Er ist wieder da! Sebastian Kummer steht auf Steg G in der Marina des französischen Städtchens Les Sables d’Olonne, in der Hand zwei Angelruten. Es ist der 20. Mai, und ein großes Tiefdruckgebiet wirbelt über dem Atlantik. Und damit die Zeitpläne des Wirtschaftsprofessors aus Wien durcheinander. Wieder einmal.
Eine FFP2-Maske verdeckt sein halbes Gesicht, trotzdem ist es nicht zu übersehen: Kummer strahlt zufrieden. Allen Widrigkeiten zum Trotz. 3.000 Seemeilen liegen vor Sebastian Kummer und seiner Crew. Eine Reise über die Biskaya, entlang der Algarve und durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer. Und dann immer Richtung Osten bis nach Göcek. Frankreich, Portugal, Spanien, Gibraltar, Italien, Griechenland und schließlich die Türkei.
3.000 Seemeilen, das ist in etwa so weit wie von den Kanaren in die Karibik. Nur, dass das Mittelmeer im Vergleich zur Barfußroute über den Atlantik einer Autobahn in der Rush Hour gleicht. Und das gilt ebenso in den Zeiten von Corona. Auch wenn die Einreisebeschränkungen vielerorts gelockert werden, bleibt hinter jedem Einchecken ein Fragezeichen. Kann das gutgehen?
Eine Reise, etwa so weit wie bis in die Karibik
Es erscheint wie ein Déjà-vu. Kummer ist Sorgen gewöhnt, auch wenn der Titel des Buches über seine letztjährige Odyssee das Gegenteil vermuten lässt. In Mit Kummer ohne Sorgen beschreibt der Leiter des Instituts für Logistik und Transport an der Wiener Wirtschaftsuniversität seine Erfahrungen während des ersten Corona-Lockdowns, als alle Länder am Mittelmeer ihre Grenzen schlossen und er nirgends mehr einlaufen durfte.
Wochenlang musste er sich in Buchten vor der Küstenwache verstecken. Die Geschichte des „gestrandeten“ Professors, der zum Piraten mutierte, fand großen Widerhall in den Medien. Auch float berichtete ausführlich über die „schönste Quarantäne der Welt im Niemandsland“, so der O-Ton von Sebastian Kummer.
Vor etwas mehr als einem Jahr stand Kummer also auf dem gleichen Steg, an dem jetzt wieder etliche werftneue Katamarane der Marke Lagoon liegen. Von Les Sables d’Olonne werden sie in die halbe Welt überführt. Die meisten von ihnen gehen in die Charter.
So wie die „Soffio“, eine Lagoon 42, die in der Türkei den Pitter-Yachting-Stützpunkt bereichern soll. Zwei weitere Katamarane der Beneteau-Tochtermarke steuern ebenfalls die Türkei an, einer geht nach Finnland, einer nach Italien, ein weiterer nach Kroatien.
Die Überführungsskipper sind ein bunter Haufen an Profi-Seglern, die aus Skandinavien, Frankreich, Belgien oder Spanien kommen. Sie rüsten die Yachten provisorisch für die erste lange Reise aus, bunkern Diesel und Wasser.
Die Auslieferung hat sich um Wochen verzögert
Außer zu der ersten Inspektion der Motoren nach 50 Stunden Betrieb werden die meisten von ihnen kein Land mehr ansteuern, sobald sie die Leinen in Frankreich losgeschlagen haben. Die Zeit drängt. Die Auslieferung der Yachten hat sich um Wochen verzögert.
Die Serienboote-Hersteller produzieren derzeit am Limit, die Auftragsbücher sind voll. Hinzu kommen Lieferengpässe bei Ausrüstung und Materialien und im Falle der Beneteau-Gruppe, zu der Lagoon gehört, ein Hackerangriff im April, der die Produktion vorübergehend lahmlegte. Viele der Katamarane, die Ende Mai am Auslieferungssteg in Frankreich liegen, sollten längst im Charter sein. So wie die „Soffio“ auch.