„Jeder Einwand eines Crewmitglieds bringt das Team weiter und sollte als Geschenk betrachtet werden!“ Das Speaking-Up ist eines der zentralen Anliegen des Führungsmodells, ein Mantra, das uns die beiden SkipPsy-Kursleiter, die Diplom-Psychologin Birgit Carstensen und ihr Partner Richard Jeske, Inhaber von Well-Sailing, drei Tage lang bekräftigt haben.
Dann das: Auf einem Sommertörns habe ich die Gelegenheit verstreichen lassen, frühe Vorkehrungen zum Abwettern einer Gewitterfront zu treffen. Und, wohlmöglich auf anderer Ebene nachlässig, habe ich den Wohlfühlbereich einiger Mitsegler falsch eingeschätzt. Im Vertrauen auf das seegängige Boot habe ich entgegen meinem Bauchgefühl erst spät gerefft.
Trotzdem schien alles sturmsicher vorbereitet. Doch frei nach Murphys Gesetz hat eine gebrochene Klemme das Vorsegel ausrauschen lassen. Nun stehe ich mit hängenden Ohren, einem verängstigten Crew-Mitglied und einer zerfetzen Genua da. Was ist da falsch gelaufen? Ein Blick auf das SkipPsy-Modell hilft dabei, Antworten zu finden.

Was ist SkipPsy?
In ihrem dreitägigen Praxisseminar und ihrem Buch Moderne Crewführung auf Sportbooten beschreiben Birgit Carstensen und Richard Jeske, wie sich ein demokratischer Führungsstil, Teambildung und Feedback-Systeme an Bord etablieren lassen. Dabei setzen die beiden bewusst auf die Soft Skills von Skipperinnen und Skippern sowie deren Crews.
Vier Pfeiler für Sicherheit und ein erfüllendes Teamerlebnis
Das SkipPsy-Führungsmodell ruht auf vier Pfeilern: Ein stärkenorientiertes Feedbacksystem, eine fehlerfreundliche Bordkultur, das oben erwähnte Speaking-Up und gemeinsames Lernen im „Klassenzimmer Cockpit“. Das Modell bestärkt die Einzelnen in ihren Kompetenzen, und es gibt der Crew eine gemeinsame Vorstellung von den Abläufen. Durch Bildung eines effizienten und kompetenten Teams zielt das Modell auf einen sicheren Törn, erholsamen Urlaub und ein erfüllendes Teamerlebnis für alle ab.

Es sind die ganz typischen Situationen, um die es geht – von der allgemeinen Törnplanung bis hin zum konkreten Segelmanöver. Dabei dreht sich alles um den Faktor Mensch an Bord und auch um den eigenen, gesunden Menschenverstand.
Dabei liefert das SkipPsy-Modell einen reichhaltigen Werkzeugkasten voller kommunikativer Hilfsmittel und Checklisten für den Bordalltag. Gute Seemannschaft ist Teil jeder Segelausbildung. Gute Crewführung ist seltener. Diese Lücke will das dreitägige SkipPsy-Seminar schließen.
Das Kommunikationsmodell und die „Vier Tanks“: Am Tag 1 sortieren wir anhand des SkipPsy-Kommunikationsmodells, welche Informationen die Crew zu welchem Zeitpunkt des Törns benötigt und in welcher Dosis. Denn das kann je nach Törnzweck und Wissensstand der Crew stark variieren.
Wer benötigt welche Information wann von wem und wie?
Informationen wie der Hinweis auf Packliste und Anreise vor Törnbeginn sind ebenso ein Must-Have wie das Wetter im Tagesbriefing. Oder die „Ist klar“-Meldung des Vorschoters im Manöver, die bei einem eingespielten Team auch ein Nicken oder Blick sein kann.

Wir beleuchten, wer sinnvollerweise welche Informationen gibt und wo die Grenze demokratischer Crewführung liegt: Einer muss schließlich den Hut aufhaben. Damit wir als Skipper trotzdem nicht als „Master next God“ rüberkommen – als der alles bestimmende Kapitän, über dem nur noch Gott steht –, lernen wir Methoden der Erwartungsabfrage, Feedbackregeln und die Werkzeuge Briefing und Debriefing kennen. Letztere dienen der strukturierten Abstimmung untereinander – vor und nach dem Törn, einer Etappe oder einem Manöver.
Und weil im echten Leben nicht nur das Wetter, sondern auch der Faktor Mensch gerne mal einen Strich durch den schönsten Plan macht, üben wir in Rollenspielen den flexiblen Umgang mit allen erdenklichen Törnsituationen.
Der Spaß an Übertreibung ist inklusive: Möge Neptun verhindern, dass eine egozentrische Hochsee-Seglerin, ein blutiger Segelanfänger, ein Buchtenbummler mit Hang zur Sterneküche und ein kompromissloser Meilenfresser einen gemeinsamen Schwerwetter-Übungs-Genießer-Meilentörn bei mir buchen!

