Zum ersten Mal wurden weltweit Frauen und Männer befragt, wie es um die Gleichberechtigung beim Segeln bestellt ist. Anfang Dezember veröffentlichte der World Sailing Trust, die Stiftung des Weltsegelverbands, die Ergebnisse der Studie „Women in Sailing“.
Wir haben mit der Weltumseglerin Dee Caffari und Vorsitzenden des World Sailing Trusts, über die Ergebnisse und Konsequenzen der Umfrage gesprochen.

4.500 Frauen und Männer aus 75 Nationen im Alter von elf bis 83 Jahren wurden befragt, von Jollen- und Kielbootseglern mit Offshore- und Küstensegelerfahrung bis zu nationalen Behörden, Klassenverbänden, Rennleitern, Freiwilligen und Veranstaltern. Die gesamte internationale Segelwelt wurde einbezogen.
Besonders junge Frauen trifft Diskriminierung
80% der weiblichen und 56% der männlichen Befragten sind der Auffassung, dass das Geschlechterverhältnis im Segelsport nicht ausgeglichen ist und Frauen diskriminiert werden. 59% Frauen und 14% Männer wurden auf die eine oder andere Weise selbst Opfer von Diskriminierung wie Belästigung und Ausgrenzung. Oder ihnen wurde vorgeworfen, sie seien allein wegen ihres Geschlechts inkompetent.

Besonders betroffen davon ist die Gruppe der 18- bis 25-jährigen Frauen, von denen viele aus dem Segelsport ausgestiegen sind. Zu den wichtigsten Problemen, die diese Gruppe nannte, gehören mangelnde Einbeziehung und Unterstützung, außerdem zu wenig Sichtbarkeit von Frauen im Segelsport, insbesondere beim Regattasport.
Die Studie des World Sailing Trusts gibt in neun Punkten klare Empfehlungen, um die Ungleichheiten zu beseitigen. Die Adressaten: Institutionen, Segelverbände und Vereine.
Kim Andersen, der Präsident des Weltsegelverbands World Sailing, signalisierte dazu Unterstützung: „Wir begrüßen den Bericht des World Sailing Trusts und seine Empfehlungen und freuen uns, gemeinsam mit unseren Partnern aus der gesamten Segelgemeinde, die Beteiligung von Frauen zu verbessern.
Überraschend wenig Fortschritte abseits der Schlagzeilen
Mit Dee Caffari, der Vorsitzenden des World Sailing Trusts, Ocean-Race-Teilnehmerin und sechsfacher Weltumseglerin, haben wir über die Ergebnisse der Studie gesprochen.

float: Dee Caffari, wer hat die Studie auf den Weg gebracht?
Dee Caffari: Auf der Weltsegelkonferenz in Sarasota 2018 im US-Staat Florida fand eine Frauen-Sitzung statt. Der Zeitpunkt des Meetings am späten Nachmittag in einem Hinterzimmer, die fehlende Mikrofonanlage, die gleichzeitig stattfindende und gut beworbene Party – all das zusammengenommen gab dem Treffen bestenfalls den Charakter eines Kaffeeklatsches.
Andrew Pindar, CEO von GAC Pindar, der an dieser Sitzung teilnahm, fragte sich, was sich im Lauf seines Lebens für Frauen im Segelsport verändert hatte. Hatten die vielen Siege von Frauen etwas bewirkt, das über Schlagzeilen hinausging?
Er hatte den Eindruck, dass im Segelsport bei der Gleichstellung der Geschlechter überraschend wenig Fortschritte erzielt wurden – trotz vieler positiver Veränderungen anderswo. Er beschloss, dass etwas Konkretes geschehen musste.

