In einer alten Lagerhalle des Kieler Güterbahnhofs reifen große deutsche Segelträume: Am 18. November hatte die Initiative des Youth und Women’s AC Team Germany für die Teilnahme am America’s Cup in die inzwischen zum Kieler Gourmet-Tempel gewandelte Location geladen. Die Veranstaltung wurde zu einem Stelldichein der Größen des deutschen Segelsports.

Dreifach-Olympiasieger und Doppel-America’s-Cup-Gewinner Jochen Schümann kam als Mentor der Initiative, der zweimalige Olympia-Teilnehmer Marc Pickel ist der Motor der Kampagne. Ex-Tornado-Weltmeister Oliver Schwall gehört neben Pickel und Ole Sartori zum Management. Robert Stanjek und Jens Kuphal berichteten im Rahmen des Events von The Ocean Race, Erik Heil vom SailGP.

Die Weltumsegler Tim Kröger und Michi Müller, Olympia-Bronze-Gewinner René Schwall und auch Ex-Laser-Weltmeister Philipp Buhl waren als Gäste dabei. Dazu kamen Vertreter der Stadt Kiel und Interessierte aus allen Sparten des Segelsports, um zu erfahren, wie Deutschland im kommenden September/Oktober vor Barcelona je ein Team auf den AC40 beim Nachwuchs- und beim Frauen-AC an den Start bringen will. Regatten, von den Jochen Schümann sagt, dass sie den Einstieg in die Welt des America’s Cup bilden.
Youth und Women’s AC als Einstieg in das Top-Event
Es wurde geplant, geträumt, Visionen wurden geschmiedet an diesem Abend in den Räumlichkeiten der Eventlocation Budenzauber. Neben Smalltalk und gutem Essen gab es Informationen auf der Bühne, der Fahrsimulator eines AC40 war ausgestellt, per Live-Schalte ging es nach Neuseeland zu Ray Davies, einem der Köpfe hinter der Entwicklung der modernen Monohull-Foilern des America’s Cups.
Getagt wurde in den Räumlichkeiten von Lars Farien, dessen Sohn Paul, Vize-Europameister in der Waszp, das Youth Team leitet. Paul Farien ist der Initiator der Kampagne. Carolina Werner, Nacra17-Olympiaseglerin von 2016, führt verantwortlich das Frauen-Team.

„Der America’s Cup ist die Spitze des Segelsports. Es ist eine großartige Chance für Frauen, dass sie sich im Rahmen des Women’s America’s Cup präsentieren können“, sagte Caro Werner auf der Bühne, stellvertretend für ihre Team-Kolleginnen Tina Lutz, Luise Wanser, Franziska Mäge, Sophie Steinlein, Theresa Steinlein, Hanna Anderssohn und Luisa Krüger. In den AC40-Foilern hätten die Frauen die Chance, genauso zu performen wie die Männer: „Durch die Batterie-Power fällt der Kraftaspekt weg. Damit gibt es keine Leistungsunterschiede zwischen Frauen und Männern mehr.“
Trotzdem wird der Einstieg in diesen Hochgeschwindigkeits-Circuit eine Riesenaufgabe: „Das Boot ist eine einzige Grenze“, sagt Paul Farien. „Es wird extrem wichtig sein, den Mut aufzubringen, bei richtig Druck abzufallen. Die G-Kräfte bei 50 Knoten Speed sind unglaublich.“
Simulator-Training ist der Schlüssel für den Einstieg
Um sich auf diese Herausforderungen vorzubereiten, sei das Training am Simulator ein wichtiger Schritt: „Der Simulator schult uns, wie wir an die Sache herangehen müssen. Ohne dieses Vortraining wäre es Wahnsinn, auf den AC40 zu steigen. Man muss erst einmal lernen, wie die Bedienungselemente funktionieren, welche Knöpfe wann zu drücken sind. Das muss schon in Fleisch und Blut übergehen“, berichtet Caro Werner. Paul Farien ergänzt: „Wir müssen wissen, worauf es ankommt, wenn es hart auf hart kommt.“

Trotzdem bildet der Simulator kaum einen vollständigen Ersatz für das Wassertraining: „50 Knoten auf dem Wasser fühlen sich eben ganz anders an als im Simulator. Das müssen wir erleben“, so Caro Werner. „Das Beste wäre es natürlich, dafür ein eigenes Boot zu haben. Aber das ist sehr teuer. Gegebenenfalls haben wir die Chance, ein Boot von den Schweden zu chartern.“
Wie groß der Traum vom America’s Cup für jeden Spitzensegler ist, machte Tina Lutz, Olympia-Silbermedaillen-Gewinnerin von 2021 deutlich: „Nach meinem Opti-WM-Titel 2005 durfte ich bei BMW Oracle als 18. Mann mitsegeln. Es war sofort ein Super-Gefühl. Ich habe gedacht: Wow, wenn sich für mich die Chance ergibt, bin ich sofort dabei. Leider ergab sich nie die Chance. Als jetzt der Anruf kam für den Women’s America’s Cup, habe ich natürlich sofort zugesagt.“

