Der Jubiläumstörn der Aktion „Das segelnde Klassenzimmer“ ist nach 13.000 Seemeilen und 190 Tagen auf See in Wilhelmshaven zu Ende gegangen. 30 Mädchen und Jungen aus ganz Deutschland segelten sechs Monate auf dem Traditionssegler „Roald Amundsen“ nach Mittelamerika und zurück. Dabei haben die Jugendlichen neben der klassischen Seemannschaft auf Traditionsschiffen und -seglern den gymnasialen Unterrichtsstoff und sehr viel fürs Leben gelernt.
Seit 25 Jahren segelt das Klassenzimmer der Hermann-Lietz-Schule Spiekeroog über den Atlantik. Die Reise führt in die Karibik mit Zwischenstopp auf den Kanaren. Weiter geht’s nach Panama und Kuba, um Ende April wieder zurück an der norddeutschen Küste zu sein.
Mit an Bord sind vier Lehrer, die sich wie die Schüler auf den Törn bewerben und der Klasse den Schulstoff vermitteln. Die Schüler und Schülerinnen lernen aber auch Segel zu setzen, Steuern, Navigieren und haben Wetter- und Gezeitenkunde. Sie führen das Schiff nach einigen Wochen bei Tag und Nacht, Wind und Wetter selbstständig.
In Mittelamerika gehen sie für vier Wochen an Land, lernen viel über die Kulturen, die sie besuchen. Sie leben in Gastfamilien, lernen Spanisch, arbeiten bei der Kaffee- und Zuckerrohrernte mit, erkunden auf Exkursionen den Regenwald und lernen Tauchen.
float hat mit zwei der diesjährigen Crew-Mitglieder, Tom Lehmann, 16, aus Bayern, und Rosa Meyer, 15, von der Insel Spiekeroog, über ihre Erfahrungen auf dem Segelnden Klassenzimmer gesprochen.
Wie seid ihr für den Törn ausgesucht worden?
Rosa: Grundsätzlich kann sich jede Schülerin und jeder Schüler bewerben und bei dem Projekt dabei sein. Eine Voraussetzung ist natürlich, dass man gute Schulnoten hat und eine gewisse soziale Kompetenz mitbringt. Dann sprechen sich auch die Lehrer für einen aus.
Tom: Ich habe mich mit einem Bewerbungsschreiben bei der High Seas High School (HSHS) beworben. Wichtig war mein Motivationsschreiben und die Empfehlungen von meiner Schule und der DLRG.
Was wird bei der Bewerbung an praktischem und theoretischem Vorwissen verlangt?
Tom: Vorwissen ist nicht notwendig. Es gab an Bord sogar Leute, die noch nie zuvor auf einem Boot waren. Ich selbst segle, seit ich acht Jahre alt bin.
Rosa: Alles auf so einem Rahsegler ist ja neu und muss erst gelernt werden. Ich habe das Segeln zu Hause auf einer Jolle gelernt.
Wie seid ihr miteinander klargekommen? Gab es eine Eingewöhnung?
Rosa: Viel Zeit, uns aneinander zu gewöhnen, hatten wir gar nicht. Das kam mit der Zeit von selbst. Es musste ja alles schnell gehen! Die Aufgaben, die auf so einem Schiff anfallen, können nicht warten, sondern müssen sofort erledigt werden. Klar, es gab auch mal Stress. Das wurde dann auf einer Schülerversammlung geklärt. Insgesamt sind wir durch die Bewältigung von Problemen sehr gewachsen.
Tom: Wir waren eine coole Truppe und hatten auch Schüler aus Griechenland, der Schweiz, Island und vielen Teilen Deutschlands dabei.
Wie sah euer Tagesablauf auf See aus?
Tom: Wir wurden in zwei Gruppen zu je 15 Schülern aufgeteilt. Die eine Gruppe hatte einen Tag Schule, die anderen hatten Wache und mussten Dienste wie Backschaft, Schiffserhalt und dergleichen übernehmen. Am nächsten Tag wurde getauscht. Während der Landaufenthalte haben wir Ausflüge gemacht und uns Land und Leute angeschaut. In dieser Zeit hatten wir keinen Unterricht.
Rosa: Naja, letztlich spielt sich das Leben an Bord im Rhythmus der drei Wachsysteme ab: Von Mitternacht bis vier Uhr, von vier bis acht Uhr und von acht Uhr bis zum Mittag.
Was habt ihr alles auf dem Schiff gelernt?
Tom: Am meisten haben wir wohl in Nautik, Handwerk und in der Gemeinschaft gelernt. Besonders zurückzustecken und immer wenn Hilfe benötigt wird, mit anzupacken.
Wurdet ihr in allen Fächern des vorgegeben Lehrplans unterrichtet?
Rosa: Nein. Religion, Musik und Chemie hatten wir nicht. Es gab auch kein Latein oder Französisch, dafür aber Spanisch, um uns in den Ländern, die wir besucht haben, ein bisschen verständigen zu können. Alles in allem ist es etwas lockerer als im normalen Unterricht in der Schule. Wenn zu einem Badestopp der Anker fällt, durften wir auch mitbaden, wenn gerade Unterricht war.
Waren nur Lehrer oder Lehrerinnen deiner Schule an Bord?
Rosa: Nein, die Lehrer können sich auch zur Teilnahme an dem HSHS-Projekt bewerben.
Eine Zeitung schrieb: „Ohne Handy, ohne Computer“ … war das wirklich so?