Pindar fragte sich, ob das, was er in Sarasota hörte, repräsentativ für Frauen im Segelsport rund um den Globus ist. Und ob die Führung des Weltsegelverbands überhaupt ein Problem erkannte. Andrew Pindar wandte sich an den World Sailing Trust, und schnell waren wir uns einig, dass mehr Daten zur Einschätzung der Situation notwendig sind.
Eine umfassende, internationale Umfrage könnte Aufschluss geben. Aber es gab kein Budget dafür. Statt noch mehr Zeit zu verschwenden, beschloss Andrew Pindar, das Projekt selbst zu finanzieren.
Was genau wollte der World Sailing Trust mit der Studie herausfinden?
Als der World Sailing Trust die Initiative ergriff, eine qualitative Untersuchung über Frauen im Segelsport zu erstellen, hatten wir vertiefende Daten zu den einzelnen Bereichen des Segelsports erwartet. Wir wollten zuerst den aktuellen Status Quo ermitteln.
Herausfinden, warum der Segelsport die Seglerinnen im Stich lässt
Als wir die ersten Antworten auf die Umfrage erhielten, wurde uns klar, dass der Schwerpunkt woanders liegen musste. Anstelle einer Analyse zu Fragen der Geschlechtervielfalt, zeigte sich ein viel größeres Problem im gesamten Segelsport. Etwas, das von oben nach unten behandelt werden musste: Nämlich herauszufinden, warum der Segelsport unsere Seglerinnen im Stich lässt.
Wer war an dem Projekt beteiligt?
Die Ergebnisse hat Victoria Low erarbeitet, beraten durch eine Lenkungsgruppe, zu der Laura Dillon, ich, Hannah Goldie und Andrew Pindar gehören. Der Umfragebogen selbst wurde zusammengestellt mit Unterstützung der SAP-Tochterfirma Qualtrics, die uns die Plattform für eine tiefgehende Datenanalyse zur Verfügung gestellt hat und das Team während des gesamten Projekts unterstützte.
Wie wurde die Studie konkret durchgeführt?
Die Umfrage wurde am 8. Juli 2019 gestartet und über das weltweite Segelnetzwerk verteilt, einschließlich der nationalen Seglerverbände, der internationalen Verbände, Segelclubs, Partner, Hersteller und auch bei allen Seglern mit einer Segler-ID bei World Sailing. Die weitere Verteilung erfolgte durch wichtige Multiplikatoren auf der ganzen Welt.
Für eine möglichst große internationale Verbreitung wurde die Umfrage in fünf Sprachen übersetzt und war auf Spanisch, Französisch, Portugiesisch, Japanisch und Englisch verfügbar. Zusätzlich zu der Umfrage führte das Team viele Interviews mit wichtigen Repräsentanten des Segelsports, der Wirtschaft und dem erweiterten Sportsektor.
Harte Tatsachen sind notwendig, um die Menschen aufmerksam zu machen
Uns war bewusst, dass wir nicht die erste Sportart waren, die sich mit diesem Thema Gleichstellung auseinandersetzt. Um von Erfahrungen anderer Sportarten zu profitieren, haben wir eng zusammengearbeitet. So hatte wir Zugang zu Referenzmaterial, und wir konnten ein umfassendes Bild der Entwicklung in anderen Sportarten machen.
Was hat dich an den Ergebnissen am meisten überrascht?
Wirkliche Überraschungen gab es eigentlich nicht. Stellt man die Ergebnisse evidenzbasiert zusammen, erhält man die harten Fakten, ohne Emotionen. Einige Zahlen waren schockierend. Aber das Timing war richtig. Und die harten Fakten sind notwendig, um Menschen aufmerksam zu machen. Um dann etwas zu verändern.
Entsprechen die Ergebnisse der Umfrage deinen eigenen Erfahrungen?
Wie ich schon sagte: Die Ergebnisse selbst waren nicht überraschend, aber das Ausmaß wurde offenbar unterschätzt. Auch die Bandbreite der Altersgruppen, die vom Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern betroffen ist, war unglaublich groß.
Nicht nur die Harten, die bereit sind, sich durchzukämpfen, sollten gute Möglichkeiten bekommen
Ich selbst hatte insgesamt ziemlich viel Glück mit dem, was ich erreicht habe – mit männlichen Vorbildern auf meinem Weg, die mich unterstützt haben. Aber das ist nicht die Regel, und ich musste auch eine ziemlich dicke Haut haben, um meinen eigenen Weg zu gehen.
Du gehörst zu den Seglerinnen, die bewiesen haben, dass Frauen in allen Richtungen um die Welt segeln können. Ein immer wiederkehrendes Argument ist: Frauen, die wirklich ein Ziel erreichen wollen, können es schaffen. Sie müssen es nur stark genug wollen. Was sagst du denen, die so argumentieren?
Das mag ja so sein. Aber das Wesentliche ist doch, dass nicht nur die Harten, die bereit sind, sich durchzukämpfen, gute Möglichkeiten bekommen sollten. Was wir uns wünschen, ist Geschlechterparität und Chancengleichheit für alle.

Ich glaube, dass alle Frauen, die sich zu großen Erfolgen durchgekämpft haben, ihre Bekanntheit dafür nutzen müssen, anderen zu helfen. Um in einem Sport voranzukommen, der sich entwickelt und Fortschritt zeigt, der integrativ und vielfältig ist.
Wie wurden die Ergebnisse der Studie aufgenommen? Gab es international eine öffentliche Debatte?
Die Ergebnisse wurden zum ersten Mal auf der Weltsegelkonferenz in Bermuda im Oktober 2019 bei einer offenen Sitzung präsentiert. Im November 2019 wurden die Ergebnisse beim Yacht Racing Forum in Bilbao präsentiert, bevor sie veröffentlicht wurden. Heute stehen sie komplett online für alle zur Verfügung.

