Mit dem Bergfest mitten auf dem Atlantik purzeln zwar die verbleibenden Meilen bis in die Karibik, dafür türmen sich immer häufiger dunkle Gebilde über unserer Dilly-Dally auf: Squalls! Ein tropisches Wetterphänomen aus tiefschwarzen Wolken, die schnell entstehen und noch schneller ziehen, gefüllt mit Starkregen, Winddrehern und Böen bis zu 40 Knoten. Oder auch: gar nichts! Dann herrscht plötzlich Windstille. Spooky!
Um nicht immer mehr gen Norden zu fahren, müssen wir Tiefe gewinnen. Und das geht am besten mit dem Parasailor, dem Spinnaker mit dem Flügel. 180 Grad zum Wind? Gar kein Problem! Zumindest, wenn die Welle mitspielt. Und genau die hatten wir bei unserem ersten Manöver unterschätzt. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit und schon legen wir bei 20+ Knoten beim Setzen des 120 Quadratmeter großen Tuches mitten auf dem Atlantik einen herrlichen Sonnenschuss hin. Ein kurzer panischer Schreckmoment, dann ist die Situation geklärt.

Das Segel steht und zieht die Dilly-Dally ihrem Ziel schnurstracks entgegen. Doch schon wenige Minuten später muss der Parasailor wieder runter. Die Niederholer sind angefressen, drohen zu reißen. Der Grund: Die Atlantikwelle lässt das Segel mehr tanzen, als wir es vom Mittelmeer gewohnt sind. Und dabei schabbern die Niederholer an den Positionslichtern des Bugkorbs. Ein Fall für Kai-Uwe.
Flexen auf hoher See
Mitten auf dem Atlantik legen wir also ein Kabel vom Inverter zum Bug und flexen die Lichter samt Halterung ab. Da wir auf dem Masttopp noch eine Dreifarbenleuchte haben, können wir die Lampen am Bug ruhig entbehren. Fortan weht jeden Tag der Parasailor mit stolz geschwelter Brust vor der Dilly-Dally. Außer, es nähern sich Squalls. Dann heißt es, schnell die Segel zu bergen. Oder im Idealfall der Front auszuweichen. Tagsüber klappt das sehr gut. Nachts haben wir aber keine Chance. Der Mond, mittlerweile ohnehin nur eine schmale Sichel, ist ein Spätaufsteher. Erst kurz vor Sonnenaufgang lässt er sich blicken. Für uns heißt das: Blindflug durch die Nacht.

Wir entscheiden uns, nachts auf die normale Besegelung zu wechseln, die schneller und einfacher zu reffen ist. Denn wenn ein Squall die Dilly-Dally erst einmal umarmt hat, ist es zu spät, das große Tuch zu bergen. Zudem brist der Wind jede Nacht ohnehin auf. Meist zur Geisterstunde. Zudem wollen wir materialschonend segeln. Denn das Ziel, die Karibik, soll ja nicht das Ende unserer Reise sein. Lieber verzichten wir auf einen Knoten Fahrt und segeln dafür entspannter, denn auch gerefft sind wir schneller unterwegs als anfangs gedacht. Zwischenzeitlich sieht es sogar so aus, als könnten wir nach nur zwei Wochen in der Karibik einlaufen.
Das Geisterschiff
Das Segeln bei Nacht ist die entspannteste Zeit des Tages. Vorausgesetzt, es geht nicht gerade ein Platzregen nieder. Allerdings fährt auch immer ein mulmiges Gefühl mit. Was, wenn wir etwas rammen? Einen schlafenden Wal. Einen treibenden Container. Oder ein Geisterschiff.
Bereits im spanischen Almerimar haben wir Jan, Jan-Moritz und Elias kennengelernt, drei Jungs im Alter von 18 bis 27 Jahren, die sich gemeinsam in Kroatien eine alte Amel aus den 70er-Jahren gekauft haben, um die Welt zu erkunden. Zusammen verbrachten wir regnerische Tage bei Gibraltar, feierten auf Lanzarote gemeinsam Weihnachten und trafen uns auf den Kapverden wieder.

Einen Tag vor uns brachen sie mit ihrer „Amelia“ gen Karibik auf, über Iridium Go blieben wir in Kontakt, verfolgten gegenseitig unsere Position. Als eines Nachts die Amelia ihren Kurs stark ändert und nur noch mäßig Fahrt macht, sind wir etwas besorgt. Die Kursänderung macht wenig Sinn, also schreiben wir sie an, fragen, ob alles in Ordnung sei. Auch wenn wir noch 100 Meilen hinter der Amelia liegen, könnten wir im Ernstfall zur Hilfe eilen.
Die Antwort kommt nur Minuten später. Alles sei okay, allerdings hätten die drei Jungs ein verdächtiges AIS-Signal geortet. Ein deutsches Segelschiff, das allerdings merkwürdig langsam unterwegs sei – mit gerade einmal 1,9 Knoten Fahrt, sieben Meilen entfernt. Auf Funksignale würde das Boot nicht reagieren, also wollten sie nachsehen, ob Hilfe benötigt wird.
Unheimliches Ausharren
Wenig später, mitten in einer stürmischen Nacht, steuert die Amelia in einer vier Meter Welle auf ein einzelnes weißes Licht zu, das hin und wieder über die Wellenkämme schimmert. Nur dank des AIS-Signals gelingt es den dreien, das Boot zu finden. Und das, was sie sehen, lässt nichts Gutes erahnen. Das Segelboot hat den Mast verloren, der in Lee in der See treibt, nur noch verbunden mit dem Boot durch die Wanten. Aber unter Deck brennt Licht. Es muss also jemand an Bord sein. Wieder versuchen sie Funkkontakt herzustellen. Vergeblich. Sie fahren so dicht es geht an die Yacht heran, ohne sich selbst zu gefährden. Sie rufen und leuchten das Boot an. Nichts!

„Was, wenn jemand verletzt unter Deck liegt?“, geistert durch ihre Köpfe. „Was, wenn jemand bewusstlos ist.“ Die See ist zu aufgebracht, um überzusetzen. Also rufen sie über Satellitentelefon „Bremen Rescue“ an. Die Seenotretter an der Weser benachrichtigen ihre Kollegen auf den Kapverden, doch das Schiff in Seenot ist bereits über 200 Seemeilen von dem Archipel entfernt.
Die Amelia, darum bitten die Seenotretter, möchte doch bitte bis Sonnenaufgang bei dem havarierten Boot bleiben, die Berufsschifffahrt sei informiert und werde zur Hilfe kommen. Bis zum Morgen harren die Jungs in der Nähe der deutschen Yacht aus, versuchen abwechselnd zu schlafen, bekommen aber kaum ein Auge zu. Zu sehr kreisen die Gedanken um das schwarz-gelbe Schiff mit der markanten, extrem hohen und massiven Reling und dem gebrochenen Mast.