„Nirgends war der Kaiser zufriedener als in Kiel.“ Das hatte Bernhard Fürst von Bülow einmal gesagt. Doch was meinte der von 1900 bis 1909 regierende Reichskanzler damit? Die Eckernförder Yachtmatrosen hatten daran sicher ihren Anteil.
Wir schreiben das Jahr 1906, die Zeit der großen kaiserlichen Schoner-Yachten. Wilhelm II., der letzte deutsche Kaiser und König von Preußen, hatte es sich in den Kopf gesetzt, seinen Vorstellungen vom Kaiserreich als Weltmacht auch als dem Wasser Weltgeltung zu verschaffen. Und das nicht nur mit Hilfe von Kriegsschiffen, Häfen und Werften, sondern auch mit dem seit einiger Zeit wachsenden Segelsport.
Segelsport als Weltpolitik
Alles begann 1891. Im vierten Jahr nach Gründung des Kieler Marine-Regatta-Vereins durften dem Club erstmals auch Zivilisten beitreten. Wilhelm II. wurde Kommodore und der Verein in Kaiserlicher Yacht-Club umbenannt. Daraus ging der heutige Kieler Yacht-Club hervor.
Prinz Heinrich, der drei Jahre jüngere Bruder des Kaisers, zeigt sich im Frühjahr des selben Jahres mit seinem in Schottland hergestellten Neubau „Irene“ auf der Kieler Förde. Wenig später erwirbt der Kaiser selbst seine erste Segelyacht. Er lässt das 90.000 Goldmark teure Schiff auf den Namen „Meteor“ taufen. Der in Glasgow gebaute Kutter von 35 Metern Länge hatte zuvor den Atlantik überquert – und war unter dem Namen „Thistle“ (zu deutsch: Diestel) krachend damit gescheitert, den America’s Cup für England zu gewinnen.
„Deutsch vom Kiel bis zum Flaggenstock“
Unter dem kaiserlichen Stander heimst das Schiff schließlich doch noch reichlich Regattasilber ein. Kleiner Schönheitsfehler aus kaiserlicher Sicht: Die Siege gelingen mit einer fast ausschließlich ausländischen, sprich britischen Mannschaft. Nur ein einziger Matrose kommt aus dem Kaiserreich.
Das ändert sich erst, als unter der Regie des genialen Konstrukteurs Max Oertz (er lebte von 1871 bis 1929) die großen Schoner-Yachten „Germania I“ für den Industriellen Gustav Krupp und die „Meteor IV“ für den Kaiser auf der Germania-Werft in Kiel gebaut werden. Endlich holte man auf gegen die Bootsbaunation England. Alles auf der Yacht, bis auf die Masten aus amerikanischer Douglasie, stammt aus Deutschland.
Das bedeutete auch, dass des Kaisers Schiffe seitdem ausschließlich mit einer deutschen Besatzung gesegelt wurden – noch dazu erfolgreich. Die Crew der kaiserlichen Yacht erringt den ersten Regattasieg gegen die Konkurrenz von Krupp. Wer waren und woher kamen die Männer der Meteor-Crew?
Die Fischer und der Kaiser
Eine der Regatten der 1882 gegründeten Kieler Woche führte die Segelyachten in das eine Bucht nördlich gelegene Eckernförde. An der Pier in Eckernförde standen damals viele einheimische Fischer. Einige hatten während der Sommersaison auf den großen Segelyachten des Adels und der reichen Geschäftsleute angeheuert. Im breitesten Platt – denn kaum ein Fischer sprach damals Hochdeutsch – sagten sie: „Mönsch, watt dee kööt, datt kööt wi ook.“ Sprich: Was die können, das können wir doch auch.
So schlossen sich am 26. Oktober 1906 dort 17 junge Fischer zum Verein der Yachtmannschaften zu Eckernförde zusammen. Es waren kernige Typen: Sie waren als Fischer mit der See vertraut, hatten alle auf einer Yacht anfallenden Arbeiten von Grund auf gelernt und wussten, wie man mit Hanfseilen und Leinensegeln umging. Das waren ideale Voraussetzungen, um auch auf den kaiserlichen Schonern bestehen zu können.
