„Ich nenne es postfrontale Müdigkeit“, sagt die Britin Pip Hare über ihre Erschöpfung nach der zweiten Front. Sie ist mit Abstand die unterhaltsamste Imoca-Skipperin. 2020 machte sie bei der Vendée Globe als eine von sechs Frauen ein fastastisches Rennen. Die 48-jährige Journalistin begeisterte durch ihre offene und sympathische Art und schuf sich so eine riesige Fangemeinde, weit über das englische Publikum hinaus. Jetzt nimmt sie mit ihrer neuen „Medallia“ an der Route du Rhum teil.
Ihre neue Rennyacht hat schon Geschichte geschrieben. Aus dem Hause Verdier/VPLP von 2015 ist sie eine der ersten Imocas mit Foils. 2016 gewann Armel Le Cleach das Rennen 2016 und stellte mit 74 Tagen den bisher ungebrochenen Rekord einer Weltumsegelung auf. Für die Vendée Globe 2020 übernahm Louis Burton es als „Bureau Vallee“ und machte damit den 3. Platz. Aktuell liegt Pip mit ihr auf Platz 23.

Gestern schrieb sie auf ihrer Website piphare.com über ihren Zustand an Tag fünf des Rennens: „Wenn alle Schalter im Körper auf 0 stehen, die Muskeln schmerzen, man feucht und leicht unterkühlt ist, der Geist und der Körper keine Power mehr haben, ist es das Beste, einen Tag faul im Bett zu verbringen. Ich mag dieses Gefühl der Erschöpfung, wenn man viel Sport getrieben hat. Das Besondere an Hochseeregatten ist aber, dass die Zeit nicht durch den Lauf der Sonne, sondern durch den Lauf des Wetters bestimmt wird.
Am Ende der Kräfte ist der Verstand die stärkste Waffe
Unsere Ruhezeiten richten sich nicht nur nach unseren eigenen Bedürfnissen, sondern auch nach den Bedürfnissen der riesigen Maschinen, die wir steuern. Gestern habe ich meine Ruhezeit mit Wartungsarbeiten und Fehlersuche verbracht, um sicherzustellen, dass Medallia und ich die letzte Wetterfront unbeschadet überstanden haben.
Wenn man müde und am Ende seiner Kräfte ist, ist der Verstand die stärkste Waffe. So kann man die schwierigen Zeiten überstehen. Gestern habe ich eine Liste gemacht – ich liebe Listen. Ich habe alle Dinge aufgeschrieben, die ich erledigen musste: Navigation, Bootschecks, Reparaturen, Wartung, Segelmanöver, schlafen, essen. Dann bewerte ich alles nach den drei Fragen: Bin ich sicher? Fahre ich den richtigen Kurs? Segel ich so schnell wie möglich?
Eine meiner Aufgaben lag in der Kategorie Sicherheit. Also habe ich Geschwindigkeit, Kurs und Schlaf geopfert, um die Aufgabe als erste zu erledigen. Es dauerte ein paar Stunden, den Fehler zu finden und zu beheben, und ich sagte mir die ganze Zeit, dass ich danach schlafen könnte. Das Schlafen wurde dann zur Priorität, ich machte ein kurzes Nickerchen, bevor ich etwas anderes tat.
Schlaf ist ein „Nice to Have“
Zwischen jeder neuen Aufgabe überlege ich, ob Schlafen ein Muss oder ein Nice to have ist. Letztendlich kann man an Deck gehen und ein Segel einholen, wenn man müde ist. Man muss nur Kraft aufwenden, nicht schnell, sondern eine Handbewegung nach der anderen. Aber mit einem erschöpften Geist kann man keine guten Entscheidungen treffen. Hier kann ein 20-minütiges Nickerchen einen großen Unterschied machen.

Allein das Durchhalten unter diesen Wetterbedingungen ist harte Arbeit. Sich zu bewegen erfordert Überlegung, denn jeder Muskel wird gebraucht, um sich gegen das Schlagen abzustützen. Mein ganzer Körper arbeitet immer gegen die Schräglage des Bootes an, kein Wunder, dass meine Muskeln schmerzen. Aber Medallia fühlt sich gut an und ich fühle mich gut, weil ich meine Aufgaben erledigt habe.
Wenn man die Dinge im Griff hat, die man kontrollieren kann, hat man Zuversicht und Kraft. Und ja, das Hämmern gegen die Wellen wird noch ein paar Tage weitergehen, die Liste der Aufgaben wird wieder wachsen. Aber wenn man sich mit Geduld und Fleiß durch jede Aufgabe durchgearbeitet hat, dann fühlt sich ein 20-minütiges Nickerchen wie eine ganze Nacht Schlaf an.“