Spätestens seit dem Fastnet Race 2019 in Cowes, als ich erstmals die neueste Generation der foilenden IMOCA 60 fotografieren durfte, tauchte die Vendée Globe 2020 fest in meinem Terminkalender auf. Alleine der Gedanke daran, vor Ort zu sein, wenn die 33 Seglerinnen und Segler sich von ihren Familien, Freunden und Fans verabschieden, bevor sie einhand nonstop um die Welt segeln, ließ mein Fotografenherz höher schlagen. Doch es kam anders.
Ich denke an die vielen Motive – Flaggen, Menschenmassen an Land, unterschiedlichste Emotionen und natürlich die Bilder von den Yachten und ihren Seglern. Man drängelt sich mehr oder weniger freiwillig die engen Stege entlang. Und will, wie andere Pressevertreter und Fotografen auch, noch schnell ein letztes Interview mit den Skippern bekommen. Also: der ganz normale Wahnsinn, den eine so besondere Regatta in normalen Zeiten verdient hätte.

Die Frankreich-Reise, mein großes Finale
Leider wird es vieles davon in diesem Jahr nicht geben. Zwar bleibt das Startdatum bestehen, aber die übliche Nähe zu den Sportlern gibt es nicht. Die Reise nach Frankreich sollte mein großes Finale in einem ganz besonderen Segeljahr werden. Der Regattakalender 2020 bot nämlich so einiges, vorher betrachtet.
Die zweite Saison der SailGP stand an, genauso die Austragung der europäischen Vorbereitungsregatten für den America’s Cup 2021. Und natürlich die Olympischen Spiele in Tokio. Dann sorgte Corona für die Absage der meisten namhaften Events im internationalen Segelsport. Nun gehört auch die Vendée Globe für mich offiziell zu den abgesagten Events in diesem Jahr. Warum?
Ich stellte fest, dass sich in der Zwischenzeit einiges verändert hatte.
Anfang Mai, als der erste Lockdown sich langsam dem Ende neigte, waren Segler und Seglerinnen glücklich, wieder an ihre Boote zu kommen. Von Regatten war zu dem Zeitpunkt nicht die Rede. Deutschland entwickelte sich schnell zum Segelsport-Vorreiter. Mit der Baltic 500 fand hier die erste Regatta überhaupt in ganz Europa statt.
In England, meinem aktuellen Zuhause, hatte ich zur selben Zeit überhaupt erstmals wieder die Chance, aufs Wasser zu dürfen. Das Wort „Racing“ durfte hierzulande – also in England – offiziell noch nicht in den Mund genommen werden.
Ein wenig Normalität – mit Maske
Für eine kurze Spanne – genau gesagt, von Anfang August bis Mitte Oktober – schien wieder ein wenig Normalität einzukehren. Zwei Wochen vor der im September nachgeholten Kieler Woche 2020, fand mit der Melges 32 World League die erste offizielle Weltmeisterschaft seit Beginn der Covid-19-Pandemie auf Sardinien statt.

Dadurch, dass andere Profi-Ligen die restliche Saison frühzeitig absagten, war das mediale Interesse für die Melges besonders groß. Ich stellte fest, dass sich in der Zwischenzeit einiges verändert hatte. Schon bei der Vorbereitung wurde klar: Es ist plötzlich gar nicht mehr so einfach, eine Presse-Akkreditierung „mal eben“ zu beschaffen. Vor Ort in Italien mussten sich alle, egal ob Segler oder Fotograf, täglich auf Fieber kontrollieren lassen. Das übliche Rahmenprogramm fiel aus, Maskenpflicht herrschte auf den Stegen.
Italien galt schon etwas länger nicht mehr als Risikogebiet. Den Hafen teilten wir uns darum nicht nur mit Regattateilnehmern, sondern auch mit vielen, vielen Urlaubern. Deren Verhalten durchkreuzte das vom Organisator aufgesetzte Hygienekonzept, das von Seglern viel Selbstdisziplin verlangte, dann doch ein wenig.
Zurück in Kiel
Mit dem ausgeklügelten Hygienekonzept der Kieler Woche hatte das eher wenig zu tun. Unter dem Motto „Back to the roots” zeigte Kiel, dass ein seglerisches Großevent auch unter extremen Maßnahmen stattfinden kann. Der Olympia-Hafen in Schilksee war in verschiedene Sektoren unterteilt. Musik und Buden gab es dieses Jahr nicht.


