Ob es zu Weihnachten tröstlich ist, dass sich der nächste Mitmensch zwei volle Tage entfernt befindet? Wenn man auf einer Einhand-Regatta in den endlosen Weiten des südlichen Pazifiks unterwegs ist, wahrscheinlich schon.
Das Spitzentrio des Golden Globe Race aus Simon Curwen, Kirsten Neuschäfer und Abhilash Tomy ist sich nach über 100 Tagen auf See so dicht auf die Pelle gerückt. Simon Curwen liegt 200 Seemeilen vor Kirsten Neuschäfer, die 300 Seemeilen vor Abhilash Tomy rangiert.
Simon Curwen boxt sich nördlich eines Hochs gegen den Wind Richtung Hobart Gate, Kirsten Neuschäfer und Michael Guggenberger holen südlich von dem Hoch mit Rückenwind stetig auf. Für die 360 Seemeilen bis Hobart sind für Simon Curwen noch drei Tage Fahrt angesetzt. Das könnte sich als zu blauäugig herausstellen. Aber einen komfortablen Zeitpuffer hat er. Das Gate schließt erst am 31. Januar.

Bis dahin sollten Simon Curwen, Kirsten Neuschäfer, Abhilash Tomy, Michael Guggenberger und Jeremy Bagshaw den Zwischenstopp in Hobart hinter sich haben und das Kap Hoorn anvisieren. Danach müssen sie sich nur noch dem Sog der Heimat hingeben.
Eiertanz statt Regatta
Einmal zu viel durchgeschüttelt wurde Elliott Smith. Beim Versuch, bei drei Meter Welle ins Masttopp zu klettern und einen Ersatz für das Vorstag zu installieren, musste er seine Grenzen erkennen. Er rotierte wie ein Kreisel im Bootsmannstuhl und streute seine Ersatzteile und Werkzeuge unkontrolliert ins Meer.

Das Vorstag musste er zu ersetzen versuchen, weil es am demolierten Bugspriet befestigt ist. Der Bugspriet lässt sich trotz improvisierter Reparatur nicht halten, Elliott Smith muss ihn demontieren. Als Alternative zum Vorstag plante er eine abenteuerliche Konstruktion mit zwei Spinnacker-Fallen.
Das ging sich alles nicht aus. Jetzt vollführt er einen supervorsichtigen Eiertanz nach Australien, den Blick immer zur Mastspitze. Den verpflichtenden Zeitplan kann er so nicht einhalten, er ist raus aus dem Rennen. „I think I’m gonna have to call it a day“, sagt er und zieht die Strickmütze über die Ohren.
Starten ist wichtiger als ankommen
Auch Guy Waites und Ian Herbert-Jones brauchen eine sehr rosarote Brille, um in Stimmung zu bleiben. Beide sind wegen Regelverstößen in die Chichester Class abgerutscht, in der sie das Rennen nur außerhalb der Wertung zu Ende bringen können. Guy Waites konstatiert die neue Situation nüchtern: „This is a race against myself now.“

Wie sehr man beim Golden Globe Race mit den alten Langkielern aus dem Takt der modernen Welt geworfen wird, zeigt ein Vergleich mit der Route du Rhum. Kirsten Neuschäfer hat als Zweitplatzierte beim Golden Globe Race eine 7-Tage-Bestmarke von 1.165 Seemeilen hingelegt.
Für die 3.500 Seemeilen der Route du Rhum hat Sieger Thomas Ruyant auf seiner Imoca nicht einmal 12 Tage gebraucht. Er meisterte die dreifache Strecke in weniger als der doppelten Zeit. Auch wenn man die unterschiedlichen Wetterbedingungen auf den Routen berücksichtigt, bleibt deutlich, zu was für einer Entschleunigung einen das Golden Globe Race zwingt. Das muss man aushalten können (als Akteur wie als Zuschauer).

Um die Trophäe in der Suhaili Class streiten noch sechs Schiffe (von ursprünglich 16). Nur eins weniger war beim Golden Globe Race 2018 durchs Ziel gegangen. Allerdings ist beim aktuellen Rennen nicht einmal die Hälfte der Strecke geschafft. Wie viele Finger man brauchen wird, um die Zahl der Finalisten anzuzeigen, ist noch überhaupt nicht ausgemacht. Aber die Magie des Aufbruchs ins große Abenteuer, die haben alle 16 erlebt.