Tom: Ja, wir hatten auf See nur einen Schülerlaptop, um die Tagesmeldung für unseren Reiseblog zu schreiben. Unsere Handys gab es nur bei den Landaufenthalten, allerdings erst, wenn das Schiff klar war.
Rosa: Es war gar nicht so schlimm. Auf See hast Du sowieso keinen Empfang. Und meist gab es auch gar keine Zeit dafür. Selbst, als sie mal vergessen hatten, die Handys einzusammeln, war das kein Thema. Ich war froh, nicht ewig erreichbar gewesen zu sein, um zu erzählen, wo ich gerade bin und wie es mir geht.
Musstet ihr auch in die Rah klettern?
Rosa: Ja. Alle, die fit waren, also nicht krank waren oder eine Verletzung hatte, konnten in die Rah steigen. Beim Einlaufen in Wilhelmshaven stand ich auf der Bramrah. Da wollten natürlich möglichst alle hoch und es wurde gelost. Unterwegs mussten wir auch hoch, um Segel zu setzen oder einzupacken.
Tom: Man musste man nicht in die Rahen klettern, aber am Ende waren doch alle oben gewesen. Da ich auch im Alpenverein klettere, hatte ich kein Problem mit der Höhe. Aber es ist schon etwas anderes, in 30 Metern Höhe auf einer schwankenden Rah zu stehen.
Seekrankheit … war das ein Thema?
Rosa: Ja. Nach dem ersten großen Sturm lag ich über 30 Stunden in der Koje. Da war ich platt.
Tom: Für einige leider ja. Immer, wenn wir rausgefahren sind, gab es ein paar Ausfälle. Ich war zum Glück nicht betroffen – und „durfte“ dafür die ein oder andere zusätzliche Backschaft, also Arbeit in der Küche, übernehmen.
Stichwort Koje: Habt ihr nur in Kojen geschlafen?
Rosa: Nein, im großen Raum im Vorschiff haben wir auch in Hängematten geschlafen. Ich habe noch nie so gut geschlafen!
Wurden keine Mittel gegen Seekrankheit verabreicht?
Rosa: Nein, dann kriegst Du das ja nie in den Griff und brauchst die immer wieder. Und dann darfst du auch nicht ins Rigg. Ingwertee haben sie mir immer einzuflößen versucht. Der hat ein bisschen geholfen.
Welche Aufgaben an Bord standen bei euch weiter unten auf der Prioritätenliste?
Tom: Toilette und Duschen putzen.
Rosa: Eigentlich egal! Das Motto hieß: 1. das Schiff, 2. das Schiff, und 3. das Schiff. Das heißt, es musste alles gemacht werden, was anfiel. In einer funktionierenden Gemeinschaft kann man darauf keine Rücksicht nehmen, ob einem die Arbeit – wie Essen zubereiten, Reinschiff, Segel setzen – gefällt oder nicht. Das Schiff hatte immer oberste Priorität.
Was hat Dir am meisten Spaß gemacht?
Tom: Baden in der Karibik, mit den Kuna-Indianern spielen und ihren Regenwald entdecken. Nicht zu vergessen die Delphine und Wale, die uns begleitet haben. Und unterwegs in der Sturmnacht bei Cherbourgh mit den anderen das Boot sicher zu segeln. Der Aufstieg zum Teide auf Teneriffa bei Sonnenaufgang war auch spetakulär.
Rosa: Ich fand Kuba wunderbar, eine tolle Insel. Und Havanna ist eine wunderschöne Stadt. Auch Costa Rica war toll. An Bord war das Beste, dass ich als jüngstes Crewmitglied das Schiff steuern durfte.
Wird Segeln, privat oder beruflich, in Deinem Leben weiterhin eine Rolle spielen?
Tom: Ja. Ich habe mich bereits für die nächsten Ferien zur einer Regatta verabredet.
Rosa: Ich möchte in den Ferien als Stammcrew auf der „Roald Amundsen“ anheuern. Ich bin schon im Gespräch.
Wie ist es, wenn man nach einer so langen und interessanten Reise wieder nach Hause kommt?
Tom: Komisch. Man schläft wieder in einem bequemen Bett, hat Wasser ohne Einschränkung zum Duschen. Überhaupt ist alles viel einfacher, aber eben auch nicht so abwechslungsreich und spannend wie auf See.
Rosa: Sich an den hiesigen Alltag zu gewöhnen, dauert. Und es wird wohl auch noch ein bisschen dauern.
Was möchtet ihr unseren Leserinnen und Lesern noch sagen?
Tom: Ich würde jedem, der die Möglichkeit dazu hat, empfehlen mitzusegeln. Ich würde jederzeit wieder mitfahren.
Rosa: Dem kann ich mich nur anschließen.
float: Wir danken euch für das Gespräch.
Der gut halbstündige Film über das segelnde Klassenzimmer dokumentiert das Segelnde Klassenzimmer mit viel Tiefgang:
Der Törn 2018/19 findet übrigens auf der 36 Meter langen Johann Smidt statt. Der Zweimast-Gaffelschoner wurde 1974 in den Niederlanden speziell für Jugendreisen gebaut.
Weitere Angebote für Schule auf See
Unter der Leitung und Organisation von Prof. Dr. Thomas Eberle der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg können Schülerinnen und Schüler in der 10. Klasse auf dem fast 50 Meter langen Dreimast-Toppsegelschoner Thor Heyerdahl an Bord gehen.
Mit dem Ocean College gibt es in Berlin ein weiteres Angebot. In mehreren Etappen geht es auf dem Dreimast-Schoner „Regina Maris“ ab Amsterdam über Portugal nach Mittelamerika und über Irland wieder zurück nach Holland.
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