Sie starten offline, während andere sich aus dem Einzelhandel zurückziehen. Wie geht das?
Steinkuhl: Ich beschäftige mich seit 30 Jahren mit dem Handel. Wir sind im Consumer-Bereich, egal ob es sich um Tennis, Reitsport, Golf oder Wassersport handelt – alles, womit sich der Endverbraucher belohnt. Ich bin Motorradfahrer. Natürlich weiß ich, dass die Marke meines Vertrauens in ganz Deutschland vertreten ist. Aber wenn ich einen Shop sehe, gehe ich trotzdem rein, auch wenn ich weiß, wo was da hängt.
Mein Freizeiterlebnis beginnt beim Shoppen. Es gibt Studien, die das ganz klar belegen. Ich setze mit AWN auf Multi-Channel. Sprich: Da wo der Kunde ist, sind wir. Mobil, online und auch im Katalog. Ich glaube nicht an „online only“ in diesem Segment.
Beratungs-Klau ist kein Problem
Ein Beispiel: Ein Bootseigner hat ein Problem mit einem Teil an seinem Boot. Er schraubt das ab, nimmt es mit und fährt zu uns in die Filiale, holt es raus und sagt: „Ist kaputt, das brauche ich neu.“ Das geht im Internet nicht! Natürlich kannst Du die eine Hose oder Jacke bestellen, wenn der Schnitt nicht geändert wurde.
Im Einzelhandel wird ja viel geklagt: Die Leute lassen sich beraten und kaufen anschließend billig im Web …
Steinkuhl: Beratungs-Klau nennt man das. Aber für uns ist das kein Thema. Das liegt auch an der Historie des Unternehmens. Wir sind 276 Jahre alt, das älteste Unternehmen in der Branche. Unsere Boots-Aktion im März ist ein gutes Beispiel: 80 Prozent der Menschen, die das Boot gekauft haben, haben das Geld vor der Abholung überwiesen – und ohne es sich angesehen zu haben. Weil sie es unbedingt haben wollten und weil sie der Marke A. W. Niemeyer vertrauen.

Wir haben heute einen Opti verkauft, da hinten steht er noch, einfach so bei Eröffnung des Ladens. Von unserem Deko-Roller mit Elektroantrieb dort hinten, den ich gar nicht im Angebot habe, hätte ich schon zehn Stück verkaufen können. Kunden sagen mir hier, dass sie es spannend finden, dass der Warenbereich Wassersport zu ihnen kommt und sie sich nicht bewegen müssen.
Sind auch andere Locations vorstellbar, ganz nah am Wasser – oder ganz weit weg?
Steinkuhl: Aber ja, geplant habe ich beides. Ich möchte unbedingt einen Store direkt am Wasser, da bin ich schon dabei. In Europa, mehr darf ich im Moment nicht sagen. Ich kann mir aber auch einen Pop-Up-Store in einem Möbelhaus von 60.000 qm vorstellen, denn ich bringe dem Möbelhaus neue Kundschaft – und umgekehrt.
Eigene Marken promoten
AWN vertreibt unter dem Label „Ocean“ zunehmend eigene Produkte, Sie nennen es Exklusivmarken. Wollen Sie Markenherstellern Konkurrenz machen?
Steinkuhl: Auf keinen Fall. Wenn Sie neue Kundengruppen erschließen wollen, gibt es verschiedene Wege. Einer ist, seine eigenen Marken zu spielen. Damit teasern Sie Menschen an, die bisher mit Wasser- oder Bootssport nichts zu tun hatten. Das können Sie mit dem Susi-Sorglos-Paket. Damit ist man in 15 Minuten auf dem Wasser.
Gibt es da eine Grenze, um die Fremdmarken nicht zu schädigen?
