Die beiden Tramper Carl und Nils wissen, dass ihnen die Zeit davonrennt. Wenn sie noch im Frühjahr 2023 von den Kanaren in die Karibik mitgenommen werden wollen, müssen sie hurtig ein Gastschiff finden, sonst sitzen sie in ihrem Meeres-Tramper-Camp in Las Palmas fest.
Die Hauptsaison für die Atlantiküberquerung beginnt Mitte November, dann, wenn die Hurrikan-Saison vorbei sein sollte, der Passatwind sich bildet und die Segelboote auf der sogenannten Barfußroute vor sich her gen Westen treibt. Der Klimawandel macht das einst so stabile Wettergebilde aber fragil. Die Saison wird immer kürzer.
Die meisten Segler planen Weihnachten oder Silvester bereits auf der anderen Seite des Ozeans zu feiern, dann haben sie noch Zeit bis Ende Mai, um die Karibik zu genießen, ehe sie sich und das Boot vor der nächsten Hurrikan-Saison nach Norden oder nach Süden in Sicherheit bringen müssen. So verlangen es die Versicherer, und auch der gesunde Menschenverstand.
Während Carl und Nils langsam unruhig werden, weil kaum noch Schiffe die Kanaren verlassen, hängen wir mit der Dilly-Dally auf Lanzarote fest. Auf der Passage von La Linea hat sich eine im Meer treibende Plastikplane in der Schraube verfangen und in das Wellenlager gebrannt.
Das Boot muss aus dem Wasser gehoben, das Lager gewechselt werden. Doch zwischen Weihnachten und den Heiligen Drei Königen steht der Kran still. Wertvolle Tage verrinnen.
Zwei Burschen im Dinghy
Als die Dilly-Dally am 15. Januar frisch repariert in Las Palmas einläuft, überfahren wir beim Anlegen beinahe ein Dinghy. Darin zwei Burschen, die etwas hilflos mit zwei Holzbrettern durch das Hafenbecken paddeln.
Als sie später vor unserem Boot stehen und ihre kalten Biere feil bieten, erkennt Arzum sie an ihren Kopftüchern. „Wart Ihr die Spinner, die uns in die Quere gekommen sind?“, fragt sie. Carl lacht sein verschmitztes Lächeln: „Ja, genau. Das waren wir.“

Wir finden die beiden sympathisch, aber sagen gleich, wie es ist: „Wir haben keinen Platz für euch, aber kommt gerne an Bord.“ Das ist nicht einmal gelogen, denn ein Freund aus der Türkei begleitet uns. Stundenlang sitzen wir am Nachmittag im Cockpit und plaudern. Die Geschichten, die Carl und Nils erzählen, faszinieren uns. Am Abend laden wir sie erneut ein. Wir haben noch frisch gefangenen Fisch. Und einen Plan.
Wir sind so begeistert von den beiden, dass wir sie bei ihren Reiseplänen unterstützen wollen. Am Spätnachmittag haben wir mit Karsten und Mal gesprochen, zwei Freunden aus Dänemark und Australien, die mit uns aus der Türkei losgesegelt sind. Sie wollen bereits eine italienische Backpackerin mitnehmen. „Habt ihr bis zu den Kapverden noch Platz für einen der Jungs?“, fragen wir. Denn das ist der Plan.
Bis zu dem Inselarchipel westlich des Senegals haben auch wir noch einen freien Platz, dann verstärkt unsere Crew ein Freund aus Norderney. Aber nur ungern würden wir die Freundschaft der beiden auseinanderreißen, vorausgesetzt, sie haben überhaupt Lust, uns zu begleiten. Karsten willigt ein. „Aber nur zu den Kapverden“, sagt er noch einmal. Denn dann bekommt auch er Besuch aus Australien.
Ein großer Tag
Beim Abendessen fragen wir beiläufig, was wäre, wenn nur einer der beiden die Gelegenheit erhalte, um weiterzufahren. Die beiden schauen sich an. „Darüber haben wir auch schon gesprochen“, sagt Carl. „Ich würde Nils den Vortritt lassen.“ Nils schüttelt den Kopf. „Nein, du solltest fahren“, sagt er zu Carl, „du wartest schon länger.“ Wir unterbreiten unseren Plan.
Einer könne bei uns zu den Kapverden mitsegeln, immerhin knapp 1.000 Seemeilen, der andere auf der dänischen Barracuda. Ein Lächeln huscht über das Gesicht der beiden, die Augen strahlen. „Wann wollt ihr denn los?“ fragen sie. „Übermorgen!“ Carl bläht die Backen. „Das ist bald. Wir haben hier ja so etwas wie Familie. Aber das Angebot ist großartig.“

Wir machen noch einmal klar, dass unsere gemeinsame Reise auf den Kapverden enden wird. 30 Tage hätten sie dann Zeit, ein neues Boot zu finden. Dann würde ihr Visum dort ablaufen. Die beiden nicken. „Können wir eine Nacht darüber schlafen?“, fragen sie.
Am nächsten Morgen teilen uns Carl und Nils ihren Entschluss mit. Sie wollen uns begleiten. Sie werfen eine Münze, wer auf welches Boot geht. Carl kommt zu uns. Die Szenen am Morgen der Abfahrt sind rührend. 20, 30 Tramper kommen zum Steg, um Abschied zu nehmen.
Sie liegen sich in den Armen, Tränen kullern, aber sie freuen sich für Carl und Nils. Am 3. März, das haben sie in den vergangenen Wochen so festgelegt, um sich gegenseitig Hoffnung zu spenden, wollen sie sich alle wiedersehen. Auf Martinique.
Es ist ein großer Tag für die Tramper-Community. Gleich sieben von ihnen haben ein Boot gefunden. So viele wie schon seit Wochen nicht mehr. Als wir den Hafen von Las Palmas am Nachmittag verlassen, stehen mehrere von Carls Freunden im Regen an der Mole, winken, jubeln, weinen. Er ist überwältigt. Und wir ein bisschen neidisch – auf die Freundschaften, die die Tramper geschlossen haben. „Oh Mann“, sagt Carl, „das ist das Einzige, was ich am Reisen hasse. Die ständigen Abschiede.“
Carl steht Kopf
Die Fahrt auf die Kapverden dauert eine Woche. Die Passage ist anspruchsvoll, der Wind weht kräftig, eine unangenehme hohe Welle baut sich auf. Unseren türkischen Freund, selbst Bootseigner, zerlegt es. Er ist seekrank. Tagelang liegt er unter Deck, isst nicht, trinkt kaum, wird von Tag zu Tag schwächer. Er will zwar nicht sterben, aber er glaubt, er müsse sein Boot, auf dem er lebt, verkaufen. Nie wieder, sagt er, will er einen Fuß auf ein Boot setzen. Kaum auf den Kapverden angekommen, bucht er seinen Rückflug.
Ein Kommentar
Von der selben hitchhiker Saison und ähnlich wie die drei Jungs. Vielleicht interessiert es dich ja 😉
[Link zur westwaerts.crew auf Insta bitte selbst suchen; Red.]