Das deutsche Kaiserreich brachte eine relativ lange Friedenszeit mit einem gewissen Wohlstand breiterer Bevölkerungsschichten. So ist es zunehmend auch dem Proletariat möglich, einen Sport zu betreiben, den sich bis dato nur die Besserverdiener leisten können, den Segelsport.
Die sich daraus entwickelnde „volkstümliche Kleinsegelei“, also der organisierte Segelsport mit geringen finanziellen Mitteln, hat ihren Beginn in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Zunächst im Großraum Berlin mit seinen Seen, Kanälen und Flüssen, dann aber auch anderswo im Kaiserreich, wo man Wassersport treiben kann.
Allerdings: Der Jollensegelsport fristet im Kaiserreich noch ein kümmerliches Dasein. Segelsport ist bis dato Herrensport auf großen Yachten. Dem kleinen Mann bleibt allenfalls das Vergnügen im Paddel- oder Ruderboot, die teilweise mit Segel auch als Segelkanus oder Segelgigs genutzt werden. Mehr kann er sich in seiner begrenzten Freizeit an schönen Wochenenden auf den Gewässern der Metropolen des Reiches kaum leisten.
Selbst ist der Arbeiter
2023 werden gleich zwei Lübecker Segelvereine 125 Jahre alt: der Lübecker Yacht-Club (LYC) und der Segler-Club Hansa (SCH). Während der LYC auf Betreiben des Kaisers gegründet wird und mit seinen Mitgliedern aus eher großbürgerlichem Milieu seit Beginn dem 1888 gegründeten Deutschen Segler-Verband (DSV) angehört, steht der SCH der Arbeitersportbewegung nahe.

Ab 1925 bis zu seiner Auflösung schließt sich der SCH dem Freien-Segler-Verband (FSV) an. Als Alternative hätte sich vielleicht auch der 1912 gegründete Deutsche Segler Bund (DSB) angeboten. Der wendet sich aber an „normale“ bürgerliche Vereine und distanziert sich durchaus vom Arbeitersport.
Aus Wettsegeln wird freies Segeln
In und nach der Kaiserzeit beherrschen die beiden großen Dachverbände DSV und DSB den deutschen Segelsport. Daneben gibt es noch ab 1925 für knapp zehn Jahre einen kleineren Verband, den Freien-Segler-Verband. Seine Ursprünge reichen bis 1883 zurück. Organisatorischer Vorläufer ist der Berliner Wettsegelverband (BWV), der allerdings vor dem 1. Weltkrieg mit seinen Aktivitäten auf den Berliner Osten beschränkt blieb.
Nach dem 1. Weltkrieg stagnieren die Aktivitäten des BWV zunächst, da die Folgen des Krieges vor allem in den Kreisen der „Arbeitersportler“ stärker zu spüren sind. Der Einfluss des BWV wächst erst, als es zu einer Ausdehnung auch auf den Westteil Berlins kommt und 1923 bereits neun Vereine zum BWV gehören – u.a. die Freie Vereinigung der Tourensegler Grünau und nach der späteren Abspaltung der SC 1898 e.V., der heutige Segelclub Brise. Beide Vereine bestehen in diesem Jahr also auch schon 125 Jahre.

Anfang 1924 nennt sich der BWV in Freier Wettsegel Verband um, im Herbst des gleichen Jahres dann endgültig in Freier-Segler-Verband. Gleichzeitig öffnet sich der Verband auf das gesamte Reichsgebiet. Verbandsorgan wird 1925 „Der freie Segler“. Der SCH aus Lübeck ist der erste Verein im FSV außerhalb Berlins. Bis zur Auflösung 1933 sind in diesem Verband 53 Vereine registriert, darunter 24 aus dem Reich.
Geselliger Verkehr
Im August 1898 gründen fünf Lübecker Handwerker den Segler-Club Hansa. Zweck und Ziel des Vereins ist „die Hebung des Segel- und Wassersports und des geselligen Verkehrs seiner Mitglieder“. Als Vereinstreffpunkt dient eine Gaststätte.
Als die Mitgliedszahlen steigen, die Boote größer werden, wird gesammelt und schon 1914 kann ein eigenes Bootshaus an der Wakenitz erbaut werden. 1929 wird es dann um zwei Seitenflügel erweitert.
Ein wichtiger Termin für die Arbeitersegler und den FSV sind die jährlichen Feierlichkeiten zum 1. Mai. Auch der SCH beteiligt sich in Lübeck daran. Bis auf den 1. Mai 1933, als man die Fahnenmasten vor dem Vereinsheim abbaut, um nicht die Hakenkreuz-Fahne hissen zu müssen.

Gesegelt wird zunächst fast ausschließlich auf der Wakenitz, einem kleinen Nebenfluss der Trave. Bereits 1903 wird zusammen mit dem Lübecker Segler-Verein (LSV) und dem Lübecker Yacht-Club (LYC) die erste Senatsregatta auf dem Wakenitzbecken ausgetragen. Die Ratsherren stiften einen Wanderpreis, der von da an jährlich ausgesegelt wird. Einheitliche Bootsklassen sind noch unbekannt.
Mit Musik die Wakenitz rauf
Die Wakenitz in Lübeck ist recht eng, die Windverhältnisse eher schwierig und so verlagert sich das Segeln schon bald zum nahe gelegenen Ratzeburger See. Ebenso die Regattatätigkeit. Die erste offene Regatta findet 1912 statt.
Ein Kommentar
[…] Float-Magazin vom 18.08.2023 […]