Steinkuhl: Wir sind immer nur der Einstieg, eine Abrundung. Wir sind mit Sicherheit nicht vergleichbar mit einer Marke wie Helly Hansen. Denen wollen wir auch nicht den Rang ablaufen. Wer sich eine Helly-Hansen-Jacke für 300 bis 400 Euro noch nicht leisten möchte, bekommt etwas von uns für etwa die Hälfte, um dann irgendwann den nächsten Schritt zu machen.
Könnte ich komplett ausgestattet mit AWN auf See gehen?
Steinkuhl: Das können Sie: über Schuhe, Hose und Jacke bis zu Boot, Trailer und Motoren – alles. Eben das Susi-Sorglos-Prinzip.
Ein Problem online ist ja auch Produkt-Piraterie …
Steinkuhl: Da habe ich meinen Finger drauf. Wir sind Inhaber der Exklusiv-Marke, und das kann man nicht 1 zu 1 nachmachen. Ein No-Name kann Copy und Paste machen. Das ist mit einer Marke extrem schwierig. Versuchen Sie mal, für Amazon eine HH-Funktionsjacke nachzubauen. No way.
Die Funktion, die Faser, die Ausstattung, die Ausrüstung – das können Sie nur sehr schwer kopieren, da steckt Know-how drin. Das ist bei uns nicht anders. Sie können nicht von heute auf morgen eine Secumar-Weste kopieren. Im sicherheitsrelevanten Bereich sowieso nicht.
Am Wochenende wird bestellt
Steinkuhl: Beim Online-Geschäft müssen Sie zwischen In- und Ausland unterscheiden. Im Ausland bestellt sich der Kunde seine Ware zum Boot. In Deutschland lässt er sich die Ware nach Hause bringen. Oder sie holen es in der Filiale am Montag ab. Es geht absolut um Flexibilität. Bestellt wird in Ruhe am Wochenende mit dem Katalog.
Noch so ein vermeintlicher Anachronismus: Wird es die Kataloge in Zukunft geben?
Steinkuhl: Schauen Sie das große Hamburger Unternehmen Otto an. Die haben zwar ihren Hauptkatalog eingestellt. Aber legen Sie mal die Spezialkataloge übereinander und messen die Dicke. Will sagen: Wir müssen in spätestens zwei Jahren auf Knopfdruck aus dem Hauptkatalog mit 30.000 Artikeln Spezialkataloge drucken können, die auf die spezielle Zielgruppe passen.
Ich produziere einen Katalog für Camping-Freaks, die auch Bootsbesitzer sind. Ich habe einen Spezialkatalog für Boots-Einsteiger und für Segler. Das ist die Zukunft – und dabei keine neue Weisheit.
Kunden kommen mit Post-Its im Katalog
Kommen Sie am Samstagmorgen in unsere Stores. Die Leute kommen mit Katalogen in die Filialen, haben gelbe Post-it drin, haben sich abends oder übers Wochenende schlau gemacht und wollen exakt aus dem Katalog diese Artikel haben.


Wir haben Kunden erlebt, die kommen am Montag, wollen einen Plotter kaufen, doch ihr Ansprechpartner hat frei. Dem Kunden wird gesagt: „Der ist morgen erst wieder da.“ Anfangs habe ich gedacht: Der kommt nicht wieder, der besorgt sich das im Internet. Falsch! Der Kunde kommt am nächsten Tag wieder, redet mit seinem Fachberater – denn den kennt er seit zehn Jahren. Unsere Berater wissen auch, welche Boote die Kunden fahren. Und außer uns gibt es in Europa keinen Filialisten dieser Art …
Vielleicht ist ja nur Platz für einen Spezial-Filialisten. Brauchen Sie zusätzliches Publikum, indem Sie Events veranstalten?
Steinkuhl: Es ist natürlich ein Kapazitäts-Thema, vor allem zu Coronazeiten. Wir haben eine ganze Menge Anfragen zu Handelspartnerschaften. Das können wir gar nicht alles bedienen. Denn es ist ein absoluter Boom in der Wassersportbranche. Wir müssen sehr selektiv daran arbeiten, es ist alles eine Frage der Manpower.