Lange war es still um die Beneteau Gruppe, was neue Technologien, nachhaltige Ansätze und die Verwendung neuer ökologischer Materialien betrifft. Auf dem Cannes Yachting Festival 2022 schließlich stellte Gianguido Girotti, CEO bei Beneteau für den Bereich Bootsentwicklung, die neue Nachhaltigkeits-Strategie des weltgrößten Serienbootbauers vor.
Mit dem umfassenden Konzept will die Werftgruppe in den kommenden zehn Jahren den gesamten Herstellungsprozess nachhaltiger gestalten. Gemeinsam mit dem französischen Harzhersteller Arkema hat Beneteau den Prototypen einer First 44 entwickelt, der vollständig recycelbar sein soll. Das ist der Anfang einer umfangreichen Umstellung – international und in allen Segmenten. float sprach mit Gianguido Girotti über die Pläne des Branchenriesen.

float: Gianguido, ihr habt einen neuen recycelbaren Werkstoff zusammen mit Arkema entwickelt. Worum geht es dabei?
Gianguido Girotti: Unser Hauptaugenmerk liegt auf dem Verbundwerkstoff (GFK). Bisher ließ sich kein Kompositmaterial erhitzen und beide Komponenten (Fasern und Harz) anschließend wieder trennen. Wir haben uns mit Elium von Arkema für ein Harz entschieden, das es uns ermöglicht, zu 100 % recyclebar zu sein.
Wie arbeitet Beneteau mit Arkema zusammen?
Wir haben uns vertraglich gebunden, um das neue Elium-Harz in unsere Herstellungsprozesse einzupassen. Jeder Partner hat seine Expertise. Nicht jedes Harz verhält sich gleich in der Verarbeitung. Wir müssen also die Serienproduktion entsprechend umstellen. Das ist nicht einfach.
Wird auch biobasiertes Material verwendet?
Nur in einigen kleinen, nicht tragenden Teilen verwenden wir Biofasern, für Schränke zum Beispiel. Hier verwenden wir biobasierte Harze mit Hanffasern. Diese Fasern haben den Vorteil, dass sie schnell und lokal wachsen. Vom Standpunkt globaler Nachhaltigkeit aus ist das sehr interessant.

Beneteau hat in den letzten Jahren den Arkema-Trimaran mitfinanziert. Dabei wurden Erkenntnisse aus der Design- und Materialforschung für die Verarbeitung des Elium-Harzes im Serienbau gewonnen, richtig?
Ja. Wir wollten wissen, wie wir einen Prozess entwickeln, den wir auf das ganze System hochskalieren können. Wir wollen nicht nur ein einzelnes Boot nachhaltig bauen, sondern die gesamte Produktionskette nachhaltig machen. Unser Hauptanliegen ist es, das neue Verfahren zu industrialisieren und die richtigen Wege bei der industriellen Anpassung zu finden.
Wie unterscheidet sich der Herstellungsprozess mit Elium-Harz vom bekannten Verfahren?
Man kann herkömmliches Harz nicht einfach durch Elium-Harz ersetzen. Wir müssen es exakt in den Verarbeitungsprozess integrieren. Das Herstellungsverfahren selbst basiert auf unserer gemeinsamen Entwicklung mit Arkema, das geben wir natürlich nicht preis.
Auf der Paris Boat Show 2022 werden wir einen eigenen Stand zum Thema Nachhaltigkeit bei der Group Beneteau haben und können mehr dazu sagen.

