Malende Segler gibt es nicht viele – einer von ihnen ist Hinnerk Bodendieck. An einem kalten Spätwintertag lädt er mich zum Klönschnack in sein Atelier in Hamburg-Altona ein. Drinnen herrscht ein bisschen kreatives Chaos: Neben Staffelei und Mengen von Bildern stehen Bootsbaumaterial, Lack und Leim.
Gerade ist die boot Düsseldorf zu Ende gegangen, wo Bodendieck den Stand des Hamburger Bootsversicherers Pantaenius gestaltet hat. Das kleine Motorboot, das er dafür gebaut hat, war der Renner. Aber auch die großen Plakatwände, die die Wände des Messestands verziert haben, sind echte Hingucker.
Hinnerk lernt segeln
Bei einem Becher Tee erzählt Hinnerk von seinem Werdegang, und vor allem von seiner Liebe zum Bootsbau und der Segelei. Anfang der 1960er-Jahre, Hinnerk ist noch nicht geboren, zieht seine Familie von Cuxhaven nach Hamburg. Sein Vater verbringt jede freie Minute mit ihm und seiner Schwester. Dabei entstehen viele Modellboote, die Klein-Hinnerk zum Star des Cuxhavener Spielbassins machen.


Später wird ein rotes Dinghi mit platter Schnauze angeschafft und vom Vater mit Mast und Segeln ausgestattet. Fortan fährt „Stromer“ in jedem Urlaub auf dem Dach des Käfers mit. Und Hinnerk lernt früh Pinne und Schot zu führen. In Hamburg-Öevelgönne sieht er zum ersten Mal die fröhlichen Kuttersegler der SVAOe – der Segler-Vereinigung Altona-Oevelgönne – und ist fasziniert von der wilden Truppe.
Wilde Sommertouren durch die dänische Inselwelt
In den 1970ern waren die fünf Jugendwanderkutter des Vereins berühmt und berüchtigt auf der Elbe. Hier konnten die Jugendlichen frei leben, segeln lernen und andere Dinge machen, von denen die Eltern nichts wissen mussten. Schüchtern wie der 13-jährige Buttje war, mustert er vorsichtig an und wird tatsächlich genommen.
Der Zufall bringt ihn mit dem geduldigen Kutterführer „Zewa“ auf der „Teufelsbrück“ zusammen. Schon bald sitzt er selbst als „Kufü“ an der Pinne. Es folgen wilde Sommertouren durch die dänische Inselwelt in den Sommerferien. Je weiter die Strecke und je stürmischer der Wind, umso lieber. Auch in die Elbmündung bis zu den Wracks von „Ondo“ und „Fides“ trauen sie sich.
Im Winterlager sieht er seine erste V-Jolle und ist fasziniert: Acht Meter lang und breit genug, um mit vier Leuten auf Langfahrt zu gehen. Der Gedanke, selbst so ein „Wunderwerk“ zu erschaffen, lässt ihn nicht mehr los. Er schafft das Abi und spart fortan jede Mark für Holz, Werkzeug und Epoxy. Im Zivildienst zeichnet er aus freier Hand auf Pergamentpapier die Linien auf dem Tisch in der Pförterloge des Krankenhauses, wie er es von seinem Vater gelernt hat.
Medizin zur Beruhigung
Der ist nicht wirklich begeistert von der Idee seines Sohns, ein eigenes großes Boot zu bauen, fürchtet er doch um seine Ausbildung und will ihm die bittere Erfahrung des Scheiterns ersparen. Doch Hinnerk zieht sein Ding durch, auch auf Kosten des Familienfriedens. Zur Beruhigung seiner Eltern beginnt er sogar ein Medizinstudium. Das bricht er allerdings nach dreieinhalb Semestern ab. Der Bootsbau schreitet voran, und nach zwei Jahren präsentieren Hinnerks damalige Freundin und er seinem Vater einen fertigen Rumpf.

Fortan ist Vater mit Herz und Hand dabei. Nach drei Jahren kann „Wildlingin“ in See stechen. Es folgen lange Touren mit ehemaligen Kutterkameraden, die sie durch die Ostsee übers Kattegat und Skagerrak bis nach Norwegen führen – und über die Nordsee wieder zurück. Nach fünf Wochen und 750 Seemeilen läuft die fünfköpfige Crew gesund und fröhlich wieder in den Yachthafen Wedel ein. Das ist den Segelzeitschriften eine Geschichte wert, bringt aber auch so manchen bösen Leserbrief über solchen „hanebüchenden Leichtsinn“ älterer Fahrensleute ein.
Eine richtungsweisende Begegnung
Auch Harald Baum, Gründer von Pantaenius und Eigner der Swan 48 „Elan“, kann dazu nicht schweigen. Er bewundert aber insgeheim den Schneid der jungen Leute. Zu dieser Zeit gibt er seine Werbeaufträge an YPS, den Yacht Photo Service von Peter Neumann, wo Hinnerk seinerzeit als Praktikant arbeitet. Peter Neumann fährt mit einem kleinen Motorboot bei Wind und mannhohen Wellen bei jeder Regatta in der Elbmündung mit.
Seine Actionfotos sind gefragt bei den Magazinen und den Eignern der IOR-Flotte. Nach jedem Regatta-Wochenende warten Hinnerk und seine Kollegen schon auf die Ausbeute, um die Bilder nachzubearbeiten. Hier lernt Bodendieck Harald Baum kennen, der schnell sein künstlerisches Talent erkennt und ihn fördert. Harald Baum hält seit 1973 den Rekord für die Rund Skagen Regatta mit 55 Stunden und einer Minute und ist bei jeder Ausgabe der Regatta dabei. Nun soll auch Hinnerk mit.

