Marianna von Schmidt und Niek Kuijs haben alle Hände voll zu tun an ihrer Rezeption: Gäste ein- und auschecken, beschreiben, wo die noch freien Stellplätze liegen, Ausflugstipps geben, schöne Wander- und Kanurouten empfehlen. Ab und zu schaut ein Kind aus der Schlange neugierig zum Tresen hinüber. Wohl auch, weil der Mann dahinter so lustig spricht.
Der sympathische Akzent ist mittlerweile alles, was die Niederländer als nicht ganz waschechte Mecklenburger „verrät“. Vor acht Jahren haben Marianna und Niek ihre alten Jobs aufgegeben und ihr Haus nahe der holländischen Nordseeküste verkauft. Sie haben alle Zelte hinter sich abgebrochen und unweit der Grenze zwischen Mecklenburg und Brandenburg wieder aufgebaut – als Campingplatzbesitzer am Ellbogensee.
Vom Urlauber zum Einheimischen
Im Sommer 2005 bereisten die heute 63-jährigen zum ersten Mal die Mecklenburgische Seenplatte. Zunächst mit dem Kanu, dann per Fahrrad ging es durch den Müritz-Nationalpark. Die Wälder und kleinen Orte, die Ruhe, die klare Luft und vor allem die Seen – es gefiel ihnen. So gut, dass sie wiederkamen und sich auf die Suche nach einem Ferienhaus machten. „Aber dann haben wir gedacht: Immerzu die 700 Kilometer hin und her pendeln? Wollen wir nicht ganz umziehen?“, erinnert sich Marianna. Gesagt, getan. Zeit für etwas Neues.
Wieder zuhause überlegten sie, was sie tun könnten. Ein Hotel? Nein, dazu waren sie nicht die Typen. Ein Campingplatz? Das schon eher. Obwohl beide bisher ganz anderen Berufen nachgingen. Sie arbeitete bei der Stadtverwaltung in Amsterdam. Er, gelernter Lebensmitteltechniker, zuletzt mit behinderten Kindern. Gemeinsam betrieben sie zudem eine Naturheilpraxis. Dennoch durchforsteten sie das Internet und wurden fündig: ein zum Verkauf stehendes Naturparadies, gelegen auf einer Anhöhe am Ufer des Ellbogensees, mit schattenspendenden Kiefern, 220 Stellplätzen, großer Wiese und schnuckeliger Badestelle.
Die Familie zieht mit an den See
Bereits seit 1955 Jahren existiert der Campingplatz auf dem zwölf Hektar großen Areal bei Fürstenberg, 100 Kilometer nördlich von Berlin. Ursprünglichkeit in der Haupt- und Komfort in der Nebenrolle – ein Naturzeltplatz wie er typisch war im Osten, vielfach auch noch nach der Wende. „Total verlottert war es hier“, erzählt Marianna. Doch sie erkannten das Potenzial jenseits heruntergekommener Sanitäranlagen und maroder DDR-Architektur.
Campingplätze hatten sie schon viele kennengelernt. Die meisten gefielen ihnen so gar nicht. Schallende Radios bis vier Uhr morgens, dazu das etwas piefige Ambiente aus skatspielenden und kreuzworträtselnden Dauercampern. Zusammen mit Tochter Coralie und Schwiegersohn Douwe, beide von Anfang an mit an Bord, krempelten sie den alten Campingplatz gehörig um und gestalteten ihn nach ihren eigenen Vorstellungen von Design, gesunder Ernährung, Umweltbewusstsein und Kinderfreundlichkeit. Sogar das niederländische Fernsehen fand das interessant und begleitete sie für eine Auswanderer-Doku ein Stück auf ihrem Weg.
Ein Paradies für Kinder
Im lichtdurchfluteten Café stehen Coralie und Douwe hinter der Designertheke und servieren den Gästen Müsli, warme Baguettes und einen Caffè Latte, der wohl in keinem Berliner Szenelokal besser schmeckt. Eigentlich wollten sie damals nach Norwegen auswandern, entschieden sich letztendlich jedoch für Mecklenburg. Heute werden ihre beiden Kinder Silke, 9, und Jonah, 6, mit und auf dem Campingplatz groß.
Spielkameraden zu finden, ist dabei nicht schwer, denn fast ein Drittel der Gäste sind Kinder. Dass diese mehr als willkommen sind, spürt man an allen Ecken und Enden. Sei es am Strand mit separatem Buddelareal oder beim Zähneputzen am kindgerechten Waschbecken. Buden bauen, toben und auch mal lauter sein dürfen, als in der Stadtwohnung – niemand rümpft dabei hier die Nase. Eine angeordnete „Mittagsruhe“ gibt es ebenso wenig wie ein durchgeplantes Animationsprogramm. Sowas findet Marianna von Schmidt schrecklich.
„Kinder müssen nicht rund um die Uhr bespaßt werden“, findet sie. Vielmehr gehe es um Kreativität, die manchmal auch durch Langeweile entsteht, und die Entdeckung der Natur durch Kinderaugen. So bietet der Platz auch eine Wildnisschule, in der die Kleinen lernen, wie man durch Holzreibung Feuer macht, Tierspuren liest oder was die Sternbilder am Himmel bedeuten.

Ein Ort für Kiezleute am Ellbogensee
Es sind vor allem jüngere Leute, die zum Zelten an den Ellbogensee kommen. „Kiezleute“ nennt Marianna von Schmidt ihre Gäste. Junge Familien, die in umgebauten VW-Bussen anreisen und Urlauber, die es schätzen, dass hier auch Yoga-Kurse und im platzeigenen Tante-Emma-Laden fast ausschließlich Bio-Produkte angeboten werden. Viele Berliner und Hamburger, viele Akademiker und Künstler. Mit Laptop auf dem Schoß und Bio-Limonade in der Hand sitzen sie auf der Café-Terrasse. Fast wie zuhause in ihrem trendigen Wohnviertel – nur mit Seeblick.
Auch für die Zukunft haben die vier Niederländer einiges vor. Ein Haus fürs gemeinschaftliche Kochen soll entstehen; Bootsbaukurse sollen angeboten werden. Mariannas Traum wäre ein eigenes Theaterfestival am See.
Sie fühlen sich angekommen in ihrer neuen Heimat, haben den Schritt keine Sekunde bereut. Auch wenn der Tag manchmal erst um 23 Uhr mit dem letzten Rundgang über den Platz endet. Ein Stückchen Holland ist jedoch allgegenwärtig: die hölzerne Windmühle, die mitten auf der Wiese thront. Ein Camper hat sie gebaut und ihnen geschenkt. Als Dankeschön für einen tollen Urlaub am Ellbogensee.
