Ich wusste alles über die Kälte, den Wind und die Größe der Wellen.
Auch hier gilt: Einige der Segler der aktuellen Vendée Globe haben das Südpolarmeer noch nie zuvor erlebt. Das bedeutet, dass sie ein wenig ängstlich sein werden. Oder sogar verzweifelt, weil sie wissen wollen, wie kalt es sein wird. Wie stark der Wind sein wird, dem sie ausgesetzt sein werden. Und wie groß werden die Wellen sein?
Die Ruhe vor dem Start
Das Gefühl der Entschlossenheit ist überwältigend. Man kann fast ein Gefühl der Ruhe spüren, da alle Vorbereitungen erledigt sind. Bei einigen der Teams, deren Boot an diesem Sonntagmorgen das Dock verlässt, werden kurz zuvor noch letzte Arbeiten abgeschlossen, bevor die letzte Leine übergeben wird. Aber bei der Mehrzahl der Vendée-Globe-Kampagnen werden die Teams das Gefühl haben, dass alles Denkbare gecheckt wurde. Und dass sie so bereit sind zu starten wie nur irgend möglich.

Meins war das erste Boot, das am Abfahrtstag 2008 das Dock verließ, um 7.30 Uhr ging es los. Wir hatten Tausende von Fans, die den Kanal von Les Sables d’Olonne säumten. Das ist etwas, was wir in diesem Jahr wegen der COVID-Einschränkungen nicht sehen werden. Als das Winken vorbei war und wir den Hafen verließen, habe ich ein wenig geschlafen. Ich hatte wahrscheinlich die besten zwei Stunden Schlaf, während mein Team auf das Boot aufpasste.
Kurz vor dem Zehn-Minuten-Signal ging mein Team von Bord
Ich wachte erfrischt auf, aß und trank und begann dann, die Startlinie und den Wind zu überprüfen. Um mich dort zu platzieren, wo ich sein wollte, wenn der Startschuss fiel. Kurz vor dem Zehn-Minuten-Signal ging mein Team von Bord. Ich war voller Freude, als ich nun endlich kurz vorm Start der Vendée Globe stand – dem Ergebnis von zwei Jahren harter Arbeit für viele Menschen.
Die einzigen Bedenken im Kopf eines Seglers sind die potenziellen Risiken, die dazu führen könnten, dass man das Rennen abbrechen muss. Wir bereiten uns auf die meisten Eventualitäten vor, aber einige Schäden können wir nicht beherrschen oder beheben. Das ist es, was immer im Hinterkopf bleibt.

Das Race Village ohne Publikum
Diese Vendée Globe ist anders. Während die Naturgewalten und Elemente wie stets da sind, veranstalten wir dieses Segelrennen, während eine globale Pandemie die ganze Welt in Mitleidenschaft zieht. Da die derzeitigen Reisebeschränkungen und Quarantänemaßnahmen bereits ihren Tribut an die Besucherzahlen fordern, sind wir auch mit lokalen Beschränkungen konfrontiert. Die scheinen sich von Woche zu Woche und Land für Land zu ändern.
Als Konsequenz daraus gab es in dieser letzten Woche keine Öffentlichkeit im Race Village, da es bereits seine Tore geschlossen hat und abgebaut wird. Die Pontons, auf denen sonst viele Menschen sind – die einen Skipper suchen, um sich ein Erinnerungsstück signieren zu lassen oder als Fan fotografieren zu lassen –, sind jetzt ein verlassener Geister-Ort.

Entspannung für die Skipper
Wir sollten es positiv sehen. Viele Meetings und Pressetermine finden digital statt. Das erlaubt es den Skippern, gut ausgeruht zu bleiben – mit den Füßen zu Hause, sicher und geborgen in ihrer „Blase“. Die Teams arbeiten weiter an den letzten Details. Sie prüfen – und prüfen noch einmal – vorm Start alles noch einmal, um sicherzustellen, dass es keine Überraschungen gibt.

Die Seglerinnen und Segler können sich jetzt frei auf den Pontons bewegen, ohne große Menschenmengen. Die letzte Zeit mit der Familie und Freunden ist konzentrierter, die Unterbrechungen weniger. Die Skipper können gut schlafen, gut essen, sich ausruhen und ihre Gedanken konzentrieren, indem sie die ersten Stunden und Tage des Rennens durchspielen. Jetzt, da die Wetterbedingungen mit jedem Tag, den das Rennen näher rückt, klarer werden.
Im Hafen und im Kanal sind zum Start der Vendée Globe am Sonntag wahrscheinlich nicht so viele Menschen wie früher, als die Fans ab den frühen Morgenstunden hier ausharrten. Unsere Gedanken und die Online-Community sind trotzdem bei den Seglerinnen und Seglern – und wir folgen jedem Einzelnen der 33 Unerschrockenen, die sich auf den „Mount Everest of the Seas“ begeben.
Über Dee Caffari
Dee Caffari hat als Seglerin sechsmal die Welt umrundet, als erste Frau solo und nonstop in beide Richtungen um den Globus. Die für ihre sportlichen Leistungen mit dem britischen Ritterorden MBE ausgezeichnete Engländerin war Skipperin des Volvo-Ocean-Race-Teams „Turn the Tide on Plastic“ 2017. Bei der Vendée Globe 2008 segelte sie in 99 Tagen auf Platz 6.
Für float schreibt Dee Caffari regelmäßig, zuletzt über Greta Thunbergs Atlantiküberquerung mit Boris Herrmann und ihre Favoriten der aktuellen Vendée Globe 2020.
Live dabei sein
Der Start der Vendée Globe am Sonntag, den 8. November wird live übertragen – vom Verlassen der Docks bis über den Start um 13:02 Uhr Ortszeit hinaus, ab 17.10 Uhr Teil eins eines sehenswerten zweiteiligen Berichts in der ZDF Sportreportage (ab Minute 16:36). Boris Herrmann startet für Deutschland, er ist der erste deutsche Teilnehmer bei einer Vendée Globe.