Was hat sich seit der Veröffentlichung der neun Empfehlungen bereits an Verbesserungen ergeben?
Wir kommen mit vielen der Empfehlungen voran, und wir können nun auch Personen dafür in die Verantwortung nehmen. Das braucht Zeit. Aber wir bewegen sie alle, mehr oder weniger. Und wir werden auf der diesjährigen Weltsegelkonferenz darüber berichten, um zu zeigen, wie weit wir als Sport gekommen sind.
Es gibt viele Veränderungen in der Führung des Weltverbands. Wenn wichtige Personen in verantwortlichen Positionen und Entscheidungsträger wechseln, brauchen Veränderungen oft länger als gedacht. Aber diese neun Empfehlungen werden befolgt.
Als weltweit führender Verband sollten wir mit gutem Beispiel vorangehen.
Wir haben auch eine Umfrage zur Geschlechterdiskriminierung für Clubs und Verbände erstellt, die helfen soll herauszufinden, wo sie stehen und was sie tun können, um die Agenda der Geschlechter voranzubringen.
Was ist, deiner persönlichen Ansicht nach, das Wichtigste, was sich verbessern sollte?
Ich denke, für uns als Dachverband des Segelsports ist es wirklich wichtig, klare Regeln zur Gleichstellung zu haben. Das wird allen Segelverbänden und Rechtsträgern helfen, ihre eigenen Regeln auf eine solide Grundlage zu stellen. Als weltweit führender Verband sollten wir mit gutem Beispiel vorangehen.
Was sind deine persönlichen Pläne für das Jahr 2020?
Ich finde die gemischte Zweihand-Offshore-Klasse, die als neue Klasse bei den Olympischen Spielen 2024 dabei sein wird, sehr aufregend. Ich werde in der RORC-Serie in dieser Zweihandklasse näher der Heimat regattieren und freue mich auf viel Spaß bei den Rennen und am Segeln.
Wirst Du wieder am Ocean Race teilnehmen?
Sag niemals nie! Ich habe bisher keine Einladung erhalten und habe kein Geld für ein eigenes Projekt zurückgelegt. Es fühlt sich zwar wie lange her an, aber wir alle wissen, wie schnell die Zeit vergeht. Ich verfolge alle angehenden Teams mit Interesse.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Dee.
HIer die Ergebnisse der Umfrage ungekürzt.
Das sind die Empfehlungen des World Sailing Trusts
1. Arbeitsgruppe für Vielfalt und Integration
Einrichtung einer Gruppe wichtiger politischer Entscheidungsträger, Führungskräfte und Einflussnehmer unter der Leitung des World Sailing Trusts mit Unterstützung von World Sailing und strategischen Partnern, um die folgenden Initiativen zu überwachen und Fortschritte für Frauen und Mädchen im Segelsport voranzutreiben.
2. Geschlechter-Charta
Die Arbeitsgruppe Vielfalt und Integration entwickelt mit Unterstützung der Verwaltung des World Sailing Trusts und World Sailing eine Charta für den Weltsegelsport, seine Veranstaltungen, Partner und Unterstützer, um die Gleichstellung der Geschlechter im gesamten Sport zu fördern.
3. Gleichstellungspolitik
World Sailing entwickelt ein Regelwerk zur Förderung der Gleichberechtigung und zum Schutz des Einzelnen vor Belästigung und Diskriminierung für alle am Segeln Beteiligten.
4. Erhöhung der Teilnahme und Einrichtung von Raum für Frauen, um sich zu messen
World Sailing setzt sich bei allen Segelveranstaltungen für eine stärkere Beteiligung von Frauen und bessere Möglichkeiten für Frauen bei World Sailing Special Events ein – und dafür, Red Diamond-Anforderungen für offene Veranstaltungen abschaffen und bei anderen Veranstaltungen demonstrieren, wie man gleichberechtigter sein kann.
5. Gleichberechtigung der Geschlechter für Offizielle
World Sailing entwickelt Richtlinien zur Unterstützung der Gleichberechtigung der Geschlechter bei WS-Veranstaltungen und arbeitet zusammen mit dem World Sailing Trust an der Entwicklung eines Konzepts für Segelclubs und Regattaveranstalter und für eine Ausbildung von weiblichen Offiziellen.
6. Gender Design-Projekt
Wichtigste Designer, Marken und Hersteller werden zusammengebracht, um eine Anleitung für geschlechtergerechtes Design zu entwickeln, die die Beteiligung von Frauen und Mädchen am Segeln zu unterstützen.
7. Coaching-Programm für Frauen
Der World Sailing Trust wird mit World Sailing, Segelverbänden und anderen Partnern zusammenarbeiten, um ein umfassendes Ausbildungsprogramm für weibliche Trainer zu entwickeln.
8. Fast Track-Führungskräfteprogramm
Der World Sailing Trust wird mit World Sailing und anderen Partnern zusammenarbeiten, um ein Programm zu entwickeln, um den Nachwuchs von weiblichen Führungskräften im gesamten Sport zu fördern.
9. Mentoring-Programm für Frauen
Der World Sailing Trust wird mit World Sailing und anderen Partnern zusammenarbeiten, um ein Mentorenprogramm für Frauen zu entwickeln, die ihre Karriere im Segelsport aufbauen wollen.
Der Fragebogen für Clubs und Vereine.