Der ganze Stolz von Beyhan Kaygusuz liegt neben einem verlassenen Spielplatz und einigen Olivenbäumen kurz vor der Tankstelle am Ortsausgang von Bozburun. Knapp sieben Tonnen schwer und 34 Meter lang ist das gebogene Stahlkonstrukt, auf das Beyhan zärtlich klopft. In wenigen Monaten wird auf dem ehernen Kielschwein eine Gulet aus Mahagoni entstehen. Es soll Beyhans Meisterwerk werden. Noch nie hat er eine so große Yacht gebaut.
Das Meer ist auf Beyhans kleiner Freiluftwerft nur zu erahnen. Es liegt knapp einen Kilometer hinter der benachbarten Moschee, von der der Muezzin gerade zum Gebet ruft. Die Mai-Sonne lässt den Asphalt flimmern, Hühner picken im Staub, Hunde bellen und irgendwo kreischt eine Kreissäge. Die Luft riecht nach frischen Holzspänen und bissigem Epoxidharz. Beyhan muss niesen.
Der 42-jährige Mann mit den funkelnden Augen lacht. „Ich bin allergisch gegen Olivenbäume.“ Dann zuckt er mit den Schultern. „Wird Zeit, dass ich wieder aufs Meer gehe.“ Beyhan ist nicht nur Bootsbauer, in den Sommermonaten ist er auch Kapitän – auf seiner eigenen Gulet. Wie die meisten Bootsbauer in Bozburun.
Bozburun ist ein kleines Dorf an der Südwestküste der Türkei und gehört zum Bezirk Marmaris. Glücklicherweise hat es der Massentourismus noch nicht über die kleine Bergkette geschafft. Zwar gibt es kleine, hübsche Pensionen hier, aber keine Hotelklötze.

Zu verdanken ist das einer intakten Dorfgemeinschaft mit starken Frauen, die sich standhaft weigern, Grundstücke an Investoren zu verkaufen. Früher bekamen die Töchter die unbeliebten, weil nicht fruchtbaren, Grundstücke am Wasser vererbt, die Söhne die urbaren Flächen in den Bergen. Und so sind die begehrten Grundstücke am Meer noch heute in Frauenhand. Und die denken gar nicht daran, zu verkaufen.
Das Mekka der Gulets
Auch wenn sich die türkische Wirtschaft seit Jahren auf Talfahrt befindet, die Inflation kürzlich auf über 70 Prozent kletterte, geht es den Menschen in Bozburun vergleichsweise gut. Denn Bozburun ist das Dorf der Bootsbauer. Und die haben Hochkonjunktur. Allein im vergangenen Jahr wurden in Bozburun mehr als 40 der schönen, schweren Gulets produziert.
Das sind die klassischen Motorsegler, mit denen Touristen auf der „Blauen Reise“ die türkische Küste erkunden. Ausgangspunkt der Reisen von Bucht zu Bucht ist dabei oft Bozburun, wo die blank polierten Schönheiten aus Edelholz mit ihrem ausladenden Heck an der Pier aufgereiht auf die Gäste warten.

Neben Bodrum ist Bozburun das Mekka der Gulets. Eine klassische Werft gibt es hier aber nicht. Vielmehr wirkt der gesamte Ort wie eine Art Freilichtmuseum für Bootsbau. In fast jedem Garten wird an einer Gulet gewerkelt. 35 Bootsbau-Familien gibt es noch. Bis weit ins Landesinnere ragen die Skelette aus Holz in den Himmel.
Überall Planken aus Mahagoni, Pinie und Kastanie
Überall stapeln sich die Planken aus Mahagoni, Pinie oder Kastanie, die mit einfachen Schraubzwingen auf rostigen Gittern gebogen und anschließend verleimt werden und den bauchigen Booten ihre charakteristische Form geben. Die Verfahrensweise ist immer die gleiche, vererbt seit Generationen.

Eine Holzlage nach der anderen wird mit Zwingen zusammengepresst. Zunächst wird der Bug erstellt, dann das Heck, von dem aus ein Lattengerüst um den zukünftigen Schiffsrumpf gezogen wird, in das die Spanten eingepasst werden, erklärt Beyhan sein Handwerk. Die Herstellung der s-förmigen Querspanten ist die eigentliche Kunst.
Etwa ein Zentimeter dicke Bretter werden in die gewünschte Form eingespannt. Wie schon beim Kiel wird dann im Sandwichverfahren der Spant mit ungefähr sechs oder sieben aufgeleimten Hölzern aufgebaut. Bereits nach zwei, drei Wochen sind die ersten Spanten eingefügt und die zukünftige Form des Schiffes wird erkennbar. Nach und nach entsteht ein wunderschön geschwungenes Holzgerippe, auf das dann die äußeren Planken aufgebracht werden.
Kunden für Gulets aus der ganzen Welt
Das Besondere ist, dass in Bozburun nicht Firmen die Boote bauen, sondern Familien, die ihr Wissen und Handfertigkeit an die nächste Generation weitergeben. Bei größeren Projekten schließen sich die Familien zusammen, bilden Kooperativen. Die 34-Meter-Gulet, die Beyhan ganz aus Mahagoni bauen will, wird er mit Hilfe von drei weiteren Zimmerleuten errichten.