auf menschliches Versagen zurückzuführen sind. Der nächste Kraftspruch lässt nicht lange auf sich warten: „Gott schütze uns vor Flauten, mit Wind kommen wir schon klar.“
Bockermann zwinkert, und natürlich meint er auch das nicht ganz so dramatisch. Andererseits stimmt es ja, die Avontuur ist auf günstige Winde zwingend angewiesen. Natürlich könnte sie auch mit dem Motor gegenanknallen, aber das ist eben nicht Sinn der Sache. Den Leuten da drüben auf Land zeigen, dass es geht: alternative Frachtfahrt mit Segelschiffen.

Romantisch und dazu noch nachhaltig. Wobei, wer Bockermann mit Romantik kommt, kriegt sofort ein paar Anekdoten an den Kopf geknallt, dass es einem kalt den Rücken herunterläuft. „Ich neige zum Frieren.“ Warum macht er das alles dann bloß, die Mühen und kalten Füße?
Mit neuem Schiff soll es weitergehen
Weil er muss? Weil er ein Getriebener ist? Weil er nur auf See glücklich ist? Der Hans-Albers-Ragtime passt nicht so recht zu dem raubärtigen Typ mit den klaren Augen und der khakifarbenen Engelbert-Strauß-Arbeitshose. Aber sicher ist was dran an dem Gefühlskram. So wie an der Tatsache, dass Geld reinkommen muss. Und daher müssen Kahn und Kapitän auf See, 24/7 und möglichst das ganze Jahr hindurch. Bis, nun ja: „Zwei, drei Jahre machen wir das noch, dann ist Schluss“, entfährt es Bockermann. Wie bitte? Nein, das ist kein Geständnis des Scheiterns. Eher ein Kampfruf, denn es soll weitergehen, aber mit einem neuen Schiff.

Die Avontuur ist nicht zu alt, sie segelt wie eh und je. Sie ist bloß zu klein. Denn der Markt wächst, und neue Schiffe machen Bockermann seine Frachten streitig. „Es entstehen mehrere Segelfrachtschiffe, und die werden uns aus dem Markt drängen.“ Der Kapitän rechnet vor: Ungefähr 100 Tonnen Ladung passen zwischen die beiden Masten der Avontuur. Damit entgehen ihm aber viele Frachten. „Ich müsste 600 bis 700 Tonnen Kaffee laden können, also eine Brutto-Totlast von etwa 1.200 Tonnen.“
Oha. Also reden wir hier von einem Schiff, das zwölf kleine Avontuurs ersetzt. Die Pläne existieren bereits. Zum Vergleich: Die bis 65 Meter lange (LüA) „Alexander von Humboldt II“, Segelschulschiff der Deutschen Sail Training Association, hat eine Totlast von 820 Tonnen. Bockermann fängt zu fluchen an: Er müsse endlich diesen verdammten Businessplan fertig machen, die Investoren scharren bereits mit den Hufen. Wenn dieser ganze Stress nicht wäre! Die Schiffsführung ist es gar nicht, das glaubt man ihm aufs Wort. Eher kommen die Bauchschmerzen vom Business.
Es muss richtig ernst gewesen sein
Der Stress war auch Schuld an einem kleinen Ausfall im vergangenen Winter: Bockermann war an Land und wollte ursprünglich auf der boot Düsseldorf eine Reihe von Vorträgen über die Frachtsegelei halten. Doch dann sei ein Notruf von seinem Schiff gekommen: Der Skipper hatte gesundheitliche Probleme, ob er nicht … Also löste er den Kranken auf den Azoren ab, segelte weiter in Richtung Europa, fand keinen Ersatz, segelte weiter. Und im Februar erwischte ihn an Bord ein Herzinfarkt. Bockermann erzählt es, also ob’s ein verstauchter Zeh gewesen wäre.

War es aber nicht. Es muss richtig ernst gewesen sein. Bockermann musste von einem französischen Marine-Helikopter auf See abgeborgen werden, es war mal wieder in der Biskaya. „Schön war das.“ Der Kapitän erholte sich ein paar Tage in der Klinik, das Schiff segelte auch ohne ihn. Die Ärzte rieten zu geänderter Lebensführung. „Und dann war ich wieder an Bord.“ Seitdem raucht er weniger und hofft, dass der Stress auch weniger wird. Doch der schleicht sich in vielen Kostümierungen an.
Das kann zum Beispiel der amerikanische Zoll sein, der Stielaugen macht, wenn die Avontuur in einen US-Hafen einläuft. Und prompt erst mal die gesamte Kaffeeladung durchsucht. Ob sie Sprengstoff oder Drogen vermuteten? Bockermann ist es völlig gleichgültig. Er hatte nur eine Höllenarbeit damit, 300 Sack Kaffee auszuladen und jeden Sack aufzutrennen. „In allen haben sie herumgestochert.“ Und offenbar nichts gefunden. 25.000 Dollar Schaden durch den Verzug habe die behördliche Neugier verursacht. Das Bizarre daran: Die Ladung war gar nicht für die USA bestimmt, es hätte den Herren also egal sein können.
Nie wieder mit Transitladung in die USA
Der Kapitän zieht eine Lehre daraus: Nie wieder mit Transitladung in die USA. Und hat folglich seine nächste Kaffeefuhre nur noch als Direktladung für den amerikanischen Markt dabei. Lediglich die beiden Korn-Fässer bleiben an Bord. „Aber da sind ja amtliche Siegel des deutschen Zoll drauf, die müssten die Amerikaner eigentlich respektieren“, hofft Bockermann.
Den Kaffee holt sich die Avontuur vorher aus Kolumbien und bringt ihn Mitte Dezember nach New Jersey. „Da werden wir an der Freiheitsstatue vorbeifahren.“ Die Bohnen sind für ein Unternehmen in Neuengland bestimmt, die mit einer solarstrombetriebenen Rösterei Öko-Kaffee herstellen.

Zurück geht es im Winter über den Großen Teich nach Europa. Als Ladung ist außer dem Korn noch Rum aus der Karibik, den Timbercoast selber vermarktet sowie der Hausstand eines Umzüglers an Bord. So bunt kann es zugehen im Laderaum eines Segelfrachtschiffs. Aber Platz gibt es noch, versichert Bockermann. Wer etwas mitschicken möchte: Frachtraten gibt’s direkt beim Kapitän. Einfach eine Anfrage an die Avontuur richten, Bockermann persönlich schickt dann ein Angebot raus. Natürlich mit Bordstempel der Avontuur …