Das erste Boot aus Glasfaser und Elium-Harz ist die Beneteau First 44. Rumpf und Deck sind bereits fertig, das Interieur wird gerade gebaut. Wird das Boot zur Paris Boat Show fertig sein und dort präsentiert?
Ja, so ist es. Wir haben es geschafft, das gleiche Gewicht wie beim bisherigen Boot zu erreichen – und die gleichen physischen Eigenschaften. Darüber bin ich sehr glücklich. Wir werden die First 44 in St. Gilles [in der Vendée; float] behalten, um der Presse zu zeigen, dass das Boot die gleiche Performance und das gleiche Verhalten wie ein „normales“ Boot aufweist.
Auf der boot Düsseldorf 2023 wird die erste nachhaltige First 44 auch zu sehen sein?
Ja. Die First 44 wird erstmals in Paris präsentiert und dann auf der Boot Düsseldorf.
Was ist mit den Produktionsstätten in Polen? Werdet ihr dort auch das Verfahren umstellen?
Ja. In Polen bauen wir unter anderem Delphia, das als Elektroboot ganz besonders nachhaltig ist. Ab 2024 soll es vollelektrisch sein. Wir denken auch hier über den Einsatz von Elium-Harz nach. Wir tunen den gesamten Prozess, aber Delphia wird – neben den Segelbooten – an der Spitze stehen.

Wie wird das von den Kunden angenommen werden?
Ich finde, wir müssen als Werft Verantwortung übernehmen. Wenn du ein Leader bist, musst du deiner Verantwortung gerecht werden. Wir nehmen es wirklich ernst mit dem Anspruch an Nachhaltigkeit.
Ich glaube, es gibt einen Wandel im Mindset von Bootfahrerinnen und Bootfahrern. Es gibt inzwischen ein viel höheres Bewusstsein zum Schutz der Meere und Gewässer: Vor vier Jahren wären das noch „Early Adopter“ gewesen, aber heute ist diese Einstellung schon normal.
Das ist ein sehr umfangreicher Umbauprozess …
Ja, es ist ein langer Prozess. Es sind ja nicht nur wir, die hier eingebunden sind. Wir kaufen vieles zu: Maschinen, Technik, Bauteile. Wir wollen deshalb auch wissen: Wie ist der CO2-Abdruck unserer Zulieferer? Wo sind die größten CO2-Belastungen im gesamten Prozess?

In welchen Zeitfenstern denkt Beneteau?
Den gesamten Prozess umzustellen wird mindestens zehn Jahre in Anspruch nehmen. Schon seit einiger Zeit überarbeiten wir auch die Zulieferer-Produktion. Beim Holz machen wir keine Kompromisse, die schlechte Auswirkungen auf den Waldbestand haben könnten.
Wir nutzen nur Material von Zulieferern, die einen ökologischen Ansatz haben, das Land selbst besitzen und wieder aufforsten, damit sie den ökologischen Kreislauf nicht überbeanspruchen.
Was ist mit Teak?
Die Situation in Burma zwingt uns, neue Lösungen zu finden. Wir steigen auf alternative Lösungen um. Wir haben 1,5 Mio. Euro in eine Maschine investiert, die synthetisches Teak herstellt. Der nächste große Schritt ist das Recycling von einzelnen Teilen. Wir hinterfragen alle Prozesse. Es geht bis ins Design.
Wie viele Mitarbeiter sind bei Beneteau bei diesen Umbauprozessen involviert?
Es ist ein umfangreicher Entwicklungs- und Innovationsprozess. Beim Design, im Marketing und der Produktion haben wir rund 350 Leute, die daran arbeiten. In unterschiedlicher Weise sind am Ende alle eingebunden.
Wie groß ist das Nachhaltigkeitsteam?
Das Team, das intensiv involviert ist, besteht aus etwa 50 Personen. Das sind Experten aus den verschiedenen Bereichen. Wir bauen keinen einzelnen Prototypen, sondern überdenken den gesamten Design- und Herstellungsprozess! Deshalb ist es ein großes Projekt, das nach und nach in die gesamte Firmengruppe integriert wird.
Du sagst, es braucht zehn Jahre. Wird Beneteau in dieser Zeit den gesamten Fabrikations-Prozess erneuert haben?
Es ist ein langer Zeitraum, und bis dahin wird sich sehr viel verändert haben.

