Unter der Flagge des FC St. Pauli wird nicht nur gekickt. Der Verein vom Hamburger Millerntor hat auch seine eigene Abteilung für Segelsport. Seit dem 10. Januar 2018 ist St. Pauli der erste Profi-Fußballclub in Deutschland mit einer eigenen Segelabteilung. Die Segler der jungen Club-Abteilung machen mit ihrem Selbstverständnis und Aktivitäten dem traditionell linken Fußballverein alle Ehre.
Vieles läuft hier anders als bei anderen Segelclubs. Ihr Slogan: Unser Herz schlägt Backbord! Inklusives Segeln und Engagement für die Flüchtlingsrettung im Mittelmeer gehören ebenso dazu wie Kinder- und Familiensegeln. Schließlich ist der FC St. Pauli der drittgrößte Breitensportverein Hamburg. float traf die Initiatorin und Abteilungsleiterin Helga Numberger zum Gespräch in Hamburg.
float: Die Gründung der Segelabteilung unter dem Dach des FC St. Pauli geht auf deine Initiative zurück. Wie kam es dazu?
Helga Numberger: Ich bin von Haus aus studierte Sozialpädagogin, habe früher aber auch mal Schifffahrtskauffrau gelernt. Seit ich denken kann, liebe ich den Hafen, Schiffe und das Wasser. Nachdem ich jetzt endlich selbst mit dem Segeln angefangen habe, war ich auf der Suche nach einem Segelverein. Aber andererseits bin ich schon in so viel Vereinen. Wieder eine neue Kultur, wieder neue Leute, wieder sich irgendwo einfügen? Darauf hatte ich irgendwie keine Lust.
Da habe ich mich gefragt, warum mein Verein FC St. Pauli eigentlich keine Segelabteilung hat. Diese Frage habe ich auf Facebook gestellt, wo ich mit sehr vielen St.-Paulianern vernetzt bin. Logisch, wenn man, so wie ich, schon seit 22 Jahren ans Millerntor geht und bei vielen Fan-Initiativen aktiv war.

Was war die Reaktion?
Die erste Antwort kam von jemandem, der nicht segelt. Und der meinte, wir hätten ja gar kein Revier vor der Tür. Dem habe ich erstmal erklärt, dass auf der Elbe nicht nur Containerschiffe fahren, sondern dass man dort auch prima segeln kann. Der Zweite meinte, Segeln sei vielleicht zu elitär für St. Pauli. Segeln muss ja nicht unbedingt elitär betrieben werden, war mein Gedanke dazu. Der Dritte hat meinen Post einfach an jemanden weitergeleitet. An Björn. Und der hat mich direkt angeschrieben. Björn ist inzwischen mein stellvertretender Vorsitzender.
Die Fanclubs spielten auch eine Rolle?
Nach kurzer Zeit bekam ich eine Rückmeldung vom Fanclub-Sprecherrat, von denen ich ein paar Leute kenne. Der Sprecherrat ist eine Art Dachorganisation und Koordinationsgremium für die über 530 St.-Pauli-Fanclubs weltweit. Sie boten mir an, meine Anfrage – ob sich nicht Leute für die Idee interessieren – über ihren riesigen Verteiler zu schicken. Also bis nach Australien und darüber hinaus. Ach ja, dachte ich, das kann ich ja mal machen – und habe dabei total das Mobilisierungspotenzial des FC St. Pauli unterschätzt. Am nächsten Tag musste ich schon eine Facebook-Gruppe gründen, so viel Resonanz gab es.

Die Reaktionen reichten von „Darüber hab ich schon lange nachgedacht!“ über „Wie geil ist das denn?“ bis zu „Mein Boot liegt in Eckernförde“. Oder in Gelting. Oder in Flensburg. Antworten dieser Art kamen auch von Leuten, die ich eigentlich kannte. Die mich damit aber trotzdem total überrascht haben, frei nach dem Motto: „Huch, ach wie? Du hast ein Boot? Echt?“ Wenn man im Stadion zusammen steht, unterhält man sich in der Regel ja über Fußball – und nicht über das, was man sonst noch so treibt. Die Segel-Facebookgruppe ist dann enorm schnell gewachsen.
Wie groß ist das alles geworden?
Wir hatten (Stand November 2018 – Red.) 225 Mitglieder nur in der Segelabteilung. Von den 102 Anwesenden bei der Gründungsversammlung waren etwa die Hälfte Neumitglieder. Sie sind wegen der Segelabteilung überhaupt erst in den FC St. Pauli eingetreten. Die übrigen kamen aus den anderen Abteilungen des Vereins.
Was vielen Leuten gar nicht so bewusst ist: St. Pauli ist der drittgrößte Breitensportverein in Hamburg. Wir haben insgesamt 22 verschiedene Abteilungen, in denen ein ziemlich breites Spektrum unterschiedlicher Sportarten ausgeübt wird. National und international erfolgreich übrigens auch, zum Beispiel beim Rugby oder Triathlon. Innerhalb des Vereins kann man die Abteilungen wechseln und Doppelmitgliedschaften haben.

