Es ist eine echte Zitterpartie! Wird die Vendée Globe am 8. November wirklich starten können? Noch nie war es für die Seglerinnen und Segler so schwer, sich auf das Rennen vorzubereiten. Gleichzeitig gab es noch nie so viele Teilnehmer bei der rasantesten Einhand-Regatta um die Welt. Die neunte Ausgabe der Vendée Globe hat seit ihrer Einführung im Jahr 1989 noch nie zuvor ein so großes und vielfältiges Teilnehmerfeld angezogen.
Insgesamt werden 33 Solo-Segler und Seglerinnen starten – davon allein sechs Frauen. Auch das sind so viele wie nie zuvor in der Geschichte des internationalen Rennens, das alle vier Jahre in Les Sables D’Olonne an der Biskaya startet.

Die herbstliche Passage durch die berüchtigte Bucht ist dabei nur die Vorwäsche, denn die große Herausforderung findet tief im Süden statt: rund 60 Prozent der 28.000 Seemeilen langen Renndistanz verlaufen im Southern Ocean, der stürmischsten Meeresregion unseres Planeten.
Hochklassige Skipperinnen
Zum ersten Mal dabei ist bei der Vendée Globe auch die Deutsch-Französin Isabelle Joschke: „Schön, dass wir hier sind und zeigen können, dass Frauen genauso gut rennen wie Männer“, sagt die 47-Jährige. Joschke lernte als Fünfjährige auf dem Opti segeln, zuletzt engagierte sie sich in der Class40. 2016 belegte sie dabei den vierten Platz. Seit 2017 trainiert sie nun für den Tag X, den 8. November.

Auch den anderen Seglerinnen ist bewusst, dass die Aufholjagd erst begonnen hat: „Es waren schon mehr Männer auf dem Mond als Frauen auf der Vendée Globe – das ist genug Inspiration für mich, um erfolgreich zu sein“, sagt zum Beispiel Pip Hare (46), britische Yachtsport-Journalistin und Fastnet-Teilnehmerin.

Die anderen drei Skipperinnen haben sich die Sporen auf hoher See ebenfalls längst verdient: die Französin Clarisse Cremer (31) gewann 2017 das Mini-Fastnet. Die Britin Miranda Merron (51) überquerte schon als Neunjährige – an Bord der Familienyacht – den Atlantik und nahm kürzlich erfolgreich am Vendée Arctique teil. Alexia Barrier (40) wurde mit 15 Segellehrerin an der französischen Mittelmeerküste und überquerte bereits viermal den Atlantik bei Einhandregatten.
Bereits zum dritten Mal nimmt die prominente Skipperin Samantha Davies den Kampf bei der Vendée Globe auf: 2008/09 belegte sie den vierten Platz, bei der darauffolgenden Vendée Globe musste sie auf spektakuläre Weise nach einem Mastbruch aufgeben.
Wie hervorragend sich die Frauen vor dem Rennen um den Globus positionieren, zeigte gerade das letzte Vorbereitungsrennen „Le Défi Azimut“. Dabei wurde es richtig knapp.
Rookies und Altstars am Ruder
Neben Sam Davies stechen weitere Altstars in See: Alex Thomson, dem bisher bei der Vendée Globe der große Triumph versagt blieb, ist zum fünften Mal dabei. Jéremie Beyou unternimmt seinen vierten Versuch.
Und die Vendée Globe wird internationaler: Zehn nicht-französische Skipper sind gemeldet. Neben dem Japaner Kohiro Shiraishi und dem Schweizer Alan Roura will erstmals in der Geschichte der Vendée Globe auch ein Deutscher teilnehmen: niemand anders als Boris Herrmann.

Boris Herrmann ist der erste Deutsche
„Es ist seit zwanzig Jahren ein Traum von mir, an diesem Rennen teilzunehmen“, sagt Herrmann. Der gebürtige Oldenburger brachte letztes Jahr Greta Thunberg auf seiner Yacht Malizia medienwirksam über den Atlantik nach New York.

Dasselbe Boot, inzwischen umbenannt in „SeaExplorer Yacht Club de Monaco“, wird Herrmann bei der Vendée Globe 2020 einhand um den Globus steuern. Der Name SeaExplorer ist Programm: „Wir haben ein Labor an Bord, wir arbeiten mit Wissenschaftlern zusammen, um unsere Arbeit sinnvoll zu gestalten und für die Wissenschaft nützlich zu sein“, sagt Herrmann.
Die SeaExplorer hat erst im Frühjahr neue Foils erhalten. Den ersten Härtetest unternahm Herrmann auf der Nordatlantik-Regatta VALSO, einem Dreieckskurs von Les Sables d’Olonne über die Azoren und bis kurz vor Island. Die Ergebnisse stimmten den 39jährigen optimistisch, wie er im float-Interview verriet.
Weltumrundungs-Rekord
Auch seine Gegner setzen große Hoffnung in die hochgerüsteten, mit Foils ausgestatteten High-Tech-Yachten. So äußerte kürzlich Alex Thomson: „Wenn ich eine Wette darauf abschließen müsste, wie schnell die Boote die Runde machen, würde ich sagen: 67 Tage.“ Es sei eine „ziemlich erstaunliche Flotte“.

