Es ist kurz vor Mitternacht an einem Freitag, Anfang Mai. Eigentlich Zeit für die Koje, die erste Nacht auf meiner neuerworbenen Herta, ex Aeolus. Die Yawl von Abeking & Rasmussen steht noch vor Niels Engels Winterlager für Holzboote in Grödersby an der Schlei.

Den ganzen Nachmittag und Abend habe ich Restarbeiten erledigt; geputzt und aufgeräumt, denn morgen früh um neun Uhr soll die alte Dame endlich wieder ihrem eigentlichen Element zugeführt werden. Eine Ostsee-Saison auf einer fast 100 Jahre alten Holzyacht wird natürlich kein Spaziergang. Das ist Teil des Deals zwischen ergrautem Eigner und antikem Schiff. Wer Atmosphäre will, muss Einsatz zeigen. Aber dass es so viel Einsatz werden würde, hätte ich nicht erwartet …
Was schmort denn da?
Das Bordnetz läuft schon über Ladegerät und Landstrom, aber ich kann ja noch schnell die Bordnetzbatterien anklemmen. Plus an Pluspol, Minus an Minuspol, das britzelt immer ein bisschen, schnell festziehen. Aber wieso werden die Kabel plötzlich heiß? Es qualmt, als wäre Feuer im Schiff. Ein beißender Qualm breitet sich aus, dann bricht auch schon das Bordnetz zusammen, die Musik verstummt und die Lampen gehen aus.


Schnell die Kabel wieder losschrauben, alle Schalter aus und Stecker ziehen. Im Schein der Stirnlampe entpuppt sich das Desaster: Die Kabel sind total verschmort und die blanke Litze grinst mir entgegen – was war passiert? Erst mal darüber schlafen! Als sich der Qualm verzogen hat, lege ich mich in die Koje, das Problem werde ich morgen lösen. „Bootsbau ist Handwerk, Schlosserei ist Kunst, Elektrik ist Magie“, hieß es schon zu meiner Ausbildungszeit auf der Werft.
Zu früh gefreut
Mitte August liege ich vor Anker ganz tief in der Bucht von Kegnäs vor Hörup Hav. Der blutrote Vollmond hängt über mir wie eine rote Laterne und im Schein der Petroleum-Laterne entlocke ich der Gitarre zarte Töne, die durch die Nacht säuseln. Ruhe ist eingekehrt in der letzten Nacht meiner ersten Einhand-Tour mit Herta.

Davor stand aber noch das dramatische Ankermanöver, eigentlich ganz einfach, nur leider bin ich zu dicht unter Land gefahren. Kaum lag der Anker auf Grund, war auch schon der Kiel festgefahren. 1,40 Meter Tiefgang. „Kein Problem, dann schiebst du die Kiste einfach wieder in tieferes Wasser, hier kannst du stehen und sogar noch die Nase über Wasser halten“, dachte ich.

Pustekuchen, sechs Tonnen Schiff schiebt sich nicht so mal eben vom Schiet. Also Anker achteraus tragen, Maschine volle Kraft rückwärts und die Leine über die Winsch holen. Nichts rührt sich. Baum ausfahren, mit Bullentalje sichern und bei laufender Maschine vorsichtig auf den Baum krabbeln und siehe – dank der Krängung bewegt sich die alte Dame. Erst langsam, dann immer schneller wird sie vom Propeller gezogen. Ich will schon jubeln, dann plötzlich erschallt ein fürchterliches Geräusch und die Maschine steht.
Die Ankerleine hat sich um die Welle gewickelt und den Anker bis an die Schraube gezogen. Also Taucherbrille aufsetzen, wieder rein ins Wasser mit dem scharfen Dolch in der Faust. Nach etlichen Tauchgängen ist die Schraube wieder frei und zum Glück nicht verbogen. Mir fällt ein Stein vom Herzen und ich kann den wunderschönen Abend genießen, wären da nicht die Mähdrescher der dänischen Bauern, die bis in die Nacht arbeiten.
Immer flexibel bleiben
Die Schnuppertour führt mich zwar nur in die Flensburger Förde, hat es aber in sich. Vor einer Woche bin ich in Hörup Hav angelandet, um eine Freundin zu treffen. Was ganz harmlos bei Flaute vor Schleimünde begann, entwickelte sich zu strammen sechs Beaufort aus Nordwest.

