An unserem Liegeplatz in Kefalonia planen wir die Passage durchs Ionische Meer an die italienische Stiefelspitze, 230 Meilen nach Westen. Im westlichen Mittelmeer spielt das Wetter derzeit verrückt. Das Wasser ist mit über 30 Grad Celsius fünf bis sieben Grad wärmer als normal und über den Balearen hat sich kalte Höhenluft festgesetzt. Ein Mischung, die gewaltige Kraft erzeugen kann.
Der Cape-Index, der zur Beurteilung der Wahrscheinlichkeit und Stärke von Gewittern dient, ist extrem hoch. Und das für die kommenden Tage, wenn nicht Wochen. Auf Korsika wird eben diese Konstellation für ein gewaltiges Unwetter mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 200 Stundenkilometern sorgen, bei dem mehrere Menschen ihr Leben verlieren und Dutzende Yachten an den Ufern der Insel zertrümmert werden.
Wir checken diverse Wettermodelle, Gewitterwarnungen, Windprognosen. Für den Tag unserer geplanten Abreise sehen wir ein breites Gewitterband, das von Süden nach Norden durch das Ionische Meer zieht.

Da wollen wir auf keinen Fall hineingeraten. Gewitter mitten auf See, zumal in der Nacht, das ist der Alptraum eines jeden Seglers. Ein Blitzeinschlag in der Nähe, er muss das Boot nicht einmal treffen, kann die gesamte Bordelektronik lahmlegen. Ganz zu schweigen von den oft orkanartigen Böen, die mit den schwarzen Wolken kommen.
Alles läuft aus dem Ruder
Wir beschließen, einen Tag länger auf Kefalonia zu bleiben. Wir planen unsere Abfahrt für den 12. August, freuen uns auf eine Vollmondnacht unter Segeln und Sternschnuppen am Firmament. Der Höhepunkt der Perseiden steht in dieser Nacht an. Die Wetter-, Wind- und Unwetterprognosen sind okay. Vielleicht mal ein Regenschauer oder Wetterleuchten in einiger Entfernung über dem griechischen Festland, mäßiger Wind aus nicht optimalen, aber annehmbaren Richtungen.
Mittags lichten wir den Anker. Die Navigations-App Savvy Navvy lassen wir einen Kurs berechnen. Er deckt sich in etwa mit dem, was auch ich mir ausgerechnet habe. Zunächst Höhe gewinnen, um dann mit nordwestlichen Winden an die Stiefelspitze abzulaufen.

Die App prognostiziert nur leichte Winde, ein Drittel der Strecke müssten wir motoren. Laut PredictWind müssten wir aber fast die gesamte Strecke segeln können. WetterOnline zeigt keine Gewitter auf unserer Route.
Von den Vorhersagen machen wir Screenshots und Videos. Wir haben zwar ein IridiumGo für Satellitenempfang an Bord, haben es aber aufgrund der hohen laufenden Kosten noch nicht aktiviert. Im Mittelmeer schien uns das nicht nötig, da wir meistens Mobilfunkempfang haben und die Prognosen in der Regel für 48 Stunden zumindest eine gute Tendenz geben. In der Regel. Doch bei dieser Überfahrt läuft alles aus dem Ruder.
Blitze rechts, Blitze links
Als wir Kefalonia bei strahlendem Sonnenschein verlassen, brauen sich bereits hohe Wolken über dem griechischen Festland zusammen. So wie angesagt. Doch bereits der erste Sonnenuntergang genau vor dem Bug auf See verschwimmt im dicken Dunst. Wir sehen die ersten Blitze vom Himmel zucken, hören dumpf das Grollen des Donners. Aber alles hinter uns. Kein Problem.
Es ist unerträglich schwül, das laue Lüftchen kühlt kaum, aber immerhin segeln wir mit fünf Knoten Fahrt hoch am Wind. Kein Licht weit und breit, kein AIS-Signal auf dem Kartenplotter. Wir sind allein auf dem weiten Meer. Selbst der Vollmond versteckt sich vor uns hinter dicken Wolken. Es muss gegen 22 Uhr sein, als erste Blitze steuerbord voraus zucken.

Wir versuchen, Unwetter-Apps aufzurufen. Kein Empfang! Wir schauen uns die Screenshots der Prognosen an. Wahrscheinlich sind das die Gewitter ganz weit im Norden, beruhigen wir uns.
Dann blitzt es auch an Backbord. Und wieder an Steuerbord. Und genau vor uns. Mit jeder Minute werden die Blitze heller, erleuchten von innen für den Bruchteil einer Sekunde dunkle Wolkentürme. Mal sieht man einen Blitz, der fast senkrecht ins Wasser schießt, andere flackern fast waagerecht über den Himmel, am unheimlichsten empfinde ich aber die, die nur den riesigen Pilz aus Wolken von innen dämonisch erleuchten.
Die Ruhe im Sturm
„So muss die Apokalypse aussehen“, denke ich. Arzum hatte schon vor Beginn der Reise gesagt, dass sie sich nur vor Gewittern fürchtet, so wie die Gallier davor, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Ich versuche, mir meine Unruhe, meine Angst nicht anmerken zu lassen.
Die Katze miaut, der Hund hustet. Ich bin hochgradig angespannt. Ich hole die Segel ein, starte den Motor. Denn sollte ein Blitz das Boot treffen und die Elektronik schrotten, könnten wir nicht einmal die Maschine starten. Auch weiß ich nicht, ob das Gewitter Sturmböen mitbringt.