Es muss toll sein, einen Freund zu haben, der auf einem Segelboot am Mittelmeer lebt. Ein paar Tage Entspannung unter weißen Segeln vor blauem Himmel über glitzerndem Wasser. Füße und Seele baumeln lassen, der Kopf freigepustet von einer frischen Brise, der Magen gefüllt mit den Köstlichkeiten der türkischen Küche. So herrlich kann Urlaub sein. Und so unkompliziert.
Wäre meine Moody 425 ein Charterboot, sie hätte eine ausgezeichnete Auslastung. Über 30 Freunde haben mich im ersten Jahr auf dem Wasser besucht, manche bereits mehrmals. Sechs Monate Herbergsvater auf dem Wasser. Nicht immer lief alles reibungslos. Aber über jeden Besuch habe ich mich gefreut. Und das nicht nur, weil jeder Einzelne eine Flasche Whisky oder Rum aus dem Duty-Free-Shop mitzubringen hat. Und doch war es bisweilen etwas anstrengend.
Das Zusammenleben auf einem Boot ist nicht einfach. Es fehlt an Luxus unter Deck, an Platz zum Entfalten (und wenn es nur die viel zu reichlich mitgebrachten Klamotten sind). Rückzugsorte gibt es kaum. Leider auch keine der Verbannung. Konflikte können weder ausgesessen, noch ihnen aus dem Weg gegangen werden. Das Leben an Bord ist daher wie ein gesellschaftliches Projekt, quasi eine soziale Studie. Und das Ergebnis ist bisweilen erschütternd. Schon nach wenigen Tagen fallen die Masken, treten Marotten zum Vorschein, die an Land nie aufgefallen sind.
Durchschlagen, statt auf den Kopf hauen
Alles beginnt mit einem großen Missverständnis: Wer auf einem Boot lebt, der hat doch eh das ganze Jahr Urlaub! Und Kohle ohne Ende. Das glauben anscheinend viele, auch einige meiner Freunde. Schön wär’s. Die Realität sieht leider anders aus. Ich würde behaupten, das Leben auf einem Boot besteht zu 80 Prozent aus Improvisation, Organisation – und Achtung: Arbeit. Am Boot und für den Lebensunterhalt. Ein paar Euro hier, ein paar dort. Durchschlagen statt auf den Kopf hauen.
Wie ein Kind dem Märchenonkel lausche ich manchmal fasziniert den Gesprächen an Bord, in denen merkwürdige Zahlen fallen. Aber es geht nicht um 40 Räuber, sondern beispielsweise um 800 Euro. „Sind 800 Euro zu wenig?“ Es geht um Tagessätze. Ich wiege den Kopf von links nach rechts und wieder nach links und grübele. Mein Budget liegt bei etwa 600 Euro – im Monat. Für den gesamten Lebensunterhalt. Der Luxus, den ich genieße, ist mit Geld nicht aufzuwiegen. Er wird sogar frei Haus geliefert: die größtmögliche Freiheit in einer der schönsten Kulissen, die die Natur geschaffen hat.
Von daher reichen 600 Euro für ein entspanntes Leben, in dem es mir an nichts fehlt. Anderen vielleicht schon. „Komm, ist doch Urlaub“, höre ich dann oft, wenn es wieder in ein hippes Restaurant, eine coole Bar oder in eine teure Marina gehen soll. Nein, für mich ist es eben kein Urlaub. Sondern Normalität.
Die Reserve auf meinem Konto habe ich umgerechnet in eine Währung namens Zeit. Zeit, in der ich meinen Traum vom Leben auf dem Wasser leben kann. Und jedes Prassen prasselt wie ein Lagerfeuer, in dem die sorglose Restzeit verbrennt. Natürlich gehe auch ich gerne gut Essen, aber einmal die Woche muss in der Regel reichen.
Ein Kommentar
Sehr wahr. Wir sehen es jedoch im Nachklapp nicht so einlenkend wie der Autor. Die schönste Zeit haben wir, wenn wir zwei allein an Bord sind.
Man muss nicht ständig aufs Neue
– Gastgeber und Entertainer spielen,
– um das Anlegen der Rettungsweste betteln,
– uns morgens leise bewegen, damit die Peristaltik des Gastes nicht aus dem Takt kommt,
– aus Höflichkeit uns den gastlichen Wünschen unterordnen,
– aus Großzügigkeit über die verstopfte Toilette hinwegsehen,
– das abgebrochene Scharnier uva.
Ohne Gäste sind wir frei. Frei in der Gestaltung des Tagesablaufs, der Atmosphäre.
Und vielleicht haben wir dann keine Freunde?
Hätte der Autor ebenso viel und lange Besuch, wohnte er in Altenessen-Nord? Bei gleicher Zeit, aber deutlich weniger Sonnenstunden?