Ein Zweck des Vereins war, den Fischern dabei zu helfen auf den Segelyachten anzuheuern, um ihr ärmliches Salär aufzubessern. Allein die Schoneryacht Meteor brauchte etwa 15 bis 20 Bootsleute. Zusätzlich zum üppigen Wochenlohn auf einem Großsegler gab es noch einmal so viel im Fall eines Regattagewinns. Das war ein großer Ansporn.
In Sturm und Wetter ist Gott unser Retter! Wahlspruch der Eckernförder Yachtmatrosen
Schon nach wenigen Jahren hatte der Verein 120 aktive Mitglieder, denen ihr sehr guter Ruf vorauseilte. Und das nicht nur in Kiel, sondern auch in Hafenstädten wie Greifswald, Danzig, Berlin und im Süden. Im Königlich-Bayerischen Yachtclub und sogar in Österreich und an der Mittelmeerküste wurden die Männer angeheuert.
Vereinssprache ist Plattdeutsch
Man vertraut im Verein auf himmlischen Beistand. Der Wahlspruch lautet: „In Sturm und Wetter / ist Gott unser Retter!“ Wenig später wird der Spruch für viel Geld und gut versichert auf eine goldbestickte Fahne gestickt. Dieses Banner kommt bei Umzügen, Feierlichkeiten und Jubiläen von Vereinsmitgliedern bis heute zum Einsatz.
So ist es auch in diesem Frühjahr. Vor wenigen Tagen wird Fischereimeister Lorenz Marckwardt als Erster Vorsitzender des noch immer existierenden Vereins bestätigt. Die Jahreshauptversammlung im Restaurant des Eckernförder Segelclubs wird – wie alle offiziellen Versammlungen, Feste und Ehrungen von Mitgliedern – seit 1965 ausschließlich auf Plattdeutsch durchgeführt.
Zu den Geehrten des Jahres 2018 gehört auch Ferdinand Jahn. Er ist seit 57 Jahren dabei. Mit 81 Jahren ist er das älteste Vereinsmitglied. Als 17-jähriger heuert er 1953 als Yachtmatrose an. Damals treffen sich die Eckernförder Jungs im Lokal Zur Börse. Sie hoffen, einen Job bei den Sommertörns zu ergattern, die Reeder und Eigner seinerzeit anbieten. Während Jahn sich nur für zwei Jahre als Matrose auf einer Privatyacht verdingt, segeln andere aus dem Verein noch bis in die 1990er-Jahre und zu den Kanarischen Inseln.
Das Ende kommt mit GFK
Mit der zunehmenden Verbreitung der pflegeleichten GFK-Schiffsrümpfe und Segeln aus Kunststoff versiegt die Nachfrage nach gestandenen Yachtmatrosen. Viele Jüngere im Verein ziehen es vor, nur noch zu fischen – oder sie arbeiten auf Booten und Schiffen der Bundesmarine und der Behörden. So verliert der Verein nach und nach seine Funktion als Jobbörse.
Jedes Jahr im Frühling halten die Noch-Mitglieder ihre Jahresversammlung ab. Inzwischen hat man sich auch für andere Berufe geöffnet. Fischer wie früher gibt es ja kaum noch. Auch Frauen dürfen heute Mitglied werden. Bleibt die Frage, wie lange der Verein noch bestehen wird. Spätestens, wenn man keinen Vorsitzenden mehr wählen kann, der noch selbst gefahren ist, erlischt die Tradition.
Im Verein sieht man das allerdings nicht so. Zwar gibt es im Club keine bezahlten Hände mehr. Aber das ein oder andere Vereinsmitglied ist selbst Bootseigner – und man segelt mit der Familie und Freunden. Mit dabei ist sicher gelegentlich die blaue Mütze, das zweite Symbol und Markenzeichen der einstigen Yachtmatrosen.
Ein Kommentar
Ein toller Artikel!
Welch erfrischender Einblick in die „gute alte Zeit des Yachtsports“.
Bitte mehr davon Herr Krieg!