Die Erfolgsseglerin sieht darin die Chance, die Basis zu schaffen für künftige Kampagnen. Wie groß der Schritt in den AC40 ist, machte sie eindrucksvoll deutlich: „Im Sommer sind wir erstmals auf dem 69F gesegelt. Der steuert sich ähnlich wie der 49er, aber trotzdem wären wir wohl kaum rausgegangen, wenn wir nicht Lukas Hesse dabei gehabt hätten, der schon Erfahrung auf dem 69F hat.“ Und der AC40 hat noch ein wesentlich höheres Potenzial als der 69F.
Lukas Hesse gehört neben Paul Farien, Alica Stuhlemmer, Jesse Lindstädt, Linus von Oppen und Julian Hoffmann zum Youth Team. Er sagte: „Der Simulator ist das Key-Trainings-Tool für den Winter, um uns an den AC40 heranzutasten. Niemand von uns ist bisher 50 Knoten gesegelt. Die AC40 sind zwar immer noch Segelboote, aber die physikalischen Herausforderungen sind noch mal etwas ganz anderes.“
Wasser-Training wird unverzichtbar
Seit ein paar Wochen ist der Simulator, den Marc Pickel für das Team angeschafft hat, im Trainingseinsatz. Und Linus von Oppen aus dem Youth Team hat schon viele Stunden darin verbracht: „Der Simulator läuft heiß. Ich glaube, wir haben die erste Grafikkarte schon durchgeraucht. Wir versuchen, die Möglichkeiten zu nutzen, die wir haben.“
Jochen Schümann, der einzige Deutsche, der je erfolgreich beim America’s Cup gesegelt ist und mit Alinghi zweimal den Cup gewann, sieht in den beiden Kampagnen eine neue Chance für die Zukunft: „Deutschland hatte erst einen zaghaften Versuch im America’s Cup und mehrere Starts beim Youth America’s Cup. Geblieben ist davon kaum etwas. Wir wollen es jetzt besser machen, um für folgende Generationen etwas aufzubauen.“

Neben der GmbH für die Kampagnen wird daher auch ein Verein gegründet, der eine Foiling Academy aufbauen soll, um weitere Talente zu fördern. Eine Herzensangelegenheit ist das Projekt für Marc Pickel. Das wurde deutlich, als der 51-Jährige auf die Bühne kam und von den Gefühlen ergriffen wurde. „Ich hatte in meiner früherer Zeit als Olympiasegler viele Helfer. Als Paul Farien mich jetzt angerufen hat, ob ich beim Youth America’s Cup helfen kann, dachte ich sofort, dass es die Möglichkeit ist, um etwas zurückzugeben.“
Pickels Traum: Irgendwann der AC vor Kiel
Pickels Traum: Irgendwann mit Deutschland den America’s Cup gewinnen und dann das Event vor Kiel zu segeln. „Wenn wir jetzt einen oder zwei AC40 kaufen können, wäre das ein Riesenschritt. Das wäre aktuell ein Budget von acht bis zehn Millionen.“ Ideen für eine Basis in Kiel hat er auch schon: Acht Container mit Zeltdach für den Sommer, und in den Wintermonaten der komplette Umzug mit dem Equipment in südliche Gefilde, um weiter trainieren zu können.

Jochen Schümann bremste dagegen etwas ein: „Marc denkt vier, fünf, vielleicht sogar zehn Jahre voraus. Jetzt geht es darum, den Youth und Women’s America’s Cup zu realisieren. Dafür sind wir heute hier, um zu netzwerken. Wenn alle so enthusiastisch sind wie Marc, dann sind wir dabei.“
Budget für Youth und Women liegt bei 600.000 Euro
Tina Lutz bezifferte das notwendige Budget für die beiden Kampagnen bis zum September/Oktober 2024 auf rund 600.000 Euro. Thomas Müller, Drachen-Segler der Top-Klasse und Segel-Unterstützer, machte seine Prioritäten deutlich: „Jetzt heißt es: Ladies first! Wenn wir 300.000 Euro zusammenbekommen, um das Frauen-Team an den Start zu bringen, dann wäre das eine große Sache.“