Das Golden Globe Race 2018 (GGR) ist eine Segelregatta, die ihre Teilnehmer einhand und nonstop um die Welt führt. Das Rennen startete 50 Jahre nach dem legendären Sunday Times Golden Globe Race, bei dem von neun Teilnehmern nur einer das Ziel in Plymouth erreichte.
Wer von Europa aus um die Welt segelt, der wählt meist die Route rechts rum: Den Atlantik runter, vorbei am südafrikanischen Kap der Guten Hoffnung, durch den Indischen Ozean rüber zum australischen Kap Leuwin, möglichst schnell durch den meist ungemütlichen Southern Ocean, um den antarktischen Kontinent fast zu umrunden.
Dann das südamerikanische Kap Hoorn backbord liegen lassen, um schließlich den Atlantik wieder rauf zu segeln. Wo dann die Start- und Ziellinie schon wartet. Diese Route gilt als halbwegs vernünftig, weil sie mit den großen Meeresströmungen und Windrichtungen verläuft – und so zumindest theoretisch lange Kreuzkurse am Wind und gegen die Welle vermeidet.
So ist auch die Route beim Golden Globe Race 2018, das am 1. Juli vor les Sables d’Olonne an der französischen Atlantikküste gestartet wurde. Das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze des afrikanischen Kontinents ist für die Teilnehmer so etwas wie ein erster Schicksals-Wegepunkt. Wer es bis hierher geschafft hat, kann ins Logbuch eintragen: 1. Ich hab’ immerhin schon mal den Atlantik längs durchquert und habe rein statistisch betrachtet große Chancen, dass ich die paar Seemeilen nach Hause auch noch schaffen werde. 2. Nach dem Warmsegeln geht es jetzt erst richtig zur Sache!
Der Meister
Vielleicht hat Jean Luc van den Heede Ähnliches gedacht, als er am vergangenen Wochenende als Erstplatzierter der Einhand-Nonstop-Weltumseglungsregatta das mythische Kap passierte. Der sage und schreibe 73-jährige Franzose und fünfmalige Einhand-Weltumsegler hat sich von Beginn an vorne im Regattafeld positioniert und zeigte bisher in jeder Situation sprichwörtlichen Biss.
Ganz egal, ob nervtötende Flauten im Kalmengürtel auf Äquatorhöhe ihn ausbremsten oder zuletzt sieben Meter hohe Wellen im 45-Grad-Winkel sein Boot durchrüttelten. Kurz: als einer, der sogar den Einhand-Nonstop-Rekord gegen die vorherrschenden Wind- und Strömungsrichtungen hält, machte er seiner Konkurrenz deutlich, dass Erfahrung bei so einem Rennen schon die halbe Miete sein kann.
Nur einer zeigte dem alten Salzbuckel, den seine Freunde „den Meister“ nennen, die Zähne: Landsmann Philippe Peché kämpfte mit ihm von Beginn an um die Spitzenposition und verwies ihn über lange Strecken hinweg auf Rang 2. Bis Peché ein fast schon GGR-typisches Unglück ereilte: Die mechanische Windsteueranlage machte Probleme. Die Windfahne seines Beaufort-Autopiloten war gebrochen und ließ sich mit Bordmitteln offenbar nicht reparieren. Statt einfach mal eben schnell nach Südafrika abzudrehen, um dort den Schaden zu beheben und von nun an in der „Chichester Class“ weiter zu segeln, telefonierte Peché unerlaubt via Notruf-Satellitentelefon mit seinem Shore-Team.
Er wurde daraufhin von der Regattaleitung verwarnt und mit einer 18-stündigen Zeitstrafe für seine Chichester-Weiterfahrt belegt. Was Peché offenbar zu der Annahme verleitete, dass er nun genug fürs Telefonieren gebüßt habe und noch weitere 40 mal (!) mit Zuhause telefonierte oder sonstige Nachrichten austauschte, um die Bereitstellung von Ersatzteilen im Pit-Stop-Hafen zu organisieren.
Worauf die Renndirektoren endgültig die Geduld verloren und den Franzosen auch aus dieser One-Stop-Class schmissen. Dennoch hätte Peché noch mit dem Segen der Organisatoren ohne Wertung weiter segeln können. Doch der als extrem ehrgeizig bekannte Peché kommentierte nur: „Das wäre unter meiner Würde! Ich mache hier mit, um zu siegen. Nicht mehr und nicht weniger!“ Und stieg, ganz offensichtlich angesäuert, aus dem Rennen aus.
