Auf meiner Erkundungstour durch die Altstadt sehe ich zwei Menschen auf dem Balkon sitzen. Deutsche Sprachfetzen dringen zu mir herunter. Ich spreche sie an. Michel Albi ist Segler. Mit seiner Partnerin macht er Landurlaub auf Madeira. Nun sitzen sie in Funchal fest und verbringen den Tag in der kurzerhand gemieteten Ferienwohnung.


In sicherer Entfernung zueinander tauschen wir unsere Erlebnisse aus. Es dauert nicht lange, da gesellt sich ein junges Paar zu uns. Anna und Daniel aus Berlin – auch er ist begeisterter Segler – sind ebenfalls hier hängengeblieben.
Wenig später habe ich in Funchal eine für meine Zwecke perfekte und bezahlbare Unterkunft gefunden. Ich teile mir ein großes Haus mit zwei netten Menschen und habe alles, was ich brauche – einen ungestörtem Blick auf den Atlantik aus 100 Metern Höhe inklusive. Und Platz für meine Hängematte. Hier könnte ich bleiben. Und ich stelle mich tatsächlich auf vier bis zwölf Wochen auf der Insel ein.
Angst vor den Fremden, also auch vor mir
Die Menschen auf Madeira halten sich scheinbar ziemlich konsequent an das Gebot „Stay at home“, das hier überall auf Anzeigetafeln angezeigt wird. Die sonst quicklebendige Altstadt ist wie leergefegt, so gut wie alle Läden haben geschlossen. Fast niemand ist unterwegs außer einigen wenigen Joggern, Hundebesitzern und Einkaufenden. Supermärkte und Apotheken haben geöffnet, ebenso Tankstellen und einige Elektronik-Geschäfte und Baumärkte. Die Busse fahren nun jeden Tag nach Sonntagsfahrplan.

Die meisten Einheimischen sind ruhig und wirken gefasst. Die Angst in ihren Augen glaube ich durchaus zu erkennen. Auch die Angst vor Ausländern, denn die haben wohl das Corona-Virus eingeschleppt. Fremden geht man lieber in einem großen Bogen aus dem Weg, und somit auch mir. Mein Vermieter schaut alle paar Tage mal rein: Wir halten Abstand, aber ansonsten verhalten wir uns ganz normal.
Safe Haven?
Es ist schwer zu sagen, welche Schiffe jetzt noch wo auf den „Glückseligen Inseln“ – also jenen Inselgruppen im Nordatlantik von den Azoren bsi zu den Kanaren – liegen, ankern oder treiben. Einige Yachten haben sich bereits auf den Weg gemacht gen Norden. Die meisten warten ab.
Auf keinen Fall sollte man jetzt überstürzt gen Europa auslaufen, so lange nicht geklärt ist, wie die Transitbestimmungen entlang der europäischen Atlantikküste und auch die Einlaufgenehmigungen für Deutschland geklärt sind. Das Wetter ist zu dieser Jahreszeit nicht unbedingt der beste Freund für diese Route. Und Nonstop von den Kanaren oder Madeira nach Deutschland könnte es vier bis sechs Wochen oder auch länger dauern.

Aber nur, wenn alles gut geht, man genug Proviant und Diesel hat und eine geeignete Crew. Und man keine medizinischen oder technischen Zwischenfälle hat oder gar Ersatzteile benötigt. Eine Crew wird hier allerdings schwer zu finden sein. Da sind nur noch die wenigen Ausländer, die ebenfalls festsitzen – angeblich höchstens 300. Wie viele von ihnen segeln könnten und wollten, kann niemand einschätzen.
Langfahrer mit Langeweile
Ein befreundeter Skipper liegt mit seiner kleinen Yacht im Hafen auf Porto Santo. Er berichtet von seinem zunehmend enger werdendem Bewegungsspielraum. Die Fähre nach Madeira darf er seit zwei Wochen nicht mehr benutzen. Mit dem Boot auszulaufen würde bedeuten, nicht wieder in einen Hafen zurückkehren zu dürfen.
Zwei mir bekannte Crews in Quinta do Lorde durften sich zwar auf dem Gelände frei bewegen und sogar den Mietwagen zum Einkaufen nutzen. Aber damit ist es seit einigen Tagen auch vorbei. Kommuniziert wird fast nur noch telefonisch oder digital. Die meisten Crews bleiben auf ihren Booten – und langweilen sich. Oder sie arbeiten die im normalen Bordalltag nie zu schaffenden To-Do-Listen ab.
Heute ist Tag 19 der Corona-Krise auf Madeira und Tag 15 des Ausnahmezustands. Wie wird es in zwei Wochen aussehen? Und danach? Vielleicht bietet sich ja in einigen Wochen eine Mitsegelgelegenheit gen Norden.