Alle warten darauf, dass endlich die Segelsaison beginnt. Seit Wochen beobachtete ich in den sozialen Medien, wie einige Segelenthusiasten die Tage zählen. Manche haben schon bei 120 Tagen mit dem täglichen Countdown begonnen. Ich sehe der Saison mit gemischten Gefühlen entgegen. Vielleicht, weil meine Saison vor sechs Monaten begonnen hat – und die nächsten Jahre auch nicht enden wird. So zumindest ist der Plan. Seit Oktober 2018 lebe ich an Bord in der Türkei auf meiner Moody 425.
Ich freue mich, dass der pittoreske ehemalige Fischerort Kaş langsam aus dem Winterschlaf erwacht. Immer mehr Bars und Restaurants öffnen wieder. An den Wochenenden füllen sich bereits die Straßen mit meist noch türkischen Touristen aus Istanbul, Izmir und Ankara – aufgeschlossene jungen Menschen, die vor allem zum Tauchen herkommen. Wovor es mir allerdings ein wenig graut ist, dass auch die Stege in der Marina immer belebter werden.

Sekunden zwischen Blitz und Donner
Die vergangenen Monate waren wir eine eingeschworene Clique aus Live-on-boards, die aus der ganzen Welt kommend in Kaş überwinterten. Aus Fremden wurden Freunde, aus Freunden eine Art Familie auf Zeit. Wir haben Weihnachten zusammen gefeiert und Silvester. Bei Stürmen (einmal mit Böen bis zu 140 Stundenkilometern Windgeschwindigkeit) und Gewittern kauerten wir gemeinsam auf einem unserer Boote, kochten und tranken, zählten die Sekunden zwischen Blitz und Donner, lachten das Unbehagen weg und hatten einfach eine gute Zeit.
Am nächsten Tag reparierten wir gemeinsam die Sturm- und Wasserschäden. War jemand krank, kümmerten die anderen sich fürsorglich. Medikamente gingen wie Wanderpokale von Bord zu Bord. Gefühlt war immer jemand auf dem Weg zum Markt, um Ingwer und frische Vitamine für ein anderes Schiff zu kaufen. Diese Gemeinschaft löst sich nun auf.
Derzeit arbeiten alle auf Hochtouren an ihren Schiffen und können es nicht erwarten, endlich wieder die Segel zu setzen. Und dieses Mal nicht nur für einen der zahlreichen Tagestörns, die wir, sobald das Wetter es zuließ, zusammen unternahmen. Die einen treibt es zum Atlantik, die anderen nach Griechenland. Wieder andere werden in der Türkei bleiben, manche auch in Kaş. Wie ich. Der Vertrag für meinen Liegeplatz läuft noch bis Mai 2020. Eine langfristige Bindung an einen Hafen, der meine türkische Meldeadresse ist, war notwendig, um die türkische Residentship zu bekommen, die es mir ermöglicht, hier ununterbrochen an Bord zu leben.

Neue Eingeweide für mein Boot
Die meiste Zeit werde ich die türkische Südküste diesen Sommer nicht verlassen. Fast durchgängig ist Besuch an Bord. Ich freue mich besonders auf die Wochen bis Mitte Mai, wenn die Buchten menschenleer sind und noch die Chance besteht, in den kleinen Stadthäfen einen Liegeeplatz zu finden, bevor die Armadas der Charterflotten ablegen.
Die vergangenen Wochen waren hoffentlich die teuersten und arbeitsreichsten für die kommenden Jahre. Meine 30 Jahre alte Moody bekam ein kleines Facelift, neue Kleider – und in einer mehrtägigen Operation auch neue Eingeweide. Jetzt strahlt die alte Lady wieder wie ein Teenager in seiner besten Zeit.

Im Februar war ich nach Schleswig gereist, um bei meinem Freund Sven Kraja eine Art Praktikum als Segelmacher zu machen. In dieser Zeit sollte ich selbst ein neues Groß und eine neue Genua für die Dilly-Dally schneidern. Zum Glück stellte sich mein Talent an der Nähmaschine als so bescheiden heraus, dass wir sehr schnell den Plan verwarfen.
Stattdessen ackerte Sven. Ich half, wo ich konnte. Und voller Stolz kann ich behaupten: Mein Kaffee war nicht schlecht. Jedenfalls bekam mein Boot strahlend weiße neue Kleider, mein Konto eine Schlankheitskur. Es nahm um 6.000 Euro ab.

Sportliche Tage fürs Unterwasserschiff
Mein Vater begleitete mich in die Türkei. Jahrzehnte segelte er mit seiner Arkona 32 auf der Ostsee. Ihm habe ich meine Liebe zum Meer zu verdanken. Auf seinem Schiff sammelte ich erste Erfahrungen, machte alle Fehler, die man als junger, unerfahrener Segler nun mal macht. Zwar verging kaum einer meiner Sommerurlaube an Bord ohne Schäden. Ich verbuchte es aber jedes Mal als Erfolg, dass ich sein Schiff nicht komplett versenkte. Jetzt wollte ich ihm mein Revier zeigen – und hoffte, er wollte nicht Rache nehmen für das, was ich seiner Arkona antat. Die Sorge war unbegründet: Wir hatten eine herrliche Segelwoche.
Anschließend kam das Schiff aus dem Wasser. Ich war etwas aufgeregt, denn bislang hatte ich den Rumpf der Dilly-Dally nur abgetaucht. Und es stellte sich die Frage, wie das Unterwasserschiff unter dem englischen Rasen, also dem Bewuchs, wohl aussieht. Für die üblichen Arbeiten … Abschleifen, Antifouling, Anoden, Polieren – kalkulierte ich sportliche sechs Tage, dann sollte das Boot wieder ins Wasser. Wir waren ja schließlich zu zweit.
Doch die Zeit schmolz dahin. Erst verspätete sich das Auskranen um einen halben Tag, dann wurde das Einkranen um einen Tag vorverlegt. Heftiger Dauerregen klaute einen weiteren Tag. Hinzu kam, dass sich mein Vater eine heftige Erkältung eingefangen hatte und röchelte wie eine alte Dampflok. Ich verordnete ihm nach dem ersten Tag Bettruhe.