Vier Grundbedürfnisse entscheiden über Wohlbefinden an Bord
Die Erwartungen und Bedürfnisse innerhalb einer Crew können schon sehr unterschiedlich sein. Und es ist für den Einzelnen längst nicht nur das Gefühl des Gehört-Werdens, das über das subjektive Wohlbefinden bestimmt. Hier kommt das SkipPsy-Tankmodell ins Spiel. Es geht davon aus, dass vier Grundbedürfnisse entscheidenden Einfluss auf die Stimmung des Einzelnen und der Crew haben.
Sinnbildlich als Tanks dargestellt sind dies: ausreichende Erholung und Verpflegung (physiologische Bedürfnisse), die Vorhersehbarkeit von Ereignissen (Bestimmtheit), das Gefühl, die Lage zu beherrschen (Kontrolle) sowie das Empfinden der Gruppenzugehörigkeit (Affiliation).

Bleiben diese Bedürfnisse auf Grund von Konflikten oder schwierigen Situationen unbefriedigt, leidet die gute Stimmung des Teams. Auch das subjektive Kompetenz-Empfinden des Einzelnen bröckelt. Irgendwann sind die Tanks sprichwörtlich leer. Gut durchdachte Crewführung hingegen hilft, diese Tanks stetig aufzufüllen. Das Ziel dabei ist, eine zufriedene Crew zu formen, die bereit ist, sich als Team aktiv ins Geschehen einzubringen.
Meine Aufgabe ist es, als Skipperin fünf „hörende“ Crewmitglieder (interessant, was Hörende alles nicht hören …) und den gehörlosen Rudergänger Markus (von dessen nonverbaler Kommunikation sich jede hörende Crew eine Scheibe abschneiden kann …) für ein Anlegemanöver zu briefen und das Manöver anzuleiten.
Auf dem Weg zur kompetenten Crew wird jeden Tag gelernt.
Rein technisch ist beides gar nicht so schwer. Es sind eher die vielen Manövervorschläge aus den Reihen der Crew, die ausufern. Mitsprache ist ausdrücklich erwünscht, denn gemeinsames Lernen im „Klassenzimmer Cockpit“ und Crewbeteiligung sind das heutige Thema. Doch letztere erweist sich in diesem Zusammenhang als Fluch und Segen zugleich. Die Hinweise der Crew sind wertvoll, aber die Bewertung zieht sich wie Kaugummi.
Subjektiv benötige ich viel zu lange, um meine Affenbande wieder in den sicheren Hafen zu bringen. Geht das auch schneller, ohne als autoritäre Ziege dazustehen? Außerdem ist es verdammt schwer, als Skipperin die Finger still zu halten und statt dessen die Crew „nur“ anzuleiten und machen zu lassen.


Wir üben fleißig weiter: detailliertes Erklären und genaues Nachfragen in Briefings- und Debriefings. Noch mehr W-Fragen kreuzen meinen Weg und gehen mir noch etwas holprig von den Lippen. „Was hat euch geholfen?“ und „Was hat euch irritiert?“ und dann „Was habt ihr für Ideen?“. Es fühlt sich ungewohnt an, im laufenden Prozess Feedback und Anregungen von der Crew abzuholen – für mich als Skipperin, aber auch für die Crewmitglieder. Richard zitiert eine ehemalige Kursteilnehmerin: „Das ist hier ja wie beim Nackttöpfern in der Toskana. Alles wird zerredet!“

Motiviert es die Leute, mitzumachen?
Auch die Frage, was wir als Skipper kommunizieren dürfen, wird heiß diskutiert. Ist es zum Beispiel schlau, der Crew eigene Unsicherheiten und Defizite zu offenbaren? Motiviert es die Leute, mitzumachen oder verunsichert es sie nur? Das Schieberegler-Modell wird geboren. Das Bild passt ganz gut: Als Skipper sitzen wir ständig an einem Mischpult, bemüht, die Regler mit der passenden Tonlage und Informationsdichte zu bedienen. Es ist wie im echten Leben: Auf den richtigen Mix kommt es an!