Unter dem Protest von Haralds Sohn Daniel schleppt dieser sein Malzeug inklusive großformatiger Holzplatten an Bord und beginnt seelenruhig, während der Regatta zu skizzieren und zu malen. So entsteht eine Reihe Gemälde, die Regatta-Action pur, aber auch wunderschöne Wetterstimmungen zeigen. Der Stil ist Bodendieckscher Impressionismus. Später lassen Harald und Hinnerk das Buch „Rund Skagen in Öl“ drucken.
Umtriebige Jahre
Während seiner Arbeit bei YPS studiert Bodendieck 12 Semester Illustration und Design an der Fachochschule Armgardstrasse. Danach geht er ein Jahr zum Studium der Malerei Goyas nach Madrid. Wieder in Hamburg bringt ihn ein ehemaliger Dozent mit einem Galeristen zusammen, und schon auf der ersten Ausstellung verkaufen sich 98 von 102 kleinformatigen Landschaftsbildern. Allerdings kassiert der Galerist 40% der Einnahmen und Bodendieck beschließt, seine Ausstellungen selbst zu organisieren.
Bodendieck wird von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung engagiert. Malt Gerichtsbilder, gestaltet das Titelblatt der Silvesterausgabe, arbeitet für die Zeitschrift Yacht und ist überhaupt sehr umtriebig. Einmal soll er die Weihnachtstimmung auf dem Hamburger Kiez für die Frankfurter Allgemeine festhalten. Daraus entsteht eine viermonatige Studie, die viele Bilder der Menschen und Atmosphäre hervorbringt. Er malt vor Ort mit Staffelei oder skizziert und brütet über einem Thema, bis er dann in einer Nacht wie von Sinnen das Bild in seinem Kopf auf die Leinwand bringt.
Die Geburt der Hamonnia
Was gemalt ist, bleibt auch so als Momentaufnahme ohne Nachbesserungen. Nebenbei hat er noch eine Technik entwickelt, mit der er am Computer Plakate kreiert – im Stil der Belle Époque mit großen Vollfarbflächen. Oft stehen dabei gulliverhaft-große Frauen in Miniaturlandschaft im Mittelpunkt. So wie bei der Hammonia-Serie, die für die Stadt Hamburg wirbt. Oft auch Riesenfrauen, die kleine Boote in der Hand halten wie bei der Pantaenius-Werbung und bei seinen Arbeiten für den Freundeskreis klassischer Yachten.


Nebenbei ist Hinnerk Bodendieck auch ein großartiger Unterhalter: Legendär sind seine Auftritte beim Wintertreffen des FKY. Hier erzählt er humorvoll, wie er sich mit seiner selbstgebauten Gig „Kronprinzessin Ute“ bei der Voiles de Saint-Tropez zwischen die Fischerboote geschummelt hat, seine Staffelei am Quai aufgebaut und tagsüber zwischen den Fife-Klassikern und modernen Maxi Racern rumgeschippert ist.

Die Gig ist mit Vaters Hilfe im Wohnzimmer der Eltern im zweiten Stock an der Elbterasse in Hamburg-Blankenese entstanden und unter Mithilfe vieler Hände abgeseilt worden. Inzwischen hat er für sich und seine Familie eine alte Impala angeschafft – ein wunderschönes Boot aus den Achtzigern mit gehörigem Restaurierungsstau. Und wieder riecht es nach Polyester und Styrol. Der Geruch seiner Kindheit, wenn der Vater, mit dem er unzählige Stunden auf der Elbe und der Ostsee verbracht hat, die Modellboote in der Küche gebacken hat.


Sein heutiges Boot liegt in Schilksee. Mit seiner Frau und den beiden Töchtern verbringt Hinnerk Bodendieck in diesem Domizil gerne die Wochenenden an Bord. Gesegelt wird auch hin und wieder: Zwei Meilen nach Strande, um den Onkel zu besuchen.
Ich bin ganz gefesselt von so vielen Geschichten, und es könnte noch Stunden weitergehen. Doch ein Freund kommt vorbei und holt ihn zum Essen ab. Auch Anna, der jüngste Sproß der Familie Baum, ruft wieder an. Sie hat eine neue Werbeidee, die doch bitte in einer Stunde fertig soll. Danke, Hinnerk, für den netten Vormittag.

Wer mehr sehen möchte, schaut beim Atelier Bodendieck vorbei.