Bis zum 14. Dezember war für Charlie Dalin die Welt mehr als in Ordnung. Unangefochten führte er die Vendée Globe an. Doch dann krachte es auf dem Boot des 36-jährigen Franzosen. 900 Meilen südwestlich von Tasmanien wurde sein Backbord-Foil beschädigt. Wie float berichtet, bekam er den Schaden in den Griff und konnte wieder durchstarten. Aber das Spitzenfeld war ihm 120 Meilen vorausgeeilt.
Der Indische Ozean überrascht auf dieser Vendée Globe mit freundlichstem Urlaubswetter. Ein paar Tiefs musste Charlie unter maximal gerefftem Großsegel abreiten. Aber die Großwetterlage wird von einem Hoch bestimmt, dass sich immer stärker ausbreitet. Die Segler schicken Fotos und Videos von blauem Himmel und glatter See – und ärgern sich über die schwachen Winde. Der Pazifik könnte die Wende bringen.
Das Führungstrio Yannick Bestaven auf „Maitre Coq“, jetzt erstmals auf Platz 1, Thomas Ruyant auf LinkedOut, der gestern Abend um 21 Uhr über Wassereinbruch im Vorschiff berichtete – und auch Charlie Dalin werden es als Erste erfahren.
Vorschusslorbeeren
Charlie Dalin gehörte schon im Vorfeld der Regatta zu den Top-Favoriten. Auch ich habe ihm einen Spitzenplatz vorausgesagt. Er hat zwar keine Rennen in der Figaro-Klasse gewonnen, war aber immer auf dem Podium. 2019 hat er mit Co-Skipper Yann Elies gleich beim Jungfernrennen seiner neuen IMOCA Apivia die Transat Jacques Vabres gewonnen, gefolgt von einem zweiten Platz beim diesjährigen Vendée Arctic Race hinter Jeremie Beyou auf Charal.
Seine Yacht wurde von Verdier entworfen und bei CDK Technologies gebaut. Als gelernter Schiffbauingenieur mischte Charlie entscheidend bei Entwurf und Bau mit, um die Apivia perfekt auf seinen Segelstil abzustimmen.

Charlie startete für den Versicherungskonzern MACIF in der Figaro-Klasse und rückte dann für die MACIF-Tochter Apivia Mutuelle in die IMOCA-Klasse auf. Gemanagt wird das Projekt von Mer Concept aus Concarneau in der Südbretagne, gegründet 2006 von Profisegler Francois Gabart. Gabart gewann die Vendée Globe 2012.
Und er stellte 2017 mit dem Trimaran Macif einen Geschwindigkeitsrekord für eine Soloweltumseglung auf: 42 Tage, 16 Stunden, 40 Minuten und 35 Sekunden. Mit seiner Erfahrung und Kompetenz setzte sich Gabart ganz direkt für Charlie ein. Er, Charlie und Pascal Bidégorry haben gemeinsam die Apivia eingesegelt.

Ich selbst habe mit Pascal Bidégorry ein Rolex Fastnet Race bestritten. Pascal weiß bestens Bescheid, ist hoch fokussiert und arbeitet nur mit Profis. Aber er strahlt auch immer aus, wie viel Spaß ihm das Regattasegeln macht. Von ihm und Francois Gabart lernen zu dürfen, muss für Charlie von unschätzbarem Wert gewesen sein. Ich wäre selbst gerne ein Schwamm, der das Wissen dieser Segellegenden aufsaugt.
Theta als Stimmungstief
Charlie ärgerte sich darüber, dass er sich weniger draufgängerisch als Alex Thomson auf Hugo Boss in das Sturmtief Theta gestürzt hatte. Er war zurückgefallen, um Theta den Vortritt zu lassen. Das hatte ihn einige Meilen gekostet. Aber er holte sie auf der Strecke durch die Flautenzone in die südliche Hemisphäre wieder auf.

Kurzzeitige Vorsicht ist auf lange Sicht kein Fehler, lernte er daraus für seine weitere Strategie. Für jemanden ohne Erfahrung im südlichen Ozean hat er es sehr souverän verstanden, zwischen maximaler Geschwindigkeit und minimalem Risiko abzuwägen.

Gebürtig aus Le Havre, hat Charlie seine Segelkarriere mit sechs Jahren bei einem Urlaub in der Bretagne begonnen. Mittlerweile zählt er zum Top-Nachwuchs im Solo-Offshore-Segeln. Der Bootsbauingenieur gehört eher zum rationalen und beherrschten Typ, der Probleme analytisch statt impulsiv angeht. Als Mitarbeiter im UK-Team beim America’s Cup fühlt er sich im Englischen genauso wohl wie in seiner französischen Muttersprache. Zweimal, 2014 und 2016, wurde er zum „Elite French Singlehanded Offshore Racing Champion“ gekürt.

Der große Prinz und die kleinen Prinzen
Bei den Vorbereitungen für diese Vendée Globe hat Charlie nichts dem Zufall überlassen. Seine körperliche und psychische Fitness hat er so optimiert, dass ihn eigentlich nur eines vom Sieg abhalten kann: Pech. Aber bis jetzt scheint er im Gegenteil – trotz des Foil-Schadens – vom Glück verfolgt. Charlie ist auf dem besten Weg, sich seinen größten Traum zu erfüllen.
Anderen Menschen hat die Apivia schon ihre größten Träume erfüllt. Charlie und Apivia Mutuelle haben sich mit dem französischen Wohltätigkeitsverein Petits Princes zusammengetan. Gemeinsam ermöglichen sie schwerkranken Jugendlichen einen Törn auf der IMOCA-Yacht. Für diese Jugendlichen hat Charlie schon längst gewonnen.