Während dem Vorsitzenden des spanischen Fußballverbands Luis Rubiales seitens der spanischen Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen sexueller Nötigung droht, bleibt der Fall um Kevin Escoffier, der auf einer Party im US-Hafen Newport während des Ocean Race eine Frau sexuell belästigt haben soll, ungeklärt.
Der Unterschied ist klar: Alle Welt konnte zuschauen, wie Luis Rubiales die Fussballerin Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung auf den Mund küsste. Die daraufhin Anzeige gegen ihn erstattete. In Newport auf der Party hat es wahrscheinlich auch Zuschauer gegeben. Zumindest wird darüber in der Offshore-Segelszene hinter vorgehaltener Hand gemunkelt.
Aber weder die Betroffene noch die Zeugen sprechen offen darüber. Scham, Angst vor Abwertung und Ansehensverlust bringen sie zum Schweigen. Dazu kommt die große Sorge, die wenigen begehrten Plätze für Frauen im Offshoresegeln dann nicht mehr zu bekommen. Es steht also einiges auf dem Spiel für die Frau. Es gehören außerdem viel Kraft und ein langer Atem dazu, einen sexuellen Übergriff öffentlich anzuklagen. Ohne zu wissen, ob er denn wirklich geahndet wird.
Immerhin wurde der Fall von Kevin Escoffier beim französischen Sportministerium (FFV) als mutmaßlicher sexueller Übergriff gemeldet. Auch der französische Seglerverband bestätigte dies. Am 3. Juni gab Kevin Escoffier seinen Rücktritt bekannt. Das war vor mehr als drei Monaten. Seitdem kam nichts mehr.
185 aktive Segelsportler unterzeichnen Petition
Nun wurde dazu ein offener Brief publiziert, unterzeichnet von 185 aktiven und prominenten Offshoreseglerinnen und -seglern sowie Teammitgliedern. Darunter sind Vendée-Globe-Sieger Yannick Bestaven, Isabelle Joschke, Clarisse Cremer, Isabelle Autissier und Holly Cova vom Team Malizia. Gleichzeitig wurde von den Initiatoren am 24. September auf der Plattform change.org eine Petition unter dem Namen „Omerta“ gestartet. Der Begriff steht für das Schweigegelübde bei der Mafia.
Die Erstunterzeichnenden äußern sich schockiert über das Schweigen im Segelsport, das diesem und vielen anderen sexuellen Übergriffen folgt. Sie drängen die Institutionen, entschlossen gegen sexuelle Nötigung vorzugehen, und sie verweisen dabei auf zahlreiche Zeugenaussagen bei verschiedenen Fällen. Hier geht es zum Originaltext und der Petition.
Der Brief wird in einem aktuellen Klima in Frankreich veröffentlicht, das sich fünf Jahre nach dem ersten #MeToo-Aufruf in den USA wenig verändert hat. Und das, obwohl auch in Frankreich die MeToo-Bewegung durchaus Wirkung zeigt unter den Hashtags #NousToutes („wir alle“) und #BalanceTonPorc („Verpfeif dein Schwein“), wie die französische Soziologin Alice Debauche in der Neuen Zürcher Zeitung erklärt.
Frankreich liegt zurück
In einer Studie des französischen Rates für Gleichstellung, die Anfang diesen Jahres veröffentlicht wurde, heißt es jedoch: „Der Sexismus geht nicht zurück, im Gegenteil. Die französische Gesellschaft bleibt in allen Bereichen sexistisch geprägt, sowohl in der Öffentlichkeit wie im Privatleben, im Beruf oder in den Medien.“ Und eben auch im Segelsport.
Man kann die französischen und alle anderen Seglerinnen nur ermutigen, es der spanischen Fußball-Weltmeisterin Jennifer Hermoso gleichzutun. Unterstützung bekommen sie, wie man an den Unterschriften sehen kann.