Eigentlich war ja klar, dass die Frauen vom Hamburger Segel Club den Helga-Cup 2019 gewinnen. Drei Tage lagen sie in fast allen Rennen vorn. Doch dann, beim alles entscheidenden Finale, segeln überraschend die Pulvermädels des Norddeutschen Regattavereins (NRV) an der Spitze. Mit rauschender Fahrt brettern sie unter Gennaker auf die Ziellinie zu, verteidigen ihre Position mit rasanten Manövern und werden jubelnd empfangen. Heimsieg im eigenen Gewässer.
Die Nachricht von diesem Erfolg verbreitet sich in Windeseile. Denn während das HSC Women’s Team fast schon professionell segelt und auch in der Segel-Bundesliga mitmischt, wurden die Pulvermädels von NRV beim Helga-Cup 2019 als Außenseiter gehandelt.
Zwar hat Steuerfrau Nicola Parlow eine tolle Karriere in der Europe-Segelklasse hinter sich. Aber das war in den 1990er-Jahren, als dieses Boot für Frauen eine olympische Klasse war. Und die drei anderen Seglerinnen in ihrem Boot sind mit dem Segelsport eher organisatorisch als regattierend verbandelt.
„Segeln verlernt man nicht“
Nicola Parlow erzählt in einem Interview von ihrem Wiedereinstieg in den Sport: „Segeln verlernt man nicht“, sagt sie. Als sie beschloss, beim Helga-Cup anzutreten, kam das ganze spannende Regatta-Wissen wieder hoch, das 20 Jahre nutzlos in ihr geschlummert hatte. Sie ist froh über diesen Wiedereinstieg.
Ihre Geschichte ist typisch für das, was beim Helga-Cup seit der Ankündigung der Frauen-Regatta 2018 geschieht: Überall in den Vereinen tauchen Frauen auf, die früher aktiv gesegelt sind, sei es im Opti oder auch noch ein paar Jahre danach. Sie sind gerne gesegelt und oft auch sehr gut. Trotzdem waren sie dann irgendwann verschwunden. Auf Nachfragen, warum das so ist, kommen unterschiedliche Antworten. Studium, Beruf, Familie. Keine Zeit. Andere Prioritäten.
Ich glaube, das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist: Es gab und gibt keine Strukturen, die Frauen aktiv im Segelsport fördern. „Damals bekamen die Jungs das neue Boot, wir mussten auf dem alten segeln. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr.“ Solche Sätze hörte man am Rande der Wettfahrten beim Helga-Cup 2019 immer wieder.
Ungleich verteilte Förderung
Ja, Segeln ist teuer. Das Boot, der Trailer, das große Auto, das ihn zieht, die Trainer, die Klamotten, die vielen Reisen – das alles verschlingt erhebliche Summen. Und Geld ist in unserer Gesellschaft immer noch sehr ungleich verteilt. In Deutschland verdienen unter den verheirateten Frauen zwischen 30 und 50 nur 3,4 Prozent mehr als 2.500 Euro netto (Quelle: OECD/WDR). Mit schmalem Budget aber ist eine Sport-Karriere schwer zu stemmen.
„Gender Budgeting“ ist eins der Zauberworte in der Politik zur Zeit. Hamburg diskutiert das Konzept, in Berlin wird es schon umgesetzt. Dabei geht es um die gleichstellungsorientierte Bewertung der Verteilung von Geld, Zeit und Arbeit. Das übergeordnete Ziel ist die Gleichstellung von Frauen und Männern bei der Ressourcenverteilung.
Die Segelvereine sind davon meilenweit entfernt. Wenn die Mittel aus Sportförderung und Sponsoring verteilt werden, ist Gleichstellung kein Kriterium – und auch kein Ziel. Eine statistische Auswertung, wer wann mit welchen Booten, mit welchen Autos und welchen Startgeldern unterstützt wird, fehlt zwar. Aber wer einmal bei einer der großen Regatten war, weiß, wovon ich rede.
Kraft und Selbstbewusstsein getankt
Jetzt hat die Stadt Hamburg den Helga-Cup zum Top-Ten-Event gemacht und aus öffentlichen Geldern unterstützt. Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank nannte die Regatta bei der Preisverleihung „ein ganz starkes Signal für die Sportstadt, aber auch für die Frauen“.
Idealerweise ist das nur ein Anfang – und künftig wird landauf, landab bei der Sportförderung immer auch gefragt, wie man diese Mädchen und Frauen in ihrer Lust auf den Regattasport stärkt. Und was ihnen, über das Kindersegeln hinaus, ein intensives Training ermöglicht. Bis das Helga-Prinzip in den Vereinen ankommt, muss noch viel geschehen. Aber ein Impuls aus der Politik kann Strukturen bewegen.
Die gut 300 Seglerinnen beim Helga-Cup 2019 haben in diesem drei Tagen auf der Alster Kraft und Selbstbewusstsein getankt. Überall hörte man sie auf den Stegen Pläne schmieden, was sie tun wollen, um im nächsten Jahr noch besser zu segeln. Die Hardware dafür ist ja – im Prinzip – in den Vereinen vorhanden. Es geht darum, sie für Frauen zugänglich zu machen.
Unterm Strich haben alle etwas davon. Die Seglerinnen, weil sie segeln können. Und die Vereine, weil auf einen Schlag eine große Gruppe von – bislang überwiegend passiven, nur mitsegelnden oder längst ausgetretenen – Seglerinnen wieder zu aktiven Mitgliedern wird, die Schwung und Leidenschaft mitbringen und die Vereine beleben.