SkipPsy kann keine vorgefertigten Antworten liefern, das Meer funktioniert ja auch nicht nach Schema F. Aber das Konzept bestärkt mich, meiner Intuition zu folgen. Auch das Führungspersonal hat ein Recht auf learning by doing. Es ist erlaubt, plausible Ideen auszuprobieren oder zu verwerfen und dies der Crew gegenüber offenzulegen.
Das Klassenzimmer Cockpit. Tatsächlich ist „aktiv“ das Stichwort für Tag 2. Ich finde mich im Kreise der 15 Seminarteilnehmer auf der zwölf Meter langen Well-Sailing Yacht Merenneito wieder. Mit so großer Mannschaft gleicht sie einem schwimmenden Affenfelsen.
Ohne Lob kein Lernen. Ohne Fehler auch nicht.
Am dritten Tag lernen wir, dass Fehler als Quell des Fortschritts zu sehen sind – ein zentraler Aspekt des SkipPsy-Führungsmodells. Doch haben wir dies bisher eher auf die Fehler im Manöverablauf bezogen. Aber auch Skipperinnen sind schließlich nur Menschen, also widmen wir uns heute zunächst „unserem inneren Team“ und Methoden der Selbstführung. Wir haben ebenfalls Bedürfnisse und müssen unsere Tanks auffüllen, alles andere ginge nicht nur zu unseren Lasten, sondern zu Lasten der Crew und der Sicherheit.
Wie aber umgehen mit den zahlreichen inneren Stimmen, dem Dienstleister, Zweifler, Sicherheitsbeauftragten oder Draufgänger in uns? Die innere Truppe will bei der Entscheidung über Hafentag oder Höllenritt ein Wörtchen mitreden. Wir erörtern Strategien, die uns in der Skipperrolle Luft verschaffen. Etwa die Fähigkeit, diese inneren Stimmen zuzulassen und zu bewerten, eigene Grenzen und Fehlschläge zu akzeptieren, Kritik und Lob von außen anzunehmen.

Die Crew hilft bei der Entscheidungsfindung
Dazu gehört auch – es wundert nicht mehr – sich vor schwierigen Entscheidungen aktiv Feedback von der Crew einzuholen. Wie schon an den Vortagen stellen Birgit und Richard bewährte Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung vor. Dabei erfinden sie das Rad nicht neu, übersetzen aber den eigentlich für Krisensituationen gedachten FOR-DEC-Prozess – eine Methode zur schnellen, strukturierten Entscheidungsfindung – für den Bordgebrauch.
Dieser der Luftfahrt entlehnte Prozess hilft, zügig Fakten, Optionen sowie Risiken zusammenzutragen und zu bewerten, um diese anschließend umsetzen und überprüfen zu können. Dabei setzt FOR-DEC auf die Schwarmintelligenz: Das Sammeln vieler Ideen soll einseitige (und vielleicht falsche) Entscheidungen einzelner verhindern und die bestmöglichen Optionen auf den Tisch bringen.
Mit anderen Worten: FOR-DEC funktioniert auch bei vermeintlich einsamen Entscheidungen und Alltagssituationen. Also: keine Angst vor Fehlern. Es kann nicht schaden, den Stimmen des inneren Teams Gehör zu schenken und die Crew in den Entscheidungsprozess einzubinden. Womit sich der Kreis schließt. SkipPsy lebt von regelmäßigem Feedback.

Lehren für den Bordalltag
Zurück zum Sommertörn. Vielleicht hätte früheres Reffen den Schaden an Segel und Crewstimmung verhindern können – wohlmöglich hätte mit mehr Vorlauf jemand aus der Crew bedacht, die Reffleine des Vorsegels zu auf einer Klampe zu sichern. Mein Versäumnis. Außerdem habe ich versäumt, die Crew genauer auf die Unwettersituation vorzubereiten. Den Unerfahrenen hätte ich erklären können, was sie erwartet, wie sie sich verhalten sollen und vor allem, dass keine Gefahr für sie bestehen werde.
Zum Trost: SkipPsy lebt von einer offenen Fehlerkultur. Immerhin gelingt es uns, durch detailliertes Erklären der weiteren Wetterlage unsere verängstigte Mitseglerin zu beruhigen – woraufhin sie den Entschluss, von Bord zu gehen, wieder verwirft. „Wie gut, dass ich geblieben bin. Es war eine schöne Segelerfahrung und gut, über den eigenen Schatten zu springen!“


Versöhnliches Feedback
Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Aber SkipPsy funktioniert ja glücklicherweise nach dem Baukasten-Prinzip. Stein auf Stein. Oder, lautmalerisch: learning bei DOING! Ich erinnere mich: Ohne Lob kein Lernen. Ohne Fehler auch nicht.