Der Guss für die Tally Ho ist perfekt vorbereitet. Megan, Pete, Patrick und Leo haben eine Schablone aus übrig gebliebenem Plankenholz auf den alten Ballastkiel gesetzt. Rumpf und Boden sind mit feuerfesten Planen geschützt, und das Blei fließt wie Wasser aus dem großen Kessel. Was sollte schon schiefgehen?
Leider verteilt sich das flüssige Metall nicht gleichmäßig von der Mitte nach vorne und hinten – so wie geplant. Sondern es schmilzt ein Loch in den alten Bleiballast, wo es mit Druck auftrifft. Und gleich auf den Boden durchläuft. Natürlich hat Leo Sampson an alle Notfälle gedacht. Megan kann das Ventil schnell schließen und den Bleifluss stoppen. Aber die Aktion ist misslungen. Ein herber Rückschlag für die Refit-Crew, aber keine wirkliche Gefährdung des Projekts. Was war geschehen?
Der Schwerpunkt muss nach unten
Vier Jahre hat Leo mit wechselnden Teams in Sequim im US-Bundesstaat Washington am Wiederaufbau der von Albert Strange gezeichneten Kutteryacht „Tally Ho“ von 1909 gearbeitet. Nun muss er nach Port Townsend umziehen. Vorher soll aber noch der Ballast überarbeitet und fest unter den Rumpf gebolzt werden. Der ganze Rumpf ist aus neuem Holz nachgebaut – der Ballastkiel sollte das letzte Originalteil bleiben.
Um Platz für Tanks in der Bilge zu schaffen, den Boden abzusenken und den Gewichtsschwerpunkt weiter nach unten zu bringen, hatte Leo einen Plan gefasst. Seine Idee war, den Innenballast, der unter den Bodenbrettern verteilt war, einzuschmelzen und auf die Oberseite des alten Ballastkiels aufzugießen.
Denn durch den Einbau von festerem Holz und z.T. aufgedoppelte Spanten ist der Rumpf des Klassikers schwerer geworden, als es das Original war. Außerdem möchte er das höhere Rigg nachbauen, mit dem die Tally Ho 1927 beim Fastnet Race erfolgreich war.

Dafür muss der Schwerpunkt tiefer sitzen. Um den Ballastkiel von oben zu bearbeiten, muss das ganze Schiff mit Hydraulikpumpen angehoben werden. Es ist ein spannender Moment, wenn die letzten Stützklötze weggehauen werden. Zum Schluss steht die ganze „Tally Ho“ nur noch auf zwei vorn und hinten aufgestapelten Pallhölzern, aber natürlich sicher gegen seitliches Kippen abgestützt.
Megan baut ein Bleischwein
Leo Sampson ist sehr wohl bewusst, dass Blei ein giftiger Werkstoff ist – und beim Einschmelzen gefährlich heiß wird. So hat er alle möglichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um sich selbst, seine Leute und die Umwelt zu schützen. Blei entwickelt keine giftigen Dämpfe, wenn es nicht über den Schmelzpunkt erhitzt wird und es verdichtet sich sehr schnell, wenn es erkaltet, trotzdem wird beim Guss unter Atemschutz gearbeitet.
Megan stellt ihre Schlosserfertigkeiten unter Beweis. Sie schweißt, hämmert und feilt aus einem alten Gas-Tank – so groß, dass sie selbst darin wohnen könnte – einen Kessel, in dem das Blei geschmolzen werden kann. Das „Schwein“, wie die Werftcrew ihn tauft, hat einen stählernen Ringelschwanz. Es hat auch Klappöhrchen und eine Steckdosennase, damit man sieht, wo vorne und wo hinten ist.
Unter dem Schwanz ist der Auslass. Hier wird ein 50 Millimeter (rund zwei Zoll) großes Loch geschnitten und ein Rohr mit Absperrschieber und einem Gefälle Richtung Ballastkiel angeschraubt.
Der Guss misslingt
Die Kielbolzenlöcher werden von unten mit Holzpfropfen verschlossen, die Patrick auf der Drechselbank dreht – und außerdem einen Notstopfen für das Schmelz-Schwein. Dann werden sie von oben mit flüssigem Blei aus dem kleinen Tiegel verfüllt. Leo und Crew tragen dazu einen Profi-Atemschutz – beim Vergießen der Löcher und als der große Moment für den Kielguss kommt.
Ein loderndes Feuer aus Holzresten lässt die zweieinhalb Tonnen Blei in dem großen Schmelztiegel bald flüssig wie Wasser werden. Megan öffnet den Absperrschieber und das Blei plätschert durch das erhitzte Rohr auf den alten Ballastkiel. Dann nimmt das Verhängnis seinen Lauf: Dort, wo das schwere heiße Blei auf das alte Blei auftrifft, frisst es sich durch den Druck einen Kanal durch den Ballastkörper und rauscht wie ein Wasserfall unter der Schablonenplanke auf den abgedeckten Boden. Damit hatte niemand gerechnet.
Tagelange Vorarbeit ist innerhalb von Sekunden zunichte gemacht. Leo ist schwer getroffen, das merkt man ihm an. Nach sorgfältigster Planung und Beratung mit Bootsbauern und Yacht-Konstrukteuren nun solch ein Desaster. Zum Glück wurde niemand verletzt, das Boot ist heil geblieben und der Boden ist nicht kontaminiert. Trotzdem bleibt eine schmerzhafte Erfahrung.
The Show must go on
Doch wir kennen Leo! Er steckt nicht den Kopf in den Sand, sondern fängt gleich an zu analysieren und neu zu planen. Erst einmal schickt er seine gefrustete Crew in einen frühen Feierabend und wägt das Für und Wider der möglichen Optionen ab. Dann stellt er seine Fan-Gemeinde vor die Frage: „Den alten rissigen Bleiballast weiter bearbeiten? Oder lieber einschmelzen, eine Form bauen und komplett neu gießen?“

Es scheint so, dass die Tendenz auf Instagram und Facebook in Richtung Neuguss geht. Er hat schon soviel neu gebaut … jetzt lohnt es nicht, aus Nostalgie-Gründen am letzten alten Stück hängen zu bleiben. Der Ballastkiel ist ein wichtiges Stück Sicherheit. Fällt er in Stücke oder löst er sich vom Rumpf, kentert das Schiff.
Ein neues Zuhause für Tally Ho
Allerdings bleibt dem Team keine Zeit mehr, diese Arbeit im idyllischen Örtchen Sequim auszuführen, wo seit vier Jahren gearbeitet wird. Die Werkstatt ist zusammengepackt, der Tieflader ist für Samstag, den 3. Juli 2021 bestellt.

Die Tally Ho zieht ohne große Probleme in ihr neues Zuhause in einer Industriehalle in einem Gewerbegebiet in Port Townsend. Die Arbeit wird anders sein als an dem gemütlichen alten Standort im Grünen unter fast freiem Himmel. Dafür gibt es hier Profis und Werkstätten in unmittelbarer Nähe, keine nervenden Nachbarn und der Pazifik ist auch nicht weit.
Wer Leo Sampsons Refit-Projekt unterstützen möchte, folge diesem Link.