„Abgerechnet wird im Ziel“ ist eine weitläufige Segelweisheit, die sich auch beim ersten Leg des Ocean Race Europe bewahrheitet hat. In der ersten Etappe hat das Rookie-Team des Austrian Ocean Race Projects Platz 1 in seiner Klasse ersegelt. „Corum L’Epargne“ gewinnt in der IMOCA-Klasse, in der das Offshore Team Germany sich bis auf Position 1 vorgekämpft hatte.
Auf den letzten böigen Metern, die wie eine Drachenregatta auf dem Wannsee wirkte, war alles drin. Nur um wenige Meter und Sekunden getrennt zogen die Boote beim The Ocean Race Europe über das Etappenziel in Cascais. Und den ganzen Tag vorm Zieleinlauf sah es so aus, als würde das Offshore Team Germany den Sieg einfahren können.

Kurz vor Schluss kommt die entscheidende Böe
Auf den letzten Meilen hatte sich das Offshore Team Germany in der Mitte positioniert und kämpfte im Zielsprint gegen die foilenden Imocas. Da hob kurz vor Schluss eine Böe die IMOCA „LinkedOut“ auf die Flügel und schob an der deutschen Segelyacht vorbei. Kurz davor hatte „Corum L’Epargne“ als erste die Ziellinie gekreuzt, gefolgt von „11th Hour Racing“ (USA).
Zunächst schien das US-Team die Trümpfe in der Hand zu halten. Doch einen Hauch zu dicht an den Felsen von Cascais verließ sie der Wind. „Corum“ huschte durch und sicherte sich den Sieg dieser ersten von drei Etappen.
Der Kampf um den dritten Rang auf dem Podium wurde zu einer Parallele des Siegerduells. Die weiße „Einstein“ mit den Deutschland-Farben im schwarzen Segel rauschte heran, hatte „LinkedOut“ in Lee scheinbar sicher unter Kontrolle. Doch der Wind war zu unbeständig.
Immer wieder verlor die Mannschaft von Robert Stanjek, Phillip Kasüske, Annie Lush und Benjamin Dutreux den Druck. „LinkedOut“ erwischte es besser. Der blaue Renner sprang plötzlich auf die Foils, zog vorbei und sicherte sich mit fünf Sekunden Vorsprung den dritten Platz.
Feuertaufe bestanden mit 32 Knoten Top-Speed
„Ein großartiges, ein sehr intensives Rennen. Wir haben absolut am Limit agiert und unsere Chancen genutzt, sobald sie sich ergeben haben. Am Ende hat es nicht sein sollen mit einem Platz auf dem Podium, aber das Team hat am Maximum gefightet“, berichtete Robert Stanjek. Nach einer Renndauer von vier Tagen, 50 Minuten und 14 Sekunden war ihm die Erschöpfung anzumerken: „Wir sind gut durch. Es war ein sehr nasses Rennen. Unser Top-Speed waren 32 Knoten. Der Abschluss ist schade. Da konnte man noch einmal den Unterschied zwischen den Foilern und uns sehen. Die kommen aus dem Wasser und fahren gleich fünf Knoten schneller.“
In den letzten beiden Tagen auf dem Atlantik konnte die „Einstein“ wegen der fehlenden Foils gegen die Teams „11th Hour Racing“ (USA) und „LinkedOut“ (Frankreich) nicht mithalten, verlor aber den Anschluss nicht. Die Crew um Skipper Robert Stanjek, den Berliner Youngster Phillip Kasüske, die Britin Annie Lush und den Franzosen Benjamin Dutreux konnte – am virtuellen Wegpunkt im Atlantik – schon am späten gestrigen Nachmittag wichtige Meilen wieder wettmachen.
Die Letzten werden die Ersten sein
In den knapp vier Tagen sah es für die Österreicher erst gar nicht gut aus. Am zweiten Tag betrug der Abstand zur Spitze schon über 50 Seemeilen. Eigentlich eine ausweglose Situation. Doch dann wendete sich das Windglück der Österreicher plötzlich. Stunde um Stunde erkämpften sie sich den Anschluss an die Spitze und fanden zurück ins Feld der führenden Boote. Am Mittwoch Nachmittag war es dann schließlich hauchdünn. Ein Sieg mit 2 Sekunden Vorsprung bei einer Regatta über 1350 Seemeilen in 4 Tagen – spannender konnte es nicht mehr werden.
Spannende Wettersituation ließ Rennen offen
Sebastian Wache von der Wetterwelt hatte heute morgen für float die Wettersituation analysiert und sah, dass die Wettersituation weitaus spannender war, als es der Tracker zeigte. Die Kaltfront wird stark eingebremst und brachte zwar guten Nordwest-Wind mit, aber nur auf ihrer Rückseite. Heute Mittag lag sie bei etwa 10° West mit der Achse.
Doch die Boote sind schneller und werden dieser Achse vorausfahren. Und damit geraten sie auch in den Bereich zwischen 10° Nord und dem Ziel, wo ein südlich bis südöstlicher und deutlich schwächerer Wind weht. Dazu gilt es noch ein Sperrgebiet zu umfahren.

Auf der Zielgeraden muss OTG nicht kreuzen
Das deutsche Offshore Team Germany hat sich entschieden, südlich des Trenngebiets zu bleiben, was definitiv die bessere Strategie ist. Somit haben sie den Vorteil, auf der Zielgeraden den raumeren Wind abzugreifen und nicht kreuzen zu müssen. Das Rennen wird ganz klar erst auf den letzten Meilen entschieden.
Auch ohne Foils holte die „Einstein“ nicht nur auf, sondern segelte auch taktisch klug. In einem tiefen Winkel sackte die Einstein nach Süden durch, um nun gegenüber der nördlichen Konkurrenz von „Corum L’Èpargne“ (Frankreich) und „Bureau Vallée“ (Frankreich) den vermutlich besseren Winkel für die Einfahrt nach Cascais zu haben. Die deutsche Yacht jagt nun direkt neben den Favoriten von „11th Hour Racing“ (USA) und „LinkedOut“ (Frankreich) dem Ziel entgegen.
Benjamin Dutreux, der Vendée Globe Finisher im Team, ist begeistert von der Segelerfahrung im Team: „Es fällt mir zwar schwer, nicht nur die mir zugeordneten Aufgaben auszuführen, aber es ist eine großartige Erfahrung, nicht nur alleine an Bord zu sein.“
Rund 75 Meilen waren heute Morgen (um 8 Uhr deutscher Zeit) noch zu bewältigen, die Ankunft wird gegen Mittag avisiert. Noch ist alles möglich für die „Einstein“ im Feld der fünf Imocas – von einem fünften Platz bis zu einer Spitzenplatzierung des weißen Renners, der ein „Kiel“-Logo an seinem Bug trägt.
Es ist also alles drin für die Deutschen, die teils belächelt wurden, weil sie technisch nicht mit den Foilern mithalten können. Aber wie schon bei der Vendée Globe zeigt sich, dass nicht immer die modernsten und teuersten Schiffe am besten performen. Es kommt auch auf Navigation und Taktik an. Und die beherrscht das deutsche Team – und übrigens auch das österreichische Team, das in der VO65-Klasse aktuell ebenfalls auf Platz 1 steht – wie man sieht sehr gut.
In drei Etappen von Lorient nach Genua
Nach der Verlegung des Ocean Race wegen der Corona-Pandemie auf den Herbst 2022 wurde für dieses Frühjahr als Auftakt