Martin Heine, Vorsitzender des Vereins SV 03, auf dessen Gelände der Day of the Bay stattfindet, schätzt, dass rund 700 Schüler allein an diesem Freitagmorgen gekommen sind, um die vielfältigen Wassersportangebote auszuprobieren. An allen Stegen ist buntes Gewimmel. An Biertischen auf dem Rasen sitzen Schulklassen, sie warten oder ruhen sich aus. An vielen Ständen präsentieren sich Vereine. Die Stimmung ist gut.
Der Kutter mit Skipper Harald und Ingo als Steuermann legt gerade mit einer Gruppe Jugendlicher ab. Fröhliches Posen, bis Harald die Jugendlichen auffordert sich hinzusetzen. Verschleierte Mädchen auf einem Segelschiff – das ist ein besonderes Bild hier im Hafen. Harald, der selber Lehrer an einer Sonderschule in Moabit war und seinen Schülern auf dem Kutter das Segeln beibrachte, erklärt ruhig und bestimmt die Segelmanöver: „Du musst das Besan dichter holen. Ja, so ist es gut. Und Du setzt dich auf die andere Seite. Und jetzt alle mal hoch auf die Kante.“ Vorsichtig folgen die Schülerinnen und Schüler der Klasse 9w, das w steht für Willkommensklasse, von der Kepler-Schule aus Neukölln seinen Anweisungen. Sie sind zwischen 14 und 17 Jahre alt. Die Schülerinnen und Schüler sind mehrheitlich Flüchtlingskinder aus Syrien, die meisten seit eineinhalb Jahren in Deutschland. Fast alle haben traumatisierende Kriegs- und Verlusterfahrungen machen müssen, manche leben sogar allein hier und die Eltern sind noch im Heimatland.
Der Vorschoter hat die Abläufe schnell begriffen, nachdem er sein Handy abgeben musste. Ein Schüler aus Afghanistan, eine Schülerin aus der Türkei und eine Schülerin aus Frankreich mit rumänischem Background sind heute auch dabei. Jetzt fahren sie eine Wende, das klappt gut. Harald zeigt auf die Wolkenfront: „Da kommt Regen.“ Ingo, der Steuermann, und Harald verstehen sich blind, sie segeln zusammen seit dreißig Jahren. Als Wind aufkommt, geben sie den Schülern klare Kommandos.
Das Pilotprojekt an der Kepler-Schule, die in einem sozialen Brennpunkt liegt, verbindet Regelschule mit einem angepassten Lehrplan mit viel Sprach- und Mathematikunterricht, um die Geflüchteten sprachlich auf die Berufsbildungsreife vorzubereiten. Die Motivation und das Durchhaltevermögen dieser Schüler unterscheidet sich grundlegend von der üblichen Schülerklientel einer „Brennpunktschule“, so Franziska Rabe, die als Lehrerin der Klasse die Herausforderung gerne angenommen hat.
Die Stimmung an Bord schlägt um, als der Regen einsetzt. Es schüttet aus Kannen und alle sitzen etwas begossen an Bord. „Das ist doch nur Wasser“, beruhigt Franziska Rabe lachend die Gruppe. Schon ist ein Streckenboot zur Stelle und schleppt den Kutter in den Hafen. Die Crew hat alles gut im Griff und Harald gibt zur Versöhnung eine Runde Tee aus. Nicht alle nehmen sein Angebot an, die Mehrzahl der Schüler ist muslimisch und eigentlich gerade im Ramadan – heute haben einige von ihnen jedoch eine Ausnahme gemacht und das Fasten unterbrochen.
„Die Idee zur Teilnahme am Day of the Bay kam mir im Gespräch mit unserem AG-Leiter, als es darum ging, dass meine muslimischen Mädchen nicht gemeinsam mit den Jungen am AG-Sport teilnehmen wollen – obwohl sie sonst gerne Sport treiben. Der Day of the Bay schien uns deshalb eine gute Gelegenheit, alle in ein Boot zu holen.“
Martin Heine hat der Klasse im Anschluss an das Probesegeln angeboten, eine Woche Segelkurs beim SV 03 zu machen. So geht inklusive Jugendarbeit!
Wie sie sich bei ihrer ersten Segeltour gefühlt haben, erklären die Jugendlichen im Video.