Das Wetter ist herrlich, die Stimmung ausgelassen, meine Freundin und ich sind auf dem Weg ins Hotel. Drei Tage romantische Zweisamkeit sind geplant. Danach muss ich wegen einer dringenden privaten Angelegenheit für zwei Wochen nach Deutschland. Vanessa hatte extra Urlaub genommen, damit wir die letzten Tage gemeinsam verbringen können. Der Rückflug in zwei Wochen ist zwar gebucht, aber wer weiß schon, wie weit sich die Covid-Welt bis dahin gedreht haben wird.
Als ich mein Handy ausschalten will, damit wir tatsächlich ungestört sind, sehe ich die verhängnisvolle Nachricht: „Ich bin in der Lagune von Holbox vor Anker. 21 31 N 087 20 W. Mein Wellenlager ist gebrochen. Brauche Hilfe. Johnny.”
Mein Freund Johnny von der Yorkshire Rose ist mit seiner Freundin, seiner Schwester und zwei Freunden vor zwei Tagen mit seiner kleinen Beneteau First 29 Richtung Isla Holbox aufgebrochen. Ich rufe zurück, jedoch keine Antwort. Isla Holbox, auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan ist zwar für ihr riesiges Vogelschutzgebiet berühmt, nicht jedoch für ein gutes Handynetz. Wenn sein Antrieb defekt ist, kommt er ohne Hilfe nie aus der Lagune raus. Zu eng ist das Labyrinth an Untiefen, zu flach die vorgelagerte Barre.
Es braut sich was zusammen

Kein Wort. Die Spannung ist greifbar. Ich überfliege den Wetterbericht und ertappe mich dabei, einen winzigen Augenblick zu hoffen, dass das Wetter vielleicht doch zu schlecht sein könnte zum Auslaufen. Eine Kaltfront aus Nord ist angekündigt, nichts besonderes zu dieser Jahreszeit. Eine Kaltfront in diesen Breiten meint Temperaturen von knapp unter 20 Grad Celsius.
Es wird ungemütlich da draußen, aber gefährlich wohl nicht: fünf bis sechs Windstärken aus Ost bis Nordost, zwei bis drei Meter See. Was nicht im Wetterbericht steht: Die Welle wird kurz und ruppig sein, da der Wind gegen den mächtigen Yukatan-Strom steht. Aber es gilt, einem Freund zu helfen.

Das Taxi hält, und das wesentlich gefährlichere Unwetter ist bereits verflogen: „Cuídate mucho, mi vida!” (Pass gut auf Dich auf, mein Schatz!). Ein letzter Kuss und ich springe gerade noch auf die Fähre, auf der man bereits dabei ist, die Gangway einzuholen. Zwanzig Minuten später erreiche ich Isla Mujeres. Nach einer Stunde sind wir seeklar, Seefalke und ich. Der aktuelle Wetterbericht ist eingeholt, die Route geplant, der Motor läuft, kurz vor Sonnenuntergang gleitet Seefalke rückwärts aus seinem engen Liegeplatz.
Es rumpelt im Salon
Isla Holbox liegt circa 80 Seemeilen von hier, hinter Kap Catoche, also bereits im Golf von Mexiko. Die Hälfte der Strecke wird mich direkt nach Norden durch die Straße von Yucatan in der nordwestlichen Ecke der Karibik führen, dann scharf links in den Golf von Mexiko auf Kurs West, bevor es an die anspruchsvolle Ansteuerung der Lagune geht.
Der Wind weht aus Ost-Nord-Ost mit konstant 20 bis 25 Knoten und wie erwartet steht eine kurze, steile Welle da draußen. Unter Motor überquere ich das Riff mit seinen unangenehmen Brechern und halte noch zwei Stunden gegenan, um auf meinem Weg nach Norden sicheren Abstand zur Isla Contoy zu halten, die lange an meiner westlichen Flanke liegen wird.
Als wir tief in eine Welle eintauchen, rumpelt es plötzlich beträchtlich im Salon. Na, vielleicht war ich doch nicht so seeklar.