Wann habt ihr die Segelabteilung gegründet?
Am 10. Januar 2018. Als fast auf den Tag genau fünf Monate nach der offiziellen Gründung das 204. Mitglied dazu kam, hatten wir uns schon verdoppelt.
Ist denn die klassische Vereinsmeierei überhaupt etwas für euch? Ihr seid immerhin der FC St. Pauli. Macht ihr etwas anders als andere Vereine?
(lacht) Zunächst einmal ist die Abteilungsleitung paritätisch besetzt. Das war mir ziemlich wichtig und hat auch geklappt. Ich als Abteilungsleiterin habe einen Stellvertreter. Bislang haben wir auch noch keine im klassischen Sinn gewählten Funktionsstellen. Also keinen Bootswart, Sportwart, Jugendwart oder ähnliches. Unser Plan war eher, dass wir dafür zuständige Arbeitsgruppen gründen. Und aus diesen AGs heraus Ansprechpartner benannt werden, die mit der Abteilungsleitung sprechen. So könnten wir das Problem umgehen, das entsteht, wenn gewählte Vertreterinnen oder Vertreter innerhalb ihrer Amtszeit überraschend wegbrechen, durch Umzug zum Beispiel.
Es kann allerdings sein, dass wir das doch wieder ändern müssen. Die Satzung des FC St. Pauli lässt den Sportabteilungen in der jeweiligen Ausgestaltung der Abteilungsordnungen viele Freiheiten – von sehr basisdemokratisch mit Plenumsdiskussionen bis hin zu doch eher konservativen Strukturen. Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr tragfähige Strukturen entwickeln können, die trotz allem nicht so vereinsmeierisch sind.

In welchem Hafen seid ihr mit der Segelabteilung ansässig?
Im Moment haben wir zwei Jollen an der Alster, die sehr gut gebucht werden. Sie liegen bei Porto Novo. Das ist auf der Westseite, unten an der Kennedybrücke. Einen Schwertzugvogel und einen Pirat. Nächstes Jahr werden wir ein inklusives Boot dazu bekommen – eine RS Venture Connect, so heißt der Bootstyp. Das ist übrigens noch ein Aspekt, der bei uns anders ist: der politische Anspruch.
Was macht diesen Anspruch aus?
Von Anfang an wollten wir Jugendarbeit mit Kindern hier aus St. Pauli und aus anderen Stadtteilen machen, die aus sozial benachteiligten Familien kommen und sonst nicht so den Zugang zum Segeln hätten. Und wir wollen Inklusion. Das ist ein ganz wichtiges Thema für uns.

Und wie setzt ihr das Thema Inklusion in der Praxis um?
Wir haben in unserer ersten Saison bereits drei inklusive Schnuppersegeltage veranstaltet. An denen haben jedes Mal etwa 20 Leute mit den unterschiedlichsten Handicaps teilgenommen. Dabei saß zum Beispiel ein Blinder an der Pinne. Der hat seine Vorschoter angepflaumt, dass die mal die Schnauze halten sollen, damit er den Wind hören kann. Die waren auch sofort ruhig.
Wir haben Rollifahrer dabei gehabt und auch Menschen mit geistiger Behinderung. Die RS Venture Connect, die wir anschaffen werden, hat einen sehr breiten Einstieg und ist extrem sicher. Daher ist sie auch geeignet für Menschen ohne Handicap mit Ängsten beim Segeln, die sie überwinden wollen.
Welche Themen sind außerdem für euch wichtig?
Wir haben angedacht, mal etwas für oder mit Flüchtlingen zu machen. Beim FC St. Pauli ist bereits das ein oder andere Refugee-Project angedockt. Und wir positionieren uns klar für Flüchtlingsrettung im Mittelmeer. Unter anderem haben wir uns in diesem Sommer an der Seebrücke-Aktion „Schafft sichere Häfen“ beteiligt und in Rettungswesten demonstriert. Wir repräsentieren für den Verein ja durchaus alles, was mit Schiffen und mit Meer zu tun hat.
Wie sieht denn derzeit euer Vereinsleben aus?
Unser erster Sommer war irgendwie kurz. Da wir uns erst im Januar gegründet haben, war unsere Saisonvorbereitung eigentlich gleich null. Analog zum „Lauf gegen Rechts“, den unsere Marathonabteilung traditionell jedes Jahr im Mai veranstaltet, haben wir ein „Segeln gegen Rechts“ organisiert. In T-Shirts mit dem Slogan „Keine Handbreit Wasser den Faschisten“ sind wir parallel zu den Läufern linksrum um die Alster gesegelt. Wir hatten viele Fahnen dabei und haben ein bisschen Lärm gemacht, um die Läufer zu unterstützen. Das war eine ziemlich coole Aktion. Danach gab es den Helga-Cup auf der Alster, an dem wir ebenfalls teilgenommen haben.
Wie heißen nochmal eure Crews, die beim Helga-Cup am Start waren?
Wir haben zwei: Die eine Crew heißt FCSP Sailing Paulas und die andere FCSP Sailing Paulinas. Beim Helga-Cup belegten sie die Plätze 54 und 55 von 62 Teams. Das war großartig dafür, dass sie das erste Mal überhaupt eine Regatta gesegelt sind. Ende September starteten beide Teams dann bei WOW (Women on Water-Regatta) in Kopenhagen und belegten von 18 Teams die Plätze 12 und 15. Bei der Alsterglocke des HSC am 13.10.2018 war es sogar Platz 20 von 62. Da sind beide Teams gemeinsam an den Start gegangen, da nach einer Alsterrunde immer ein fliegender Wechsel mit dem zweiten Team stattfindet. Für das nächste Jahr haben sich die Paulas und Paulinas die Teilnahme an einigen Regatten vorgenommen.

Was gab es bisher noch für Aktivitäten?
Zum Hamburger Hafengeburtstag haben wir einen Törn für unsere Mitglieder organisiert. Wir haben die Atlantis gechartert, auf die 130 Leute passen. Das gesamte Schiff war für die Fahrt auf der Elbe „in St. Pauli“ beflaggt – mit Totenkopf- und St. Pauli-Fahnen in den Masten noch und nöcher.
Und wir hatten eine kleine Vereinsregatta in Sonderburg, zu der die Anreise als Sternfahrt organisiert war. Alle Teilnehmer sind mit eigenen Schiffen von ihren Heimathäfen aus dorthin gekommen. Vor Sonderborg haben wir dann eine kleine, interne St.-Pauli-Herbstmeisterschaft der Dickschiffe ausgetragen. Tatsächlich haben wir viele Mitglieder mit eigenen Booten in verschiedenen Häfen.
Manche sind wohl auch zu St. Pauli gekommen, weil sie auf der Suche nach Mitseglern sind und es schöner ist, diese unter Gleichgesinnten zu finden.
Habt ihr auch Mitglieder außerhalb?
Ja, ebenso wie der FC St. Pauli seine Fanclubs in allen Ecken hat, haben auch wir Mitglieder in anderen Teilen der Republik. Viele kommen aus Nordrhein-Westfalen, aus Gelsenkirchen oder aus Köln zum Beispiel. Sie sind mit ihren Booten auf dem IJsselmeer unterwegs. Dort segeln sie unter unserer Flagge und transportieren die Idee weiter.
Wir haben sogar ein Mitglied in Toronto – ein Kanadier, der St.-Pauli-Fan ist. Mitglieder des dortigen Fanclubs sind schon länger als wir mit einem Fanclub-Stander auf dem Ontario-See gesegelt. Einer von ihnen ist tatsächlich auch Mitglied bei uns geworden.
Ein anderes unserer Mitglieder lebt derzeit in Holland – ein Deutscher, der beruflich viel herumkommt. Er findet unseren Ansatz der Förderung Jugendlicher aus sozial schwächeren Familien so gut, dass er uns unterstützen möchte. Auch wenn er selbst keines unserer Aktivitätsangebote wahrnehmen kann. Uns alle vereint im Grunde nur St. Pauli – und die Liebe zum Segeln.
Selbst mitsegeln?
Kontakt zum FC St. Pauli knüpft man am besten direkt über die Abteilungs-Website oder kommt zum öffentlichen Klönschnack ins Clubheim, der ab Februar 2019 jeden zweiten Donnerstag im Monat stattfindet.
Über Helga Numberger
Helga Numberger ist St-Pauli-Fan, seitdem sie 25 Jahre alt ist. Die gebürtige Hamburgerin und Schifffahrtskauffrau arbeitet nach dem Studium der Sozialpädagogik heute als gesetzliche Betreuerin. Daneben ist sie Trainerin und Coach für Teamentwicklung, Karrierethemen und berufliche Neuorientierung. Seit Januar 2018 ist sie die Abteilungsleiterin für Segelsport beim FC St. Pauli.
