Über den Wolken geht’s hundert Mal schneller voran als auf dem Wasser. Pilot und Segler Abhilash Tomy kommt mit beidem klar. Man muss nur sein Denken eintakten. Im Cockpit eines Flugzeugs plant man mit sechs Meilen pro Minute, im Cockpit eines Segelboots mit sechs Meilen pro Stunde. Gefährlich ist beides. Der Sensenmann kann einem genauso leicht im Kriechgang zu Leibe rücken, wie Abhilash Tomy im Gespräch mit float erzählte.
Mit der Lebensgefahr wurde Tomy beim letzten Golden Globe Race im Oktober 2018 konfrontiert. In den südlichen Breiten brachte ein Sturm seine Yacht Thuriya zum Durchkentern. Dabei verletzte sich Tomy unter Deck so schwerwiegend, dass er seine Beine nicht mehr bewegen konnte. Dank aktiviertem Epirb wurde er nach drei Tagen gerettet.
Indien an der Pinne
Sein Schiff war hin, der Traum vom Golden Globe Race aber nicht. Der Navy-Offizier ist sich einen zweiten Versuch schuldig – und seinem Land. Segeln war in Indien bis in die 1990er dem Militär vorbehalten. Abhilash Tomy konnte Mitte der 1990er nur dank seiner Offizierskarriere als Aufklärungs-Pilot mit dem Segeln beginnen.

Als Segler leistete er Indien einen großen zivilen Dienst. 2013 umrundete er die Welt als erster indischer Solosegler nonstop auf der Navy-Yacht Mhadei. Den gerade aufblühenden privaten Segelsport schob er mit dieser Ausnahme-Tat energisch an. Tomy sieht sich als Botschafter für eine Sportart, die neben Boxen, Hockey oder Badminton immer größere Bedeutung auf dem Subkontinent bekommt.

An der nationalen Meisterschaft in der Laser-Klasse nehmen mittlerweile um die 40 Boote teil. Vier indische Segler starteten bei den Olympischen Spielen 2021, eine Premiere für das Land.
Selbst ist der Mann
Tomy fühlt sich beim Navigieren mit dem Sextanten wohler als mit GPS. Was liegt für ihn also näher, als an einer Regatta teilzunehmen, die zu Bedingungen ausgetragen wird, die 25 Jahre vor der Freischaltung von GPS festgelegt wurden?
Die Neuauflage des ursprünglichen Golden Globe Race von 1968 setzt seiner Segelkarriere die Spitze auf: nicht nur solo nonstop um die Welt, sondern solo nonstop im Wettbewerb um die Welt.

Für das Golden Globe Race 2018 ließ sich Tomy eine Replika der Suaheli bauen. Mit dem Langkieler gewann Robin Knox-Johnston das erste Golden Globe Race, nachdem sein Konkurrent Bernard Moitessier in die Südsee abgebogen war, um dem Rummel des Industriezeitalters zu entkommen.
Boot neu, Sponsor neu
Für die 2022er-Austragung des Golden Globe Race hat sich Tomy die Rustler 36 vom Franzosen Philippe Peché gekauft. Diesen Sommer hat er sich in den Niederlanden einquartiert, um mit seiner rechten Hand Dick Koopmans das Schiff für die Extrembelastungen fit zu machen. Der Bootskonstrukteur Koopmans hat vorher Extremsportler Mark Slats gemanagt, der beim letzten Golden Globe Race im Schluss-Spurt bei sieben Metern Welle gegen den Senior Jean-Luc Van den Heede den Kürzeren zog. Die Rustler wird Bayanat heißen, nach dem Sponsor von Abhilash Tomy.

Das Unternehmen aus Abu Dhabi ist auf künstliche Intelligenz im Überwachungssektor spezialisiert. Tomy fühlt sich verstanden. Bayanat will auf den Rumpf der Rustler eine Speziallackierung auftragen, deren Lichtreflektion im Wasser per Satellit gemessen wird – oder so ähnliche Science Fiction…
Die gewonnenen Daten will Bayanat nicht für den Eigengebrauch deckeln, sondern sie allen Interessenten zur Verfügung stellen. Auch Tomy ist ein großer Verfechter von „Sharing is caring“. Diese Haltung teilt er mit dem Organisator des GGR, Don McIntyre, und Captain Gugg, der 2022 erstmals antritt. Michael Guggenberger stellen wir im 🎧 float Originals Podcast vor.
Vom Boot ins Beet
Der Zeitplan bis zum Start ist eng, aber Stress macht sich Tomy nicht. Gewinnen ist nicht das oberste Gebot. Seine Mission hat er erfüllt, wenn er nur durchs Ziel kommt. Wie es nach dem Golden Globe Race für den pensionierten Offizier weitergehen wird, lässt er noch in den Sternen stehen.
Mit der Familie abhängen und endlich wieder frisches Gemüse essen nach der Astronautennahrung an Bord, ist eine Option. Letztendlich geht es darum, das richtige Alltagstempo zwischen 600 Stundenkilometern in der Luft und sechs Stundenkilometern auf dem Wasser zu finden.