Reise nach Jerusalem kurz nach Jahreswechsel bei Hanse Yachts in Greifswald: Gestern Abend (10. Januar) wurde bekannt, dass der langjährige Vorstandschef Jens Gerhardt seinen Posten zum 1. Februar 2022 räumt. Der Mann, der wie kein anderer das Gesicht des größten deutschen Freizeitboot-Herstellers war, verlässt das Unternehmen nach zehn Jahren.
Schon vor einigen Monaten war Gerhardt durch Hauptinvestor Aurelius mit Hanjo Runde ein neuer Co-Geschäftsführer zur Seite gestellt worden. Dabei, so berichtete Die Zeit, handele es sich nach Aussage der Werft „um eine schon länger geplante Verstärkung des Vorstandes. Man setze weiterhin auf Wachstum. Mit einem zweiköpfigen Vorstand wie bisher sei das nicht mehr machbar.“
Nach der Übernahme von Hanse Yachts von Werft-Gründer Michael Schmidt führte Jens Gerhardt das Unternehmen zu einem der größten Bootsbauer im Freizeitbereich weltweit. Das Markenportfolio wuchs dabei beständig. Mit der Übernahme der britischen Traditionsmarke Sealine entwickelte Hanse sich unter Gerhardts Führung zur ernstzunehmenden Konkurrenz für andere Großserienhersteller bei Familiencruisern. Nebenbei überholte er souverän den einst weltgrößten Serienbootbauer Bavaria Yachts.
Ein Coup in der Branche war die Übernahme der edlen Moody-Fahrtenkreuzer, während mit dem Zukauf des Multihull-Herstellers Privilege ausdrücklich nicht der Massenmarkt bedient werden sollte. Auch innovative Entwicklungen wie die neue Dehler One Design 30 und die mit elektrischem Rudder Drive ausgestattete Hanse 315 hatten ihren Platz bei Hanse Yachts. Den letzten, viel beachteten Scoop landete Gerhardt mit der Premiere des schnellen Tagesboots Ryck 280 beim Cannes Yachting Festival 2021.
In die roten Zahlen gerutscht
Anfang April 2021, kurz nach dem Beginn der Covid-Pandemie, sagte Gerhardt im Gespräch mit float: „Derzeit haben wir das größte Auftragsbuch der Firmengeschichte.“ Bei der Hanse Yachts AG sei man bis zum Herbst 2021 ausgebucht, „weshalb wir sehr optimistisch für 2021 und 2022 sind“, so Gerhardt.

Dennoch war Hanse Yachts im Geschäftsjahr 2019/2020 tief in die roten Zahlen gerutscht, wie die Wochenzeitung Die Zeit berichtet: „Grund waren laut Unternehmen Abschreibungen durch eine Neubewertung des Vermögensportfolios im Zuge der Corona-Pandemie.“ Gleichzeitig war in Börsenkreisen die von Jens Gerhardt getragene Wachstumsstrategie des Unternehmens kritisiert worden.
Im Dezember 2021 rückte Hanjo Runde, der vom Küchenhersteller SieMatic kommt, wie geplant bei Hanse zum Vorstandsvorsitzenden auf. Dann ging alles ganz schnell. „Mit Ablauf seines Vertrages zum 1. Februar 2022 wird Herr Dr. Jens Gerhardt zwar aus dem Vorstand ausscheiden“, heißt es in der gestern am späten Nachmittag verbreiteten Mitteilung des Unternehmens, „der Hanse Yachts AG jedoch künftig beratend zur Verfügung stehen.“
Für 2022 bleibt die Hanse Yachts AG mit ihren inzwischen sieben Bootsmarken bei der Personalstärke von drei Vorständen – unter der Führung von Hanjo Runde. Sven Göbel, der als „Vorstand Operations“ bisher auch für die Produktion zuständig war, bleibt Chief Financial Officer mit der Verantwortung für die Bereiche Finanzen, Einkauf und Personal.
Neuer Vorstand für Herausforderungen

Hanse Yachts steht mehrfach unter Druck. Börsianer kritisieren die Vielmarkenstrategie und die Fokussierung auf Motoryachten – wie Sealine und die neue Marke Ryck – statt auf den Segelyachtmarkt, wo Hanse nach eigenen Angaben die Nummer zwei weltweit ist.
Gleichzeitig greift die Beneteau-Gruppe über die Marke Jeanneau einen anderen Kernmarkt von Hanse frontal an: die Tendermarke Fjord. Das neue und schnelle Luxus-Tagesboot Jeanneau DB 43, das als Januar-Premiere für die abgesagte boot Düsseldorf 2022 angekündigt war, dürfte Fjord starke Konkurrenz machen.

Mit Aurelius hat Hanse einen Finanzinvestor als Haupteigentümer. Üblicherweise verkauft ein solcher Investor das Unternehmen nach einigen Jahren. CEO Jens Gerhardt sah hier, in der Vergangenheit, durch die besondere Eignerstruktur keine Eile: „Unser Investor ist nicht fondsgetrieben, sondern eher ein Familienbetrieb mit dem Rest der Anteile an der Börse“, sagte er im September 2019, kurz vorm Beginn der Corona-Pandemie, gegenüber float.
Einen festen Zeithorizont für den Verkauf habe man daher nicht, so Gerhardt. „Man möchte ja einen hohen Veräußerungsgewinn erzielen. Es ist also sinnvoll, dass wir zu diesem Zeitpunkt möglichst viel Gewinn machen.“ Ob das noch heute gilt?
Hier gibt es also viele Aufgaben für den neuen Hanse-Vorstand. Für ein kurzfristiges Gespräch mit float stand aus dem nun erweiterten Vorstand niemand zur Verfügung. Unser Interview folgt zu einem späteren Zeitpunkt.