„Zuviel Druck, der Spi muss runter!“ ruft Skipper Detlef aus dem Cockpit. Frank und ich sind gerade auf dem Vorschiff der 9-KR-Yacht Lisoletta mit Klüver und Fock beschäftigt, als über uns die 140-m²-Blase wie wild um sich schlägt. Also weg damit. Alltag bei den German Classics.
Der Raumschots-Schenkel von der Luvtonne zur nächsten Wendemarke kurz vorm Leuchtturm – mitten in der Kieler Bucht – wird bei 8 bis 9 Knoten Speed verdammt kurz zum Wechseln des Vorsegels. Der Spi geht weg. Kurz darauf haben wir immerhin die Fock oben, dann auch den Klüver. Mit einem harten Anlieger segeln wir zurück Richtung Ziel in die Strander Bucht.
140 klassische Holzschiffe…
Nach knapp vier Stunden herrlichen Segelns bei Sonne und gutem Wind passiert unsere sechsköpfige Crew ausgepowert und glücklich die Ziellinie. Gestern, bei Flaute, haben wir gewonnen. Heute reicht es nur für Platz 4. In unserer Gruppe namens „Große Kreuzeryachten II“ konnten wir unseren Klassiker-Rennwert nicht heraussegeln. Trotz guter Leistung und wenigen Fehlern. Immerhin haben wir noch vier Schiffe hinter uns.
Jetzt geht es unter staunenden Blicken der Besucher in den Hafen von Laboe. Etwa 700 Seglerinnen und Segler auf 140 klassischen Holzschiffen sind an die Kieler Förde gekommen. Zu sehen sind sechs Meter lange H-Jollen und Hansa-Jollen, Folkeboote, verschiedenste Spitzgatter, Seefahrtskreuzer und Schärenkreuzer. Dazu kommen große Kreuzeryachten bis hin zu einer Flotte zehn stolzer 12mR-Rennyachten.
… und mehr als 700 Segler
Teilnehmer aus den USA, Finnland, England und Dänemark geben der Klassikerregatta ihr internationales Flair. Und feiern kann es, das Bootsvolk. Jeden Abend steigert sich das Musikprogramm, angefangen von der Band „Urban Beach“ mit ihren Gitarrensongs und den legendären „Jazzlips“ aus Hamburg bis zum Höhepunkt und gleichzeitigen Abschluss der Oldie-Party mit „Barni Söhnel’s Cover Band“. Vom ersten Akkord an füllen sie den Dance Floor, nur unterbrochen von der „Show der TOP 100 Shots“ von Fotograf Sören Hese.
So ruhig wie die Musik am Willkommenstag beginnt das Segeln. Mit wenig Hoffnung auf Wind schicken uns Wettfahrtleiter Markus Böhlich und sein Team am Freitagmittag in den Regen. Immerhin gelingt eine Wettfahrt unter halbwegs regulären Bedingungen. Bei ein bis zwei Beaufort geht es über eine kurze Bahn, dann ist schon Schluss. Die Zwölfer segeln zwei Rennen auf der eigenen Bahn. Bei ihrem 12mR-Cup geht es um Waypoints zur WM 2019 in Newport (Rhode Island). So kommen die Zwölfer nicht mit dem Rest der Boote ins Gehege. Allerdings sorgen auf der Außenbahn die Sponsorentonnen für Verwirrung: „Welche Wendemarke sollen wir denn nun nehmen?“
Das Regenwetter am Freitag beschert den Fotografen ruhige Motive. Dafür bietet der Sonnabend bei Wind und wolkenlosem Himmel tolle Bilder mit Segel-Action auf der Langstrecke. Zurück im Hafen reißt auch am Freitag der Himmel auf, und pünktlich zur Modenschau auf dem Schoner „Ella“ strahlt die Sonne mit den gutgelaunten Models um die Wette.
Die Retro-Bademoden der Kollektion Prachtstück von Katrin Werger aus Berlin kommen in diesem Rahmen bestens zur Geltung – ein Hingucker für alle Teilnehmer. Die modelnden Jungs und Deerns machen später Stimmung als eifrige Tänzer auf den Seglerparties.
„Elghi II“ bekommt den Kupferkessel 2018
Ein Höhepunkt ist die Vergabe des Restaurationspreises. Fünf Bewerber gibt es in diesem Jahr. Ein Sechster bekam kalte Füße und zog seine Kandidatur zurück. Da hat die Expertenjury um Schiffbauingenieur Dr. Norbert Stuntz einiges zu begutachten und abzuwägen. Nach umfangreicher Erklärung und Begründungen, warum dieses Boot – denn alle sind liebevoll und professionell restauriert – fällt die Wahl auf die 6mR-Yacht „Elghi II“ von Ingo Steinhusen und Familie, den stolzen Verwahrern des Kupferkessels 2018.
In zartem Babyblau gehalten, mit Flushdeck und eigenem Cockpit für Skipperin und Skipper, erzählt diese Rennyacht der 1950er Jahre von heiß umkämpften Regatten an der Cote d’Azur. Der jetzige Eigner hat sie vor einigen Jahren nach Norddeutschland geholt. Er hat ein regattataugliches Boot aus ihr gemacht, ohne den Charakter zu verändern. Gemütliches Daysailing mit Familie oder Freunden – wenn auch etwas eingeengt – ist auch noch drin. Bewertet werden die yachtgeschichtliche Bedeutung des Bootes, der Umfang des Restaurierungsprojekts, die Originaltreue und Ausführungsqualität sowie die Eigenleistung des Besitzers. Da hat einfach alles gestimmt.
Gewinner gibt es viele, Spaß haben alle
Die German Classics sind seit vielen Jahren das Top-Event in der nordeuropäischen Klassikerszene. Von den Gründungsmitgliedern des Freundeskreis Klassischer Yachten um Wilfried Horns wurde es 1989 als Veteranenregatta aus der Taufe gehoben. Es muss keinen Vergleich scheuen mit ähnlichen Veranstaltungen in Skandinavien, am Mittelmeer, in England oder den USA. Gewinner gibt es viele, Spaß haben alle.
Die 12er Trophy geht an die „Vim“, unter US-Flagge geskippert von Patrick Howaldt. Dass bei den German Classics Groß und Klein vereint unter einem Hut segeln, beweist nicht zuletzt Illustrator Hinnerk Bodendieck. Er ist, so oft er kann, mit seiner selbst gebauten 4-m-Kommandanten-Gig dabei. Die Planungen des FKY für das Zentrum für klassischen Yachtsport auf dem Gelände des ehemaligen Kieler British Yacht Clubs sind längst abgeschlossen. Jetzt fehlt nur noch die Freigabe durch die Stadt Kiel. Und last not least sind Helfer und Unterstützer beim Freundeskreis jederzeit herzlich willkommen.