Für einen kurzen Moment beobachten die Segler die ganze Pracht des Exemplars. Und realisieren, um welche Gattung es sich handelt. Dan erkennt die markante Flossenform, den voluminösen Körperbau. Zweifelsfrei handelt es sich um einen Schwertwal. Mit den Worten „krass“ und „amazing“ beschreibt Dan den Moment, als der Wal wie zum Abschied seine Flossen zeigt, um dann in den Tiefen des Meeres zu verschwinden.

Dan und Eva müssen das Erlebte sacken lassen. Erst vor wenigen Stunden haben sie mit Freunden gesprochen, die auf dem Weg nach Gibraltar waren. Entlang der Iberischen Halbinsel, mitten durch das gefürchtete Orca-Gebiet. Die Besorgnis war Gast an Bord. Als sie Gibraltar – ohne Orca-Kontakt – erreichten, hatten sie sich bei Dan und Eva gemeldet. Alles gut!
Mit Freunden mitgefiebert
„Das ist doch verrückt“, sagt Dan. Sie hätten mit den Freunden auf deren Passage mitgefiebert und plötzlich tauche vor ihnen ein Orca auf – hunderte Meilen entfernt, mitten im Skagerrak. „Damit rechnet doch niemand?“ Sie recherchieren im Netz. Schwertwale kommen in der Nordsee tatsächlich vor, Sichtungen sind aber äußerst selten. Vor allem so dicht an der Grenze zur Ostsee.
Prinzipiell sind Schwertwale, die mit den Delfinen verwandt sind, überall auf der Welt anzutreffen, auch im nördlichen Norwegen. Experten gehen davon aus, dass die weltweite Population bei etwa 50.000 Tieren liegt. In Nordeuropa, zumal in der Nordsee, sind Orcas aber eher selten anzutreffen. Auch wenn es in der Vergangenheit bereits vereinzelt Sichtungen im Skagerrak gegeben hat.
So berichtete Rolf Christensen von der Vogelstation in Skagen im Januar 2021 gegenüber dem dänischen Fernsehen von fünf Orcas, die küstennah jagten. Mit Fotos konnte er seine Behauptung belegen. Laut Christensen seien in den vergangenen 50 Jahren rund 20 Mal Orcas im Skagerrak gesichtet worden. Die letzte Sichtung habe allerdings schon Jahre zurückgelegen.

Auch im Sommer vergangenen Jahres bedrängten Orcas an der Küste Nordjütlands ein Fischerboot. Dass die Räuber in Zukunft öfters in Nord- und vielleicht auch Ostsee auftauchen, ist nicht auszuschließen. Denn Orcas folgen ihrer Nahrung. Infolge des Klimawandels und der Erwärmung der Meere ist es also durchaus plausibel, dass sich das Jagdrevier der Schwertwale verlagert.
Interaktionen beschränken sich auf zwei Gruppen
Ein Grund zur Besorgnis für Segler ist das aber nicht. Das merkwürdig aggressive Verhalten der Orcas vor der Iberischen Insel, vor allem vor dem Fischerort Barbate nordwestlich der Straße von Gibraltar, beschränkt sich bislang nur auf zwei Gruppen. Renaud de Stephanis erklärt gegenüber float, dass Schwertwale schon immer den Kontakt zu Booten gesucht haben, dabei aber nicht aggressiv sind. Die beiden Gruppen, die vor Gibraltar und der französischen Küste aktiv sind, sind bisher eine Besonderheit. Dort wird jetzt geraten, nahe der Küste in der 20-Meilen-Linie zu bleiben und nicht den Motor zu stoppen. Tatsächlich haben sich die Interaktionen seitdem stark verringert.
Die spanische Organisation CIRCE, die das Verhalten erforscht, markiert diese Tiere aktuell mit Peilsendern, um sie über Satellit orten zu können. In einer Karte kann die Position der Tiere dann wöchentlich festgehalten und Seglern mitgeteilt werden.
Dan und Eva sind überzeugt, bei ihrer Sichtung habe es sich um ein einzelnes Exemplar gehandelt. „Der Schwertwal war neugierig“, sagt Dan, „aber definitiv nicht angriffslustig.“ In seinen Worten schwingt Begeisterung mit. Denn Dan und Eva lieben Wale. „Paikja“, ihr Boot, ist benannt nach der Hauptfigur in dem Film „Whale Rider“. Einem Mädchen, das beweisen muss, stark genug zu sein, um ihren Stamm zu führen, indem es mit Walen schwimmt. Nomen est omen.