Es geht aber auch um die Reduktion des CO2-Abdrucks bei der Produktion, richtig?
Beim CO2-Fußabdruck geht es nicht nur um den Produktionsprozess. Bei den Materialien, die man zukauft, stellt sich die Frage: Wo kommen die her? Auf welchem Lieferweg? Mit der Bahn, über den Seeweg, mit dem LKW?
Wir beginnen jetzt mit einem Modell bei der Materialbeschaffung, machen weiter mit dem Produktionsprozess und enden beim Lebenszyklus. Niemand hat das vor uns in dieser Detailgenauigkeit gemacht. Das wollen wir als „Referenzstück“ entwickeln und dabei genau verstehen, wie wir die Prozesse optimieren können.
Für ein Boot sind das etwa sechs Monate Arbeit für eine Person in Vollzeit. Wir haben insgesamt 150 Modelle. Wir müssen deshalb sehr genau die Benchmarks für ähnliche Produkte entwickeln: für einen Katamaran, einen Monohull, einen Außenborder, ein Flybridge-Schiff. Dann skalieren wir hoch und runter, basierend auf diesen Dimensionen.
Kommen wir zu den Käufern und deren Wünschen: Aktuell wollen die meisten immer noch schnell sein auf dem Wasser. Das Boot soll groß sein, und es soll luxuriös sein. Das geht nicht gut einher mit Nachhaltigkeit: Man braucht mehr Material, größere Maschinen, mehr Energie.
Wenn Leute sehr schnell sein wollen, muss man ihnen sagen, dass dies Fahrzeit und Reichweite verringert. Und ihnen erklären, dass sie fünfmal so viel Energie verbrauchen. Das kann also nicht die richtige Antwort für den Markt sein.
Schauen wir uns mal das Mindful Cruising von Delphia an. Oder die Trawler von Beneteau, die schon ein langsameres Bootskonzept verfolgen. Wir haben auch schon einige Flybridge-Yachten verlangsamen können, weil wir mehr auf eine nachhaltige Haltung setzen. Bei unseren Katamaranen mit Flybridge können schon 30 % bei Emissionen and Verbrauch eingespart werden. Der Trend geht bei uns klar in diese Richtung.
Bis vor kurzem war der Gedanke an ein Elektroauto ein Alptraum, weil man dachte, man bleibt auf halber Strecke stehen. Man muss seine Einstellung verändern. Man kann lange Strecken fahren, muss aber anders planen. Wir können die Kunden nicht zwingen, aber wir können überzeugen. Darum brauchen wir Pilotprojekte: um die Technik zu verändern, die Technologie weiterzuentwickeln und den nächsten großen Schritt vorzubereiten. Der Wandel wird kommen. Die gesamte Industrie wird sich umstellen müssen.

Stichwort E-Motoren: Arbeitet ihr außer mit Torqeedo mit anderen E-Motoren-Herstellern zusammen?
Wir arbeiten mit verschiedenen Anbietern zusammen, wir sind mit niemandem verheiratet. Es ist viel in Bewegung im Moment. Wir kooperieren mit Vision Marine Technologies bei den Daysailern, mit Torqeedo für die Einrumpf- und Mehrrumpfsegler. Und mit Volvo Penta arbeiten wir an einem Projekt für einen Hybridmotor. Dieser Antrieb wird der Game Changer der kommenden Jahre sein.
Wie schlagen die nachhaltigen Materialien finanziell ins Gewicht?
Das nachhaltige Elium-Harz ist zwei- bis dreimal so teuer. Das macht in Summe vielleicht 20.000 Euro aus bei einem 500.000-Euro-Boot. Das Harz ist also kostenmäßig nicht so relevant. Aber der Impact für die Umwelt ist enorm.
Und er wird sich steigern, je mehr Bereiche der Produktion wir in die Transformation einbeziehen. Dort liegt mein Fokus: auf dem Impact bei der gesamten Transformation.