Wenn die „Avontuur“ ihren Übersee-Rum übers Meer segelt, wird sie nur vom Wind angetrieben. Aber es gibt Momente, in denen der über 100 Jahre alte Segler ohne die Elemente manövrieren muss – und sei es, wenn der Zweimast-Schoner im Hafen anlegt, um seine hochprozentige Fracht zu löschen. Dann muss der Diesel ran, es hilft nichts. Damit seine Abgase nicht das ökologische Konzept des Frachtseglers vergiften, kommt Kapitän Cornelius Bockermann die Spende eines niedersächsischen Unternehmens sehr gelegen. Die Klima Kraftstoffe GmbH lieferte der Avontuur kürzlich 2.000 Liter nachhaltigen Kraftstoff. „Damit sollten wir die nächsten zwei Jahre auskommen“, sagt er, bevor es wieder in See geht.
Nachhaltiger Kraftstoff, bitte? Was nach einer PR-Floskel klingt, hat inzwischen legales Fundament: Nachhaltiger Kraftstoff für Verbrennungsmotoren wird Ende 2023 an vielen deutschen Tankstellen erhältlich sein, glaubt Lorenz Kiene, Geschäftsführer der Klima-Kraftstoffe GmbH und der Lühmann-Gruppe, die unter anderem rund 190 Tankstellen betreibt.
Grundlage seiner Überzeugung ist die 10. Novelle des Bundes-Imissionsschutzgesetzes, auch als BImSchG bekannt. Sie steht kurz vor der Verabschiedung. Die „Bimschg“ regelt unter anderem, welcher Sprit in Deutschland zum Verkauf zugelassen ist. Das sollen zukünftig auch paraffinische Kraftstoffe in Reinform sein. Einer davon: „Klimadiesel“. So nennt sich der Diesel, der zu 90 Prozent klimaneutral sein soll.
„Paraffinische Kraftstoffe in Reinform“ – was ist das Besondere daran? Unter diese Definition fallen auch synthetische Kraftstoffe, also künstlich erzeugter Sprit. Hier beginnt sich das Thema zu verzweigen: Es gibt Diesel, der aus Reststoffen wie Frittenfett oder Tierkadavern hergestellt wird. Die Stoffe tragen verschiedene Markennamen, das macht die Sache zusätzlich unübersichtlich. Da ist der Klimadiesel, andere Eigenmarken heißen Dieselmaxx oder MyRenewable. Und es gibt sogenannte E-Fuels, die über einen mehrstufigen chemischen Prozess aus Sonnen- und Windenergie entstehen.
Ihnen allen ist gemein, dass sie weitgehend ohne fossile Energieträger wie Erdgas oder Erdöl auskommen. Das ist ihr Vorteil: Das CO2, das bei ihrer Verbrennung freigesetzt wird, lagerte nicht Jahrmillionen in der Tiefe. Es ist allenfalls ein paar Monate oder Jahre alt.
Bei Klimadiesel handelt es sich genau genommen um HVO, das für „Hydrogenerated Vegetarian Oil“, also hydrierte Pflanzenöle steht. Durch einen chemischen Prozess werden sie aufbereitet, bis ihre Qualität denselben Anforderungen genügt wie fossile Kraftstoffe. Sie sind nach Tests unter anderem des ADAC sogar sauberer als klassischer Diesel, weil zum Beispiel kein Schwefel darin enthalten ist und weniger Ruß entsteht. Da einige Bestandteile im Motor wie Gummidichtungen den Kraftstoff eventuell nicht vertragen, muss zuvor eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Herstellers eingeholt werden.
Mit E-Fuels verhält es sich ähnlich wie mit dem Recycling-Sprit: Das „E“ steht für „Electro“, denn elektrischer Strom ist die Grundlage ihrer Herstellung. Per Elektrolyse entsteht aus Wasser mit Solar- und Windenergie Wasserstoff. Unter weiterer Energiezufuhr wandelt er sich zu brennbaren Kohlewasserstoffen. Das Endprodukt enthält nahezu keinerlei Schwefel oder andere unerwünschte Gifte.
Was passiert mit dem Bestand?
Warum der Zauber, mag man sich jetzt fragen – in ein paar Jahren fährt doch ohnehin jedes Boot elektrisch und größere Yachten per Brennstoffzelle? Tatsächlich ist die Mobilitätswende auf dem Wasser in vollem Gange – das wurde auch kürzlich auf dem Electric Summit im brandenburgischen Werder deutlich, auf dem float die Wassersportbranche für das Thema sensibilisierte.
Es wird auch sichtbar über viele neue Produkte auf dem Markt, etwa die elektrischen Avator-Außenborder vom Branchenriesen Brunswick. Die Richtung ist bereits vorgegeben, schaut man an Land, wo die EU bis 2035 die Neuzulassung von Autos mit Verbrennungsmotor bereits verboten hat. Und schon 2025 wird zum Beispiel im Innenstadtbereich von Amsterdam das Bootfahren mit Verbrennungsmotor schrittweise untersagt.
Doch alle, die bereits in die Hände klatschen, könnten etwas übersehen haben. Die Rede ist von dem, was in der Bürokratie nüchtern „Bestand“ genannt wird. Also auf dem Wasser kleine und mittelgroße Motorboote, aber auch Segelyachten mit Innenbordantrieb.
Eine Statistik des Umweltbundesamts zählt nur in Deutschland aktuell mehr als 165.000 Motoryachten. Das meint Boote mit Stahl-, Holz- und GFK-Rumpf vom Baujahr 1923 bis 2023. Sind die alle umrüstbar auf Elektroantrieb? Und wie lange mag das dauern?