Beim jährlichen Solitaire du Figaro wird in drei Regatten ausgefochten, wer der beste Dompteur der 10-Meter-Einheitsboote ist. Das Rennen fesselt die Grande Nation. Während dieser zwei Wochen am Ende des Sommers kennen die Franzosen nur noch den Atlantik rechts und links von Saint Nazaire.
Gewonnen hat das Solitaire du Figaro 2022 der haushohe Favorit Tom Laperche. Der 25-jährige Franzose segelt mit dem Feuer eines Jungen und dem Gespür eines Alten.

Eine Stunde hat er in der Gesamtwertung Vorsprung vor dem Zweitplatzierten Guillaume Pirouelle, 28 Jahre. Den dritten Platz belegt Achille Nebout, 32 Jahre. Nichts Neues unter der Seglersonne, könnte man denken. Junge Männer aus Frankreich räumen ab.
Aber ein genauerer Blick auf die Tabellenverteilung bringt Überraschungen. Unter den 34 Segelnden sind fünf Frauen. Das macht einen Anteil von circa 14 Prozent.

Aber unter den ersten zehn der Tabelle befinden sich zwei Frauen, Elodie Bonafous und Violette Dorange. Das macht einen Anteil von 20 Prozent. Die Frauen sind also überproportional erfolgreich.
Erkenne dich selbst
Für die deutsche Teilnehmerin Susann Beucke war es schon ein Erfolg, das Rennen überhaupt bis zu Ende durchgestanden zu haben. Sie kam eineinhalb Tage nach Tom Laperche an und belegt Platz 31. Aber die Olympia-Zweite im 49er FX von 2020 startet in der Figaro-Klasse auch als grüner Rookie. Statt gegen die anderen anzutreten, muss sie erst einmal sich selbst im Offshore-Segeln eingrooven.
Übermüdet, aber hellsichtig, zog sie im Gespräch mit float kurz nach dem Rennen ein erstes Fazit.
Susann Beucke: Mir geht’s den Umständen entsprechend gut. Ich bin super erleichtert – und hammermüde. Um 20:15 Uhr kam ich an der Ziellinie an. Leider hat die Schleuse, die mich in den Hafen lässt, um 20:00 Uhr zugemacht. Ein paar andere und ich mussten also bis um 2:00 Uhr nachts auf dem Schiff warten. Dann standen die Leute an der Schleuse mit Champagner und haben uns gefeiert. Das war eine super Stimmung!
Es hat mir geholfen, dass ich nicht die Letzte war, sondern immer Piers Cobham hinter mir hatte. Ich habe total viel durch die Regatten gelernt. Im zweiten Leg bin ich zu viel Risiko gefahren. Jeder hat ja diesen Moment, in dem man denkt: Das schaffe ich schon.
Der Kopf spinnt
Mir ist während der Regatta bewusst geworden, wie sehr das Offshore-Segeln einfach nur ein Rennen gegen sich selber ist. Vor allem jetzt am Anfang für mich. Durch die Müdigkeit spielt der Kopf dir einen Film vor, der gar nicht der Realität entspricht. Ich habe gemerkt, dass man sehr aufpassen muss, ob das, was man denkt, überhaupt wahr ist.

Für das dritte und letzte Rennen durch die Biscaya war sehr viel Wind angesagt. 36 Stunden immer zwischen 30 und 35 Knoten. Es gab zwei, drei Tage am Stück mit über 30 Knoten. Start war Sonntag um 12 Uhr und der Wind kam Dienstagmorgen. Es war so viel Wind prognostiziert, dass die Jungs aus meiner Trainingsgruppe beim Wetterbriefing am Abend vorher gebeten haben, den Kurs zu ändern.
Sie sind noch nie solo durch so viel Wind über einen so langen Zeitraum gesegelt. Sie wussten nicht, wie sie das schaffen sollen. Aber wir waren wohl die einzige Trainingsgruppe, die eine Änderung wollte, und so wurde der Kurs nicht geändert.
Gegen die panische Angst
Ich hatte ab dem Moment panische Angst und dachte die ganze Zeit: In einem Tag kommt der Wind, ok, in einem halben Tag kommt er. Mir ist auf dem Vorwindkurs von Arcarchon einmal rüber zu den Farallons 80 Meilen vor der Wendemarke die Genua gerissen. Sie runterzuholen hat gedauert, da habe ich schon Zeit verloren.
Dann hatte ich die Sturmfock oben, aber das ist ein kleines Taschentuch. Ich dachte, jetzt kann ich aufgeben, ich habe zu viel Schiss. Aber vor dem Rennen hatte ich mir geschworen, jedes Leg zu beenden. Ich wollte ganz viel Erfahrung sammeln.

Es ging auch mit der Sturmfock. Aber ich war viel zu langsam. Ich bin zehn Stunden nach den anderen bei den Farallons angekommen. Der Wind hat dann auch noch direkt gegenan gedreht.
Auf einmal wird dir bewusst: Du bist allein mit dem Wind, mit dem gerissenen Vorsegel, bist weit hinter den anderen, du schaffst das Zeitlimit nicht. Da verstand ich, was für eine enorme Leistung es ist, einfach nur anzukommen. Es war eine Riesenüberwindung für mich.
Ich habe viel geweint an Bord, weil ich so viel Angst hatte. Wenn man so müde ist, hat man keine Kontrolle mehr über seine Gefühle und seine Gedanken. Horrorszenarien bilden sich im Kopf. Es ist mir erst später klar geworden, dass das an der Müdigkeit lag.
Ankommen ist alles
In diesem Moment war allein die Vorstellung, ins Ziel zu kommen, ein gewaltiger Gewinn. Weg vom Leistungsgedanken, hin zu einem bescheidenen Wunsch: einfach nur ankommen.
Für mich war klar, dass ich nicht mit dem Gennaker durch die Nacht segeln will. Das stehe ich nicht durch, wußte ich. Den Autopiloten bekommst du nicht so gut eingestellt. Wenn man zu weit abfällt, kann er sich schnell ums Vorstag wickeln. Dann geht gar nichts mehr. Ich habe den Gennaker also nur bei Licht verwendet und nachts den Code Zero gesetzt. Den kann man immer einrollen.

Dann ist leider in der letzten Nacht auch noch der Code Zero gerissen. Bis dahin hätte ich es nur um zwei Stunden nicht geschafft. Ich bin dann unter Sturmfock mit zehn Knoten ins Ziel gesurft. Mein Zeitlimit war um acht Stunden überschritten, das Rennen galt als nicht beendet.
Es gab Momente mit 39 Knoten Wind. Obwohl ich super-defensiv gesegelt bin, lag das Boot total auf der Seite. Wenn du gegen Leute antrittst, die konstant mit Gennaker gesegelt sind, auch in der Nacht, dann wird dir bewusst, was für eine Riesenleistung das ist. Das Rennen hat bei mir den größten Respekt vor den anderen hinterlassen. Für mich selbst war das Solitaire du Figaro das Kennenlernen meiner Grenzen als Hochseeseglerin.