Tausende säumen jubelnd den Kanal von Les Sables d’Olonne. Plakate werden hochgehalten, Trillerpreifen geblasen, laut gejubelt. Kamerateams ringen um die besten Plätze neben der IMOCA 60, die langsam in den Hafen einfährt, nachdem sie Minuten zuvor die Ziellinie der rund 24.000 Seemeilen langen Regatta um die Welt passiert hat. Ein typisches Szenario, dass alle vier Jahre bei der Vendée Globe stattfindet. Am vergangenen Freitag wurde jedoch nicht der Sieger bejubelt, sondern der Sechzehnte. Zwar wird jeder, der die wohl härteste Regatta der Welt beendet, wie ein Sieger gefeiert. Einen solchen Auflauf gab es wohl noch nie für einen Vorvorletzten.

Der Kanal sind die letzten paar Meter einer Reise, die mich drei mal um den Erdball führte und zehn Jahre gedauert hat.
Bei Conrad Colman, dem „Crazy Kiwi“, ist die Platzierung völlig egal. Tage zuvor lag er auf einem beachtlichen 10. Platz mit seiner kaum konkurrenzfähigen, 13 Jahre alten „Foresight Natural Energy“. Der Neuseeländer fiel jedoch bereits vielen schon vorher auf, als er im Südpazifik bereits einige Probleme hatte und diese stets mit viel Humor bewältigte: Kenterung, Brand der Elektrik, Überbordgehen und ein Fast-Mastbruch konnten nicht ändern, dass Colman seine gute Laune behielt, lustige Filme postete und oft tief in seine Gefühlswelten einblicken ließ. Der #CrazyKiwi sammelte in den vergangenen Wochen Follower, Fans, Herzen und Freunde ein wie sonst kaum jemand. Erst recht, als er kurz vorm Ziel einen Mastbruch erlitt und sich aus den übrig gebliebenen Resten seines Großbaums und eines Stück Großsegels ein Notrigg baute. „MacGyver“ ist sein neuer Spitzname. Doch das reduziert diesen Mann zu sehr auf handwerkliche Fähigkeiten. Conrad Colman ist mehr.

Zehn Jahre lang war jeder Tag ein Kampf, um es bis zur Startlinie zu schaffen.
Er ist mehr als ein fabelhafter Segler, Notrigger und Krisenbewältiger. Colman ist ein Kämpfer mit Herz und Herzblut. Colman begeistert sich und die Menschen. Ohne großes Budget hat er das Schiff gekauft und die Vendée Teilnahme jahrelang geplant. Er wollte sich diesen Traum erfüllen, setzte alles auf diese Karte. Selbst seine Wohnung hat er dafür mit einer Hypothek belastet. Erst kurz vor dem Start kam der Sponsor „Foresight“ an Bord. Colman hat keine Millionen Euro schwere Kampagne: Das Team besteht aus Familie und Freunden, aus Enthusiasten. Der 33-Jährige, der in Frankreich wohnt, ist ein positiv Getriebener, den Rückschläge nicht aus der Fassung bringen. Das Sinnbild dafür ist bei der Ankunft zu erleben: Die obligatorisch gezündeten Leuchtmittel machen kurz „Puff“ und sind gleich wieder aus. Colman lächelt, wirft sie weg und breitet die Arme aus. Beim zweiten Versuch klappt es dann.
Nun kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass man alles erreichen kann.
„Dieses Rennen war härter als ich mir das vorgestellt habe – und ich war gut vorbereitet. Aber es war eine großartige Gelegenheit zu kämpfen. Zu kämpfen für etwas, an das ich geglaubt habe und für das ich die Energie in mir hatte. Ich konnte zeigen, dass es sich lohnt, für seine Sache zu kämpfen – und dass man so viel erreichen kann.“
Colman ist voller Demut, als er auf der Kante seines arg ramponierten Schiffes sitzt und in der Sonne die Fragen der Journalisten beantwortet. Er merkt immer wieder an, dass ihn sein Team dorthin gebracht habe und wie dankbar er den Fans weltweit für den Zuspruch sei. Solche Sätze sind nach jedem Rennen zu hören, aber in Colmans Worten schwingt nichts auswändig Gelerntes mit. Er spricht frei heraus, seine Worte kommen sichtlich von Herzen. Ein paar Minuten zuvor, kurz vor dem Ende des Kanals, zeigt er, wie nahe er den Fans ist und wie dankbar zugleich. Fernab jeglichen Protokolls springt er von Bord auf ein Rib, lässt sich zum Ponton fahren, schüttelt fremden Menschen die Hände und läuft an den Zuschauern vorbei. Dann lässt er sich wieder zu seinem Boot bringen um anzulegen.

Das Rennen hat sich nicht wie ein Solo-Race angefühlt. Mein Team und die ganzen Botschaften und aufmunternden Worte der Leute da draußen gaben mir nie das Gefühl, allein an Bord zu sein. Ich konnte daraus so viel Energie schöpfen.
Der Neuseeländer ist den Tränen nahe, als ihn ein Journalist direkt nach der Ankunft nach seinen Gefühlen fragt: „Weißt Du, diese Fahrt eben durch diesen Kanal, die letzten Meter… es war überwältigend. Ich kann nicht glauben, dass die alle wegen mir gekommen sind. Ich bin doch nur ein unbedeutender Kerl aus Neuseeland, der an einem Segelbootrennen teilnimmt.“ Auf die Frage, warum er niemals aufgegeben hat, antwortet er: „Ich bin wahnsinnig.“Man nimmt ihm jedes Wort ab.
Er hat nie ans Aufgeben gedacht. Auch als der Mast brach, war das keine Option für ihn. „Ich habe zehn Jahre lang jeden Tag alles dafür getan, um an den Start gehen zu können. Dieser Mastbruch – es war nur ein Mastbruch, aber es war auch im Prinzip wie die ganzen letzten zehn Jahre. Ich musste jeden einzelnen Tag davon genauso hart kämpfen wie bei diesem Mastbruch. Da gibt man nicht einfach auf.“
Colman macht das Außergewöhnliche und er ist außergewöhnlich. Auf seiner Facebook-Seite erscheint nach der Ankunft ein Video, dessen Ende eine klare Botschaft hat: „Ready for 2020!“ Kaum jemand bezweifelt wohl noch, dass dieser Gänsehaut-Mann einen Sponsoren findet, der ihm die Vendée in vier Jahren ermöglichen wird.
4 Kommentare
Sein Boot is nich gekauft sondern gechartert …
Krümmel krümmel, aber hey, is halt so.
Nachtrag: Was im übrigen ein grosses Problem ist, da er es in den Ursprungszustand versetzen muss…
Gut geschrieben Stephan, Danke!
….klasse, solche Typen braucht die Segelei, aber eben auch so ein verrücktes Publikum, wie die Franzosen….