Die Ausgangssperre führt zu Panikkäufen in den Geschäften
Gegen 22 Uhr, der störrische Kater hat sich seinem Schicksal ergeben und erkundet erstmals das Deck, poppt der neueste Streich der Behörden auf unseren Smartphones auf. In der halben Türkei gilt ab null Uhr, also in zwei Stunden, eine zweitägige Ausgangssperre. Für alle. In den Großstädten führt das zu einem panikartigen Ansturm auf die Geschäfte. Bilder wabern durch das Netz, wie tausende Menschen, die Hälfte davon ohne Mundschutz, die Geschäfte fluten. In den sozialen Medien wird heftig diskutiert, ob die Regelung auch für unsere Region gilt. Das offizielle Schreiben ist so krude formuliert, dass selbst Türken es nicht deuten können.

Die Gewissheit klopft um 2.30 Uhr ans Boot. Unsere Alarmanlage namens Cingene hat da längst angeschlagen. „Captain, Captain“, ruft der Mann von der Küstenwache immer wieder. Es ist ihm sichtlich peinlich, uns mitten in der Nacht zu wecken. Immer wieder entschuldigt er sich. Aber wegen der Ausgangsperre, die auch für unsere Region gilt, müssen wir zurück in die Marina.
„Aber ist es hier nicht viel sicherer?“, fragt Arzum, die ihren Kopf durch die Luke der Achterkoje streckt. Der Beamte nickt. Er verstehe auch nicht, warum wir – während der Ausgangssperre – zurück nach Kaş segeln müssen, um uns in einen Hafen zu anderen Booten zu packen. Aber er müsse die Anweisungen befolgen, sagt er achselzuckend. Es reiche aber vollkommen aus, wenn wir am nächsten Morgen aufbrechen. Dann fährt er zum nächsten Boot vor Anker.
Pluspunkt für den Hund
Am nächsten Morgen gegen 9 Uhr sind die Beamten zurück. Wieder höflich, wieder nachsichtig. Ob es uns möglich wäre, nach dem Frühstück aufzubrechen? Wir fragen, ob wir trotz Ausgangssperre noch kurz den Hund zum Gassi ans Land bringen könnten. „Aber sicher“, sagt der Beamte. Der Kater erleichtert sich unterdessen im Katzenklo unter Deck. Klarer Pluspunkt für den Hund. Selbst bei einer kompletten Ausgangssperre erlaubt der Hund uns, das Boot zu verlassen.
Sieben Stunden dauert die Rückreise. 18 Knoten Wind, blauer Himmel – herrlich. Wir müssen kreuzen, aber wir haben ja Zeit. Kurz vor Kaş nimmt uns die Küstenwache unseres Heimatorts in Empfang. Wieder sind die Beamten ausgesprochen nett. Aufgrund unseres Gassi-Ausflugs sind wir das letzte Boot unserer kleinen Flottille. Alle Schäfchen sind nun eingesammelt, die Küstenwache kann Feierabend machen. Wäre da nicht Darrel, der Einhandsegler aus Australien, der im Stadthafen festgemacht hat.
Da es kaum Mooringleinen im Hafen gibt, musste er den Anker setzen. Als das Boot fest war, sprang er beherzt ins Hafenbecken, um tauchend den Anker zu überprüfen. Als er auftauchte, hatte die Küstenwache ihn bereits am Haken. Schwimmen im Hafenbecken ist generell nicht erlaubt, schon gar nicht während der Ausgangssperre. Darrel hätte zumindest vorher die Küstenwache informieren müssen, sagen die Beamten.
Als sie dann eine Strafe von 500 Türkischen Lira (knapp 70 Euro) in Aussicht stellen, beginnt die ewig leidige Diskussion, die in angespannten Zeiten wie diesen selten zum Ziel führt. Um es kurz zu machen: Die „Diskussion“ geht über mehrere Tage, und aus 500 werden 3.500 Lira. Abzüglich 25 Prozent Skonto, wenn Darrel gleich bezahlt. Murrend gibt er seinen Widerstand irgendwann auf.

Brot für die Segler
Wir liegen derweil in der Marina. Wir dürfen während der Ausgangssperre das Boot verlassen, nicht aber das Gelände. Selbst die Marineros arbeiten, da die Geschäfte geschlossen haben. Marina-Mitarbeiter versorgen die Live-on-boards mit Brot. Gratis. Die Küstenwache registriert alle Segler, die auf ihren Booten leben. Von diesem Moment an gilt der Ort, an dem wir registriert wurden, als unsere Wohnung. Nicht das Boot an sich.
Ein türkischer Segler fängt allein an einem Morgen sieben Barrakudas. Drei Tage essen wir herrlich frischen Fisch. Die Ersatzwährung in der Marina sind mittlerweile Zigaretten. Da wir planten, mindestens eine Woche zu segeln, ist der Vorrat an Bord der Dilly-Dally groß genug, um alle Raucher in der Marina zu versorgen. In Situationen wie diesen zeigt sich wieder mal, wie groß der Zusammenhalt ist. Die meisten Segler lagen schon im Bett, als die abrupte Ausgangssperre verhängt wurde. Jetzt wird alles geteilt, was auf den Booten zu finden ist. Fisch, Bier und eben Kippen.

Die Katze ist immer noch etwas störrisch. Aber in der Marina lernt sie das Boot besser kennen. Nicht nur unseres; besonders das verwaiste Schiff des Nachbarn hat es ihr angetan. Dort verbringt sie den größten Teil der Ausgangssperre, schaut hin und wieder eingeschnappt zu uns herüber. Der Hund lächelt zufrieden.