Kastellorizo ist die östlichste griechische Insel. „Ein Juwel“, sagt jeder, der schon einmal dort war. „Die schönste griechische Insel“, meinen sogar manche. Ich kenne Kastellorizo, oder Meis, wie die Türken sagen, seit ich vor dreieinhalb Jahren auf die Dilly-Dally gezogen bin. Vom Vorbeifahren. Von der Halbinsel des türkischen Kas, wo ich die meiste Zeit verbracht habe, liegt Kastellorizo an der schmalsten Stelle nur eine Seemeile entfernt.
Und doch schien die Insel unerreichbar. Früher war es usus, mal eben auf einen Ouzo nach Griechenland zu segeln. Auch wenn es offiziell nicht erlaubt war. Wegen des schwelenden Konflikts zwischen Griechen und Türken ist das aber nicht mehr ratsam. Wer offiziell mit dem eigenen Boot mal eben die Seiten wechseln will, der muss tief in die Tasche greifen. Auschecken, Einchecken, Auschecken und wieder Einschecken und natürlich die griechische Yachtsteuer (Tepai) bezahlen, die gleich für einen Monat erhoben wird. Der ganze Spaß kostet dann mal eben ein paar hundert Euro. Dann kam Corona, die Grenzen waren dicht und blieben es auch ungewöhnlich lange – wegen des Streits der beiden Nachbarn um Gasvorkommen unter dem Mittelmeer. Kastellorizo war für mich nicht mehr als eine Insel am Horizont.

Und so kann ich unserer von Pleiten, Pech und Pannen begleiteten Abreise etwas Gutes abgewinnen. Bei unserem zweiten Start würde ich nun endlich Kastellorizo kennenlernen. Aus der Nähe.
Neuland, ein Katzensprung entfernt
Nachdem wir zu unserer Langfahrt im zweiten Anlauf erfolgreich aus der Türkei auschecken konnten, lagen sage und schreibe etwas über drei Seemeilen vor uns – von Stadthafen zu Stadthafen. Auf halbem Weg holten wir die türkische Gastflagge ein und setzten die griechische, da konnte Arzum immer noch ihrer Mutter auf dem Balkon zuwinken, von wo aus sie unsere Abreise beobachtet hatte. Kurz vor Kastellorizo drosselten wir die Fahrt, um die Fähre von Rhodos einlaufen zu lassen. Dann ließen wir das Militärschiff passieren, das immer dann, wenn die Fähre kommt, weichen muss. Zu klein ist der Hafen für zwei große Schiffe.

Sollte jemand einen typischen griechischen Hafen beschreiben, er würde so ziemlich genau ein Bild von Kastellorizo skizzieren. Restaurants bis an die Hafenkante, es duftet nach frischem Fisch auf dem Grill, das Meer schimmert türkis und eine Meeresschildkröte zieht gelangweilt ihre Bahnen vorbei an den wenigen Segelbooten, die heckwärts an der Pier angelegt haben. Hinter der Promenade schlängeln sich kleine verwinkelte Gässchen eine Anhöhe empor, Kirchturmglocken läuten zu jeder vollen Stunde. Ein griechisch-orthodoxer Priester sitzt in seiner grauen Kluft vor einem kleinen Eckrestaurant und nippt beseelt und ins Gespräch vertieft am Tafelwein. Oben, auf dem Berg, weht stolz die griechische Fahne, gehisst auf den Überresten einer alten Festung.
Die Atmosphäre auf Kastellorizo ist einzigartig entspannt. Und das verdankt die Insel ihrer Abgeschiedenheit. Es gibt keinen Massentourismus, die urlaubende Klientel stammt größtenteils aus Italien. Viele Familien aus Bella Italia haben hier ihren Sommersitz samt Ausflugsboot in Mahagoni. Ein Hauch Riva weht über der Insel.
Entspanntes Flair, nur nicht für uns
Das internationale Flair verdankt die Insel ihrer Geschichte. Die Osmanen waren hier, die Franzosen, die Italiener und auch mal kurz die Briten. Zu ihren türkischen Nachbarn pflegen die ansässigen Griechen ein ausgesprochen gutes Verhältnis. Fähren pendeln täglich, freitags, wenn in Kas Markt ist, kommen die Griechen, um frisches Obst und Gemüse zu kaufen. Die Türken lieben wiederum einen Tag Urlaub in Griechenland, grenzübergreifend wurden Ehen geschlossen. Nur die hohe Militärpräsenz auf der Insel zeugt davon, das jenseits der Freundschaften der Menschen die Politik die Insel zum Politikum macht.

Kastellorizo ist ein Ort zum Entspannen. Und doch sind wir angespannt. Immer wieder scannt der Grenzbeamte Arzums deutschen Aufenthaltstitel, der eigentlich ihre Einreise in die EU ermöglicht, starrt auf den Bildschirm. Dann sagt er: „Der ist ungültig.“ Ich atme schwer. Ist Murphy etwa immer noch an Bord? Sollte Arzum nicht einchecken dürfen, haben wir ein ernsthaftes Problem. Denn ich darf mit dem Boot in den kommenden 180 Tagen nicht mehr in der Türkei einreisen. Zollgesetze. Arzum müsste mit der Fähre zurück in die Türkei, hoffen, dass ihr neues Dokument aus Deutschland endlich einmal nach mehr als sechs Monaten ausgestellt wird, oder ein Visum für die EU beantragen, was nach Auskunft der deutschen Botschaft aber viele Wochen dauern kann.
Wir erklären dem Beamten mit Hilfe der Yachtagentin, dass zwar das Dokument abgelaufen sei, nicht aber der Status, der mit „unbefristet“ angegeben ist. Auch erklären wir, dass die deutsche Ausländerbehörde überlastet sei, wegen der ukrainischen Flüchtlinge, und es deswegen beim Ausstellen neuer Dokumente zu Verzögerungen komme, was, laut deutschem Zoll, aber keine Einschränkungen beim Reisen bedeute.