Sie wird auf erstaunliche Bedingungen treffen. Das bekräftigt Yves Auvinet, Präsident der Region Vendée: „Die Vendée Globe ist eine Weltumrundung im Alleingang, ohne Zwischenstopps und ohne Unterstützung. Das sportliche Niveau, das für diese Ausgabe erwartet wird, ist so hoch, dass das Erreichen der Ziellinie an sich schon eine großartige Leistung sein wird.“ In der Szene wird das Vendée Globe auch der „Mount Everest der Meere“ genannt.
Treffen Thompsons Prognosen ein, wird es ein Rekord-Rennen: Die beste Zeit schaffte im letzten Vendée der Bretone Armel Le Cléac’h mit 74 Tagen. Eine Woche weniger, das würde die Anstrengungen der Konstrukteure mehr als rechtfertigen.

Diese Yachten segeln mit
Die IMOCA-Klasse bildet in der Tat gewaltige Fortschritte bei den Offshore-Foils ab: Diese „Unterwasserflügel“ heben die 60-Fuß-Karbonfaserrümpfe aus den Wellen und erreichen so scheinbar unmögliche Geschwindigkeiten.

Mit dem Rennen von 2016 begann dieser technologische Wandel. 2020 hat die Technologie bedeutende Fortschritte in Form, Gestalt und Struktur der Foils gemacht. Doch die Anstrengungen erstreckten sich auch auf die entsprechende Konstruktion und Struktur des Rumpfes, so dass die Boote nun speziell für die Tragflügel entworfen und gebaut werden, um auch über längere Strecken über der Meeresoberfläche zu fliegen.

Nicht alle haben Foils
Neunzehn der 33 Einrumpfboote sind inzwischen mit Foils ausgestattet, die zu unglaublichen Geschwindigkeiten führen, darunter sieben Boote der allerneuesten Generation 2020. Die 60-Fuß-IMOCA sind zu komplexen Rennmaschinen geworden.
Auch das Vendée Globe selbst ist heftig in Bewegung: Ab sofort steht ein verantwortungsvoller, langfristiger Ansatz im Mittelpunkt. Dazu haben sich die Organisatoren zu einer verantwortungsvolleren Veranstaltungsorganisation verpflichtet. Damit sollen die Auswirkungen des Rennens selbst – und auch künftiger Regatten – begrenzt werden..
Nachhaltigkeit an Land
Im Racing Village stehen zahlreiche „Initiativen“ auf dem Plan. Sie zielen darauf ab, besonders beim jüngeren Publikum für den Zustand der Meere zu schärfen. Dass die See bedingt durch den Klimawandel, zunehmend rauer und das Wetter unbeständiger wird, müssen die Segler unterwegs nicht zuletzt am eigenen Leib spüren.
Damit auch die Regatta selbst zum Umweltschutz ein Scherflein beiträgt, hat Vendée Globe mit der Ozeanografischen Kommission der Unesco vereinbart, Daten über die durchquerten Ozeane und die Atmosphäre zu sammeln. Mehr als ein Drittel der Boote erhält die Ausstattung, um unterwegs Messungen durchzuführen.
Quarantäne vor dem Start
An sich sollte es möglich sein, eine Einhand-Regatta von Corona unabhängig durchzuführen. Der Startschuss soll – für die Sponsoren und die Veranstalter, die Region Vendée – als Event gefeiert werden. So könnte der Starttermin wegen steigender Infektionszahlen noch bis zur letzten Minute abgesagt werden.

Am 17. Oktober soll die Feier an Land offiziell im Vendée-Globe-Dorf eröffnet werden. Maximal 5.000 Besucher gleichzeitig sind zugelassen. Die üblichen Corona-Maßnahmen wie Registrierung, Abstand und Maskenpflicht sind Pflicht.
Für die Einhand-Segler ist schon eine Woche vor dem Starttermin der Vendée Globe Schluss mit lustig. Dann gehen sie in Quarantäne, um eine spätere Erkrankung an Bord auszuschließen. Um am 8. November unter den Augen der Segelwelt ins Rennen zu starten – wollen wir es hoffen!