Die einzige Möglichkeit, den Radeffekt zu überlisten, ist es, stoßweise sehr viel Gas zu geben, dann wieder auszukuppeln, das Ganze so lange, bis das Boot so viel Fahrt hat, dass es manöverierbar ist. Bei Seitenwind sind oft mehrere Versuche notwendig. Aber siehe da, gleich beim ersten kommen wir perfekt an die vorgegebene Position. Nur, dass der Hafenmeister die Mooringleine verknotet hat. Ich solle anhalten. Und dann rückwärts wieder anfahren. Genau das aber geht nicht. Wegen des eben beschriebenen Radeffekts, der bei Seitenwind das Boot um 90 Grad versetzt. Dass ich noch einmal komplett neu anfahre, stört den Mann. Er flucht.
Der Klügere gibt nach
Als wir erneut anfahren, liegt das Boot des Hafenmeisters plötzlich im Weg. Ich muss abbrechen, er flucht noch lauter und gibt Kommandos, die leider nicht umsetzbar sind. Jetzt düst er um uns herum, während ich mein Dilemma erneut erkläre, dass ich nicht so, wie er es will, den Platz ansteuern kann. Empört wirft er das Ende der Mooringleine ins Wasser. Und wir werfen das Handtuch. Eine Bucht weiter lassen wir dann den Anker fallen. Eine gute Entscheidung.
Auf dem Weg nach Kos, unserer nächsten Etappe, erreichen uns die ersten Ausläufer des Meltemi. Ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird. Aber mit gerefftem Groß und Genua liegt die schwere Moody auch hoch am Wind stabil im Wasser. Hund, Katze und Arzum haben sich wieder in die Achterkabine zurückgezogen, ich habe das Cockpit für mich. Trotzdem ist es ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits mag ich das Segeln bei 25+ Knoten, andererseits denke ich bei jeder größeren Welle, die armen Tiere. Doch die sind unter Deck und in den Armen von Arzum erstaunlich ruhig.
Die Marina von Kos hat uns abgesagt. Sie sei ausgebucht. Im Stadthafen lässt man uns zwar einlaufen, gewährt aber zunächst nur eine Nacht. Schade, denn laut Vorhersage werden in den kommenden Tagen mehr als 40 Knoten Wind aus Nord prognostiziert. Genau von dort, wo wir hinwollen. Sichere Ausweichhäfen oder Buchten in der Nähe gibt es nicht. Sollten es also hart auf hart kommen, müssten wir gegebenenfalls in die türkischen Gewässer bei Bodrum ausweichen, um dort in einer Bucht Schutz zu suchen. In der Hoffnung, nicht von der Küstenwache aufgebracht zu werden.
Hafenkino in Kos
Wer im Sommer die Ägäis queren will, der sollte zunächst schauen, möglichst weit in den Norden zu kommen, um dann mit halben oder besser noch raumen Winden die Passage zu wagen. Unser erstes Zeil ist Athen, dann wollen wir durch den Korinth-Kanal in das Ionische Meer, gen Norden (wieder gegen die vorherrschende Windrichtung) nach Korfu und von dort nach Italien übersetzen.
Der Marinero in Kos ist ausgesprochen nett. Zwar müssen wir unseren Platz am nächsten Morgen um neun Uhr verlassen, aber er macht uns Hoffnung, dass wir im Hafen bleiben können. Zumindest für eine weitere Nacht. Wir sollen am nächsten Tag mit seinem Kollegen sprechen. Gesagt, getan. Sobald eine Yacht ausläuft, sagt der, würden wir den Platz bekommen. Und so haben wir Zeit für Hafenkino. Eine dieser mehrstöckigen weißen Motoryachten hat anscheinend ihren Anker quer über die Ketten der anderen PS-Protze gelegt. Es ruckt und zuckt, Worte, die in Comics nur mit Blitzen, Donner und Äxten dargestellt werden würden, hallen durch den Hafen. Ein herrliches Spektakel.
Eine große, sportliche Segelyacht nimmt 14 Tagestouristen auf, die sich gleich auf dem Vorschiff gutgelaunt auf ihren Handtücher fläzen. Ob die von den 40 Knoten Wind draußen wissen? Wahrscheinlich nicht. Denn als die Yacht abends wieder angelegt, ist die Stimmung deutlich gedämpft.
Ahoi, Sebastian!
Aber noch haben wir ja nicht ab- und wieder angelegt. Und der Wind nimmt ständig zu. Auch im Hafenbecken. Übung macht bekanntlich den Meister. Und so legen wir unser Boot nicht nur an diesem Tag, sondern auch am nächsten um. Denn am dritten Tag müssen wir den Stadthafen verlassen. Es gebe zu viele Reservierungen. Mindestens sechs Boote müssten auslaufen, denn auch ein Katamaran hätte sich angemeldet, sagt der Marinero.
Wir laufen als Erste aus. Denn vor dem Hafen, neben dem Fähranleger, gibt es noch einen kleinen Schutzhafen, in dem nur ein paar Boote liegen. Bei Meltemi ist dieser Hafen aber perfekt geschützt. Und wie wir erfahren haben, dürfen Yachten ihn nutzen, da er von der Port Authority betrieben würde. Manchmal, hieß es, käme auch ein Mitarbeiter, um ein kleines Hafengeld zu erheben, meistens aber nicht. So ist es auch bei uns. Zwei Tage liegen wir hier, dann endlich haben wir ein Wetterfenster gefunden, um weiter nach Kalymnos zu segeln. Aber vorher müssen wir das Boot natürlich noch einmal umlegen. Wir liegen einem Ausflugsboot im Weg, das abends in den Schutzhafen kommt. Aber das ist kein Problem, wie es mit Geheimtipps eben so ist, ist der Hafen leer.
Abends trinken wir auf dem Katamaran im Stadthafen, wegen dem wir weichen mussten, einen Sundowner. Wie der Zufall es will, ist es die „Soffio“, der Katamaran, den ich vor einem Jahr von Frankreich in die Türkei überführt habe. Und am Steuer steht auch diesmal unser Freund Sebastian Kummer.