Das Bergen der Segel wird zu einer echten Herausforderung. Besan und Fock bereiten kein Problem, wenn man es rechtzeitig macht. Für das 35-Quadratmeter-Großsegel muss ich mir allerdings die Abdeckung eines Waldes suchen. Gar nicht einfach, das große Tuch alleine zu bändigen. Ich sollte über Lazyjacks nachdenken. Zu allem Überfluss ist das achtere Ende der Großbaumgöl, der Führungsnut für das Großsegel, auf einen Meter aufgeplatzt.
Mit einem kunstvollen Leinen-Takling um Baum und Segel starte ich im zweiten Reff am nächsten Morgen Richtung Egernsund. Doch kaum stecken wir den Bug um die Broager Halbinsel, kriegen wir derart auf die Nase, dass wir erst mal das Restgroß bergen. Eine Yawl fährt doch gut unter Besan und Fock. Aber nicht gegen die kurze Welle in der Förde. Nach stundenlangem Kreuzen auf der Stelle geben wir auf.

Langballigau ist doch auch schön und unter Maschine keine Stunde entfernt. Kleine Schritte machen, ist die Devise. Kaum tuckert der brave alte Yanmar los, leuchtet auch schon die rote Warnleuchte und das Fiepen hört nicht wieder auf. Was soll das schon wieder? Überhitzt kann er wohl kaum sein. Eine Zitterpartie, aber irgendwann liegen wir im hoffnungslos überfüllten Hafen. Uns bleibt nur der schaukelige Platz in der Hafeneinfahrt. Der überaus freundliche Hafenmeister hat ein Erbarmen und weist uns einen Platz mit rotem Schild zu: „Der kommt erst morgen Abend wieder, dann seid ihr schon weg.“ Danke, ich schimpfe bestimmt nie wieder auf Hafenmeister.
Der Horizont ist weit
Im Binnenhafen von Flensburg setze ich meine Mitseglerin ab und bei Robbe und Berking bekomme ich Epoxy für die Großbaumgöl. Am Steg neben dem Zwölfer Janetta flicke ich erfolgreich den Baum und die Reise geht weiter. Ein Schwesterschiff wie die Störtebeker III, 14 Jahre nach Herta bei A&R gebaut und nur unwesentlich größer, hat unter Kapitän Schlimbach und anderen Eignern die Meere von der Nordsee bis zum Pazifik bereist. Meine erste Reise dauert nur eine Woche, aber es ist ein guter Anfang. 2023 feiert Herta ihren 100sten. Wir werden sehen, welche Törns noch vor uns liegen.

Die Rücktour in die Schlei läuft problemlos bis zum Wald hinter Maasholm. Gerade will ich das Großsegel bergen, da erstirbt das beruhigende Tuckern des Motors. Viele Startversuche und gutes Zureden helfen auch nicht. Auf der Schlei kommt der Wind immer von vorn, wenn die Fahrrinne am schmalsten ist. Zum Glück ist Herta ein Segelboot. Nur unter Groß und mit dem Tablet auf den Knien kreuze ich in kurzen Schlägen ohne Grundberührung auf und fahre meinen ersten Anleger unter Segeln im engen Hafen bei der Stapelfeldt-Werft in Grauhöft. Dort werde ich von Freunden mit Leinehilfe empfangen. Alles easy, solange kein Sturm braust.
Es gab noch einige Überraschungen: Sei es der durchgerostete Bolzen, der das Achterstag hält, so tief in der Achterpiek versteckt, dass eigentlich nur ein Kind dort arbeiten kann. Die Segelfreundin, die aus Hamburg kommen und beim Mastlegen helfen wollte, für die aber wegen einer Kabelsabotage bei der Bahn in Elmshorn Endstation ist.
Was soll’s, immer ruhig und bedacht, freundliche helfende Hände gibt es zum Glück überall. Nun liegt Herta wieder in Niels Kohlenschuppen in Grödersby zwischen vielen anderen Klassikern und wartet auf des Eigners Fleiß, um in neuem Glanz in die Saison zu ihrem 100. Stapellauftag zu starten.