100 Tage schneller als Knox-Johnston?
Damit ist Jean Luc van den Heede erst einmal allein auf weiter Flur im Indischen Ozean unterwegs. Seine Passage am Kap der Guten Hoffnung war übrigens außergewöhnlich hart. Bei Bedingungen, die man sonst eher am Kap Hoorn gewohnt ist, machten ihm extrem hohe und steile Wellen zu schaffen. Sieben-Meter-Brecher bei nur 30 Knoten Wind meldete er bei seinem letzten wöchentlichen Sicherheitstelefonat. Das lässt auf sehr starken Strom schließen.
Und dass er sich in den letzten Tagen mit einigen Rechenspielen beschäftigt habe. Bei einem derzeitigen Vorsprung von rund 1.500 Seemeilen zu seinem virtuellen Mit- und Vorsegler Robin Knox-Johnston vor nunmehr 50 Jahren und über 500 Seemeilen auf den zweitplatzierten Mark Slats, beabsichtige er, das Rennen nach etwa 210 Tagen zu gewinnen. Was wiederum circa 100 Tage schneller wäre als damals Knox-Johnston brauchte.
Doch das sind alles nur Spekulationen, die der eher ruhige und gelassene van Heede gleich wieder relativierte und… noch eine Schippe drauflegte. Kaum im Indischen Ozean fuhr er Vier-Stunden-Etappen mit 10 Knoten und mehr. Angesichts anderer Weltumseglungs-Werte – mit modernen IMOCA-Yachten werden Durchschnittswerte von 25 Knoten erreicht – klingt das vielleicht nicht berauschend. Aber auf 36-Fuß-Langkielern ist es bei diesen Bedingungen jedoch faszinierend schnell.
Kentern vor dem Kap
Der Holländer Mark Slats, weltweit wohl einziger Trans-Atlantik-Ruderer, der auch beim Segeln Flagge zeigt, macht derzeit jedoch von seinem Riesenpaddel, das er für Flautenzonen mit sich führt, nur selten Gebrauch. Auch er kämpft mit meterhohen Wellen, 45-Knoten-Windböen und meldet … Schneefall! Drei Mal habe es ihn „aufs Ohr“ gelegt. Doch nach dem Kentern richtete sich seine Rustler 36 offenbar unversehrt immer wieder auf.
Weniger Glück hatte der bislang tapfer und beharrlich segelnde Norweger Are Wiig, der sich mit seiner 32 Fuß langen Olle-Enderlein-Yacht „Olleanna“ auf vierter Position dem Kap der Guten Hoffnung näherte. Knapp 400 Seemeilen vor der Rundung verlor er seinen Mast, als das Boot bei 35 bis 45 Knoten Wind und Wellen von bis zu acht Metern Höhe ebenfalls durchkenterte. Gerade als er für eine Ruhepause beigedreht lag. Seine Selbststeueranlage hatte zuvor Bruch erlitten und ihn für lange Stunden ans Steuer gefesselt.
Der 68-Jährige Bootsgutachter meldete per Satellitentelefon bei der Rennleitung, es gehe ihm gut. Der Rumpf habe weiter keinen Schaden genommen, und Elektronik sowie Sicherheitsausrüstung seien intakt. Er habe den Mast gekappt, aber das Vorstag mitsamt treibendem Segel als zusätzlichen Treibanker in Position belassen. Aktuell sondiert er die Situation und will es nach Möglichkeit mit Behelfsrigg und ohne Unterstützung in den nächsten Hafen schaffen.
Die Coole
Ähnlich unbeeindruckt von den Widrigkeiten einer Solo-Weltumsegelung zeigt sich bislang Susie Goodall. Die einzige Frau beim Golden Globe Race legte bereits während des gesamten Rennens eine Coolness an den Tag, wie man sie von einer 28-Jährigen nicht unbedingt erwartet hätte. Die Seglerin, die sich ihre Sporen bei einer Transatlantik-Tour auf ihrer Rustler 36 (schon wieder!) und bei diversen Törns im nördlichen Atlantik rund Island verdiente, ging den ersten Abschnitt ihrer Weltumseglung eher bedächtig an.
Doch musste auch sie in den außerordentlich unwirtlichen Wetterlagen vor dem afrikanischen Kap Federn lassen. In den kurz aufeinander folgenden, sehr hohen und steilen Wellen stampfte ihr Boot ein, so dass sie deutlich abfallen musste und für viele Stunden wieder in Richtung Heimat segelte. Bis sich die Wetterlage wieder so weit beruhigt hatte, dass sie erneut Kurs aufs Kap nehmen konnte. An diesen kernigen Tagen entdeckte sie, dass sich die Platten, über die die Wanten mit dem Deck verbunden sind, um zwei Millimeter gelöst hatten. Sie werde das beobachten, war Susies cooler Kommentar.
