Diese Geschichte beginnt unter weißen Segeln. Sie führt über den Atlantik, auf einem 72-Fuß-Schoner von Brasilien auf die Kapverden. Dort endet sie hinter einem schweren, grünen Tor in einer alten Steinwand. „Cadeia Central“ steht in großen Buchstaben über dem Tor: Zentralgefängnis.
Diese Geschichte handelt von vier Seglern. Drei jungen Brasilianern, die davon träumten, die Meere zu erobern und von einem erfahrenen französischen Skipper. Alle vier kauern hinter der Mauer in kargen Zellen, die sie mit Kakerlaken teilen müssen. Im März 2018 wurden alle vier Segler zu zehn Jahren Haft verurteilt. Auf ihrem Schiff hatten die Behörden 1063 Päckchen mit Kokain gefunden. 1,2 Tonnen weißes Gift. Verbaut in einem zweiten Rumpf unter dem Wassertank. Marktwert: 160 Millionen Euro.
Diese Geschichte hat zwei Versionen: Die der ehrgeizigen Richter auf den Kapverden erzählt von einer kriminellen Vereinigung, der die Segler angehört haben sollen. Die andere von einem gigantischen Justizskandal. Von ahnungslosen Seglern, missbraucht von skrupellosen Drogenschmugglern.
Beide Versionen beginnen in Brasilien. Juni 2016.
Die „Rich Harvest“, ein weißer Schoner unter britischer Flagge, hat schon bessere Tage erlebt. Der Zweimaster mit dem schlanken Rumpf und 22,15 Metern Länge erinnert an eine abgetakelte Diva. Die bewegten Jahre sind nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. Der Ex hat sie vernachlässigt und dann verschleudert – für 120.000 Euro.

Die neuen Eigner – Robert Delbos, ein harmlos aussehender Brite Mitte 60 aus East Sussex mit Bart und Brille, und der 35-jährige George Saul aus dem englischen Norfolk, der in Gibraltar lebt – segeln die „Rich Harvest“ zusammen mit zwei weiteren Briten nach Brasilien. Dort wollen sie das Boot in einer Werft auf Vordermann bringen lassen. Das geben sie als Grund bei ihrer Einreise an, wie aus der 160 Seiten umfassenden Ermittlungsakte der brasilianischen Polizei hervorgeht. Diese liegt float ebenso vor wie das 105-seitige Urteil der Richter von den Kapverden.
Was die Engländer nicht ahnen: Die britische National Crime Agency (NCA) hat sie längst auf dem Radar und verständigt noch vor deren Ankunft die Kollegen in Brasilien. In Delbos und Saul, der sich selbst Fox („Fuchs“) nennt, sehen die Ermittler die Hintermänner eines transatlantischen Drogenhandels gigantischen Ausmaßes – mit der Hilfe von Segelyachten. Nur beweisen konnten sie es bislang nicht. Jetzt hoffen sie auf den Durchbruch.
An die Legende, Schiffe günstig zu kaufen, um sie in Brasilien zu refitten und wieder teuer zu verkaufen, glauben die Ermittler nicht. Dass die „Rich Harvest“ – zu deutsch: Reiche Ernte – selbst eine bewegte Vergangenheit hat, klingt wie eine Ironie des Schicksals. Die Vorbesitzer beluden den Schoner bis unter das Deck mit zollfreien Waren wie Alkohol und Zigaretten. Sie legten sich außerhalb der 12-Meilen-Zone vor die britische Küste – und verkauften die Ware. 2004 flog der Bluff auf. Einer der Vorbesitzer siedelte später mit der Yacht nach Gibraltar um. Dort, so legen die Akten nahe, kam er in Kontakt mit George Saul, dem „Fuchs“.
Die Werftarbeiten
In Brasilien nimmt die „Rich Harvest“ Kurs auf Bahia Aratu in der Nähe von Salvador. Von Juli bis Dezember 2016 liegt sie dann in der Ocema Marina. Delbos beauftragt die örtliche Werft mit etlichen Arbeiten – für umgerechnet rund 100.000 Euro. Unter anderem sollen eine Solaranlage installiert, neue Wassertanks eingebaut und der Rumpf ausgebessert werden. Dann verlassen Delbos und die beiden Mitsegler Brasilien. Zurück bleibt Saul, der die Arbeiten beaufsichtigt. Und auch selbst mit Hand anlegt, wie der Werftbesitzer später der Polizei sagen wird. Tagelang habe er alleine an dem Boot gearbeitet und laminiert.

Im März 2017 verlässt die „Rich Harvest“ die Marina, segelt entlang der Küste Richtung Südost. An Bord ist der „Fuchs“. Mittlerweile gehen die brasilianischen Behörden davon aus, dass die Drogen in dieser Zeit an Bord geschafft wurden. Für zwei Wochen lag die Yacht vor einem privaten Anwesen mit einer großen Villa. Doch die Polizei will erst zuschlagen, kurz bevor die Yacht Brasilien verlässt.
Sie will sicher sein, dass die Drogen an Bord sind. Immer wieder observiert sie George Saul. Im Frühjahr wendet sich der „Fuchs“ an die niederländische Agentur „The Yacht Delivery“, die Segler für Überführungstörns vermittelt. Saul sucht einen Skipper und drei Mitsegler, um die „Rich Harvest“ von Brasilien nach Madeira zu segeln.
Als die Segelyacht Brasilien am 4. August verlässt, steht am Steuer der erfahrene Skipper Oliver Thomas, 49, ein Franzose. Ihn begleiten drei Brasilianer: Rodrigo Dantas (25), Daniel Guerra (36) und Daniel Dantas (43). Alle angeheuert über „The Yacht Delivery“. Auf Fotos, welche die Brasilianer bei ihrem Abenteuer zeigen, lachen sie in die Kamera. Sie genießen die Freiheit des Meeres.
Die Bilder laden sie bei Facebook hoch. Daniel Guerra schreibt dazu: „The World is a book and I am reading it.“ Das Buch hat kein Happy-End. Die Crew wird ihr Ziel auf Madeira nicht erreichen. Bei einem Not-Zwischenstopp auf den Kapverdischen Inseln werden die Segler verhaftet. Die Anklage lautet: Drogenschmuggel im großen Stil.

Von hier an gibt es zwei Versionen: Die der Richter auf den Kapverden und die der verurteilten Segler. Deren Version geht so.
Die Crew
Daniel Guerra erfährt von der Ausschreibung des Törns über Facebook. Der 36-jährige Brasilianer liebt das Weltenbummeln. 2015 radelte er quer durch Südamerika, oft entlang der Küste – 14.000 Kilometer. „Liberbike – Conquer your freeedom“ nannte er sein Projekt. Guerra entdeckte seine Sehnsucht für das Meer. In Ilha Bela S. Paulo schrieb er sich an der Nautischen Schule ein. Um Seemann zu werden, absolvierte seine ersten Patente. Praxis hatte Guerra bislang nur auf Fahrten entlang der Küste sammeln können, für weitere Patente brauchte er aber auch Hochsee-Erfahrung.