Untenrum wie neu, aber innen das Grauen
Die Sorgen, die ich mir um das Unterwasserschiff gemacht hatte, waren unbegründet. Unter dem grünen Teppich war der Rumpf tipptopp. Nach zwei Tagen im Akkord erstrahlte das Schiff untenrum wie neu. Nach einem Tag Polieren hatte ich sogar noch einen Tag Zeit bis zum Kranen. Was also tun? Ich machte mich an einen verstopften WC-Ausgang – und erlebte das Grauen.
Wie sich herausstellte, waren alle WC-Leitungen seit Jahren weder gereinigt noch ausgetauscht worden. Die 3,8 Zentimeter großen Durchlässe waren auf wenige Millimeter geschrumpft. Eine Mischung aus Fäkalien und Salzwasser hat sie verstopft wie eine Thrombose eine Ader. Hinzu kam, dass die Leitungen mittlerweile komplett ausgehärtet waren. Um sie auszutauschen, musste ich sie an mehreren Stellen durchtrennen.

Das Problem: Die Moody hat über zwölf Meter WC-Leitungen. Allein mehr als sechs Meter führen vom Haupt-WC bis zum nachgerüsteten Fäkalientank im Heck. Dort teilten sich die salzig-modrig glänzenden Leitungen mit dem markanten Mief. Ein Schlauch führte zu einer elektrischen Pumpe mit „Zerhacker“. Ein anderer – 2,50 Meter lang – ging zu einer Handpumpe, die wiederum von der Eignerkabine aus bedient werden kann. Ein weiterer Schlauch von gleicher Länge führte natürlich auch wieder zurück, ehe sie sich alle wieder vereinten, um zu einem gemeinsamen Abfluss zu werden.
Schläuche wie eine Serpentinenstrecke
Der Weg der Schläuche hinter der Verkleidung ähnelte Serpentinen. Kurve folgte auf Kurve. Es ging rauf und runter. Beste Voraussetzungen für eine Arterienverkalkung. Meine größte Sorge war, dass sich beim Zertrennen der steifen Schläuche – anders waren sie nicht aus dem Boot zu bekommen – auch, nennen wir es neutral, einige „Reste“ im Schiff verteilen. Unnötig zu erklären, dass die Rohre so verbaut waren, dass man eigentlich sein erstes Leben als Schlangenmensch im Zirkus verbracht haben musste, um sie zu erreichen.
Aber nach einer 100er-Packung Einweghandschuhe, einer Rolle Klebeband, um die jeweiligen Enden möglichst tropfsicher abzudichten, etlichen Rollen Küchenpapier, einem geopferten Kochtopf zum Auffangen der braunen Suppe mit Einlage, zwei Flaschen Desinfektionsmittel, Dutzenden nicht jugendfreier Flüche und mehreren Brechanfällen war die Arbeit flugs erledigt. Na gut. Sie dauerte mehrere Tage und konnte erst beendet werden, als die Dilly-Dally längst wieder im Wasser lag.

Um dieses Erlebnis nicht allzu bald wieder durchmachen zu müssen, entschied ich mich für den Mercedes unter den Fäkalienschläuchen, geruchsfest und biegsam, so dass der Einbau erstaunlich einfach war. Das Konto aber ächzte erneut: Knapp 23 Euro pro Meter. Ein stolzer Preis. Zumal das Ein- und Auskranen inklusive Hochdruckreinigung bereits rund 850 Euro verschlungen hatte – plus Antifouling, Anoden, Schleifpapier etc.
Wozu gehört das abgerissene Kabel?
Einen weiteren Arbeitstag kostete mich zudem, dass ich mit einem alten Schlauch ein dünnes Kabel herausgerissen hatte, das mit Kabelbinder an der Leitung befestigt war. Wie sich herausstellte, gehörte es zum Autopiloten. Da stand ich nun, bewaffnet mit Lötkolben und Zinn in der Backskiste und überlegte, wie denn nun die Farben rot, grün und blau auf die Pole mit den Ziffern 1, 2 und 3 passen. Im Handbuch steht dazu nichts. Aber schon beim fünften oder sechsten Versuch hatte ich nach sieben oder acht Stunden das Zahlen- und Farbenrätsel gelöst.
Und dann, als ich dachte, alle Arbeiten seien endlich erledigt, fegte ein Sturm über die Marina und riss aus der altersschwachen Bimini die Reißverschlüsse. Eben war der Persenningmacher da, hat Maß genommen. Reparieren lohnt nicht, dachte ich mir. Außerdem möchte mich von dem langweiligen Blau verabschieden. Grau wie der UV-Schutz an meinen neuen Segeln soll die neue Bimini werden. Ist wahrscheinlich im Sommer auch kühler.
Und wenn der Persennigmacher schon dabei ist, soll er auch gleich eine neue Sprayhood anfertigen, die alte ist erblindet und löchrig. Und weil ein anderer Sturm bereits eines meiner Cockpitpolster gestohlen hat, soll er das fehlende auch gleich ersetzen. Ach, was, am besten gleich alle neu machen.

Jetzt warte ich gespannt auf den Kostenvoranschlag. Aber dann, dann kann die Saison wirklich starten.
Wer mehr über das Austeigerleben auf einem Segelboot lesen will: Brambusch macht blau. Und hier geht’s zum Blog.