Überhaupt ist die Wetterlage rund um das Kap der Guten Hoffnung deutlicher rauer als erwartet. Da sich die Flotte etwa zwei Wochen früher als Knox-Johnston im südlichen Atlantik bewegt, herrscht dort noch frühester Frühling. Entsprechend muss auch in den noch weiter südlicheren Breiten mit Wintersturm-Nachzüglern gerechnet werden. Eine Situation, die Rennleiter MacIntyre seinen Schützlingen nicht zumuten möchte: Um auf Nummer sicher zu gehen, verlegte er die „Sicherheitslinie“, die nicht übersegelt werden darf, auf den 42. Breitengrad.
Sicherheit geht vor
Ansonsten ist das Golden Globe Race vom Aufgeben geprägt. Darunter auch solche Fälle, die ein wenig an der Ernsthaftigkeit mancher Teilnehmer zweifeln ließen. So eröffnete Erkan Beskardes, türkischstämmiger Brite, den Ausstiegs-Reigen bereits fünf Tage nach dem Start: Er habe die Einsamkeit nicht mehr ausgehalten. Ohne Kontakt mit seiner Familie könne er nicht weitermachen. Ein Mann, der eine auf 250 Tage veranschlagte Weltumseglung zwei Jahre lang vorbereitete, hört nach fünf Tagen auf…
Kevin Farebrother, australischer Abenteurer und Bergsteiger (inklusive Mount-Everest-Besteigung) beendete das Rennen nach zehn Tagen, wegen der sich „breit machenden Einsamkeit auf dem Schiff“. Er könne sich nicht vorstellen, noch weitere 240 Tage solo in den Wasserwüsten unterwegs zu sein, legte auf den Kanaren an, bietet seine Yacht seitdem zum Verkauf und will so schnell wie nur irgend möglich zurück in die Berge.
Der Franzose Antoine Cousot reparierte seine Windfahne ebenfalls auf den Kanaren, segelte aber in der „Chichester Class“ weiter. Er gab nun vor wenigen Tagen erneut wegen Problemen mit dem Autopiloten auf. Cousot drehte Richtung Brasilien ab und hofft dort auf ein paar nette Erholungstage.
Der Palästinenser Nabil Amra stieg auf den Kanaren ebenfalls wegen einer gebrochenen Windfahne aus. Istvan Kopar, US-Amerikaner ungarischer Herkunft, reparierte seinen Autopiloten selbständig, ohne Hilfe von außen, in einer kapverdischen Bucht. Und blieb somit in der GGR-Wertung.
Was bleibt, sind zehn ganz offensichtlich weiterhin motivierte Segler, die dem „Meister“ rund um den Globus folgen. Wie weit sich das Feld bisher auseinander zog, ist deutlicher Beleg für die unterschiedliche Herangehensweise der Teilnehmer an dieses Abenteuer. Der Abstand zwischen „Siegeswillen“ (Jean Luc van den Heede auf Rang 1) und „Hauptsache ankommen“ (Mark Sinclair, Australien, auf Rang 12) beträgt knapp 2.000 Seemeilen. Vorerst…
Die Regeln des Golden Globe Race
Der Start zum GGR war am 1. Juli 2018 vor Les Sables d’Olonnes in Frankreich. Von hier startet auch die berühmte Regatta Vendée Globe, die es wohl ohne das „Vorbild“ des GGR von 1968 so nicht geben würde. Das Rennen wird auf Yachten gesegelt, deren Bauweise und technische Ausstattung dem Boot des damaligen Siegers Robin Knox-Johnston ähneln:
– Riss vor 1988
– Rumpflänge zwischen 32 und 36 Fuß
– Langkiel mit Ruder an der Kielkante
– Verdrängung mindestens 6 Tonnen
– Es müssen 20 Boote vom jeweiligen Yachttyp gebaut worden sein
Sechs der 17 Starter segeln auf einer Rustler 36, die unter Serienbooten der Siebziger- und Achtzigerjahre als besonders robust und leistungsstark eingeschätzt wird.
Gesegelt wird im Retro-Modus: Keine Satelliten-gestützte und/oder elektronische Navigationshilfen (nur Sextant). Lediglich für Notfälle und für einen wöchentlichen Sicherheitsanruf darf das Sat-Telefon genutzt werden. Ansonsten kein Kontakt zur Außenwelt – eben wie vor 50 Jahren. Regelverstöße führen zur Disqualifikation. Wer einen Reparaturstopp einlegt und Hilfe von außen beansprucht, wird in die „Chichester Class“ herabgestuft. Vor 52 Jahren umrundete Francis Charles Chichester die Welt einhand mit einem Stop.