In jedem der Sektoren, abgeschirmt durch Bauzäune, war der Bootspark für eine, maximal zwei Bootsklassen. Jeder Segler erhielt eine personalisierte ID-Karte. Zum Regattahaus gab es Zutritt nur nach einer zusätzlichen Fiebermessung. Die Maskenpflicht galt auf dem ganzen Gelände – zwar nicht auf dem Wasser, aber trotzdem blieb der Mund-Nasen-Schutz ständiger Begleiter.
Nächster Stopp: die Vendée Globe
Auch die Organisatoren der Vendée Globe haben frühzeitig ihr Hygienekonzept veröffentlicht. Auch um der Welt zu zeigen, dass das nur alle vier Jahre stattfindende Event wie geplant starten kann. Der größte Unterschied zur Kieler Woche: Auch Besucher sollten das Race Village besuchen können. Keine andere Regatta schafft es nämlich, die Massen so in ihren Bann zu ziehen wie die Vendée.
Sir Alex Thomson zum Beispiel konnte mit seinem weltbekannten „Mast Walk“ für seinen Hauptsponsor Hugo Boss die Aufmerksamkeit auch von Leuten gewinnen, die sich fürs Segeln sonst nicht interessieren. 2019 war es der deutsche Segler Boris Herrmann, der Greta Thunberg über den Atlantik zum Weltklimagipfel segelte. Mit seinem Beitrag zur Fridays-for-Future-Bewegung schaffte es Segeln auf sämtliche Titelseiten der großen Zeitungen.
Doch es sollte anders kommen: Bei dramatisch steigenden Corona-Zahlen in ganz Europa befand sich nicht nur Frankreich plötzlich wieder in einem Lockdown. Knapp zwei Wochen nach der Eröffnung musste das Race Village am 30. Oktober für die Öffentlichkeit schon wieder schließen.
Damit steht die Entscheidung fest: Trotz meiner Akkreditierung und einem gesicherten Platz auf einem der raren Fotografenboote werde ich nicht nach Frankreich reisen.
Leere Stege, Quarantäne
Im Moment haben Journalisten zwar noch Zugang zu Pressebüros und auch die Möglichkeit, den Seglern – mit großem Abstand – kurz vor dem Start zu begegnen. Aber ein direktes Treffen ist definitiv nicht drin. Alle Segler und Seglerinnen sind in Quarantäne und damit komplett abgeschottet.
Meine Entscheidung, die ich gemeinsam mit dem float-Magazin traf, war trotzdem irgendwie emotional. Viele Fragezeichen taten sich auf. Und natürlich ist das Gefühl, möglicherweise etwas ganz Großes zu verpassen, weiterhin präsent. Immerhin ist mit Boris Hermann der erste deutsche Segler überhaupt bei der Vendée Globe am Start. Und noch nie gab es so viele Teilnehmerinnen wie dieses Mal.
Nichtsdestotrotz ist die Absage auch eine Erleichterung für mich. Ich wäre mit der Absicht und Erwartung angekommen, besondere Aufnahmen zu machen und persönliche Geschichten zu erzählen. Sonst hätte ich mich danach mit einem mäßigen Gefühl in die zweiwöchige Pflicht-Quarantäne begeben. Unter den relativ normalen Bedingungen von Mitte Oktober hätte ich mich sogar darauf eingelassen. Aber jetzt?


Ich werde gedanklich bei den 27 Skippern und 6 Skipperinnen sein und meine Daumen fest gedrückt halten. Anstatt mit der Kamera vor Les Sables d’Olonne die IMOCA 60 zu fotografieren, werde ich nun zeitgleich digital mit den Teilnehmern um die Wette segeln. Es ist ein Jahr wie kein anderes.
Der Bremer Fotograf Felix Diemer ist begeisterter Segler und Segelfotograf, der auch für float fotografiert, wie 2019 beim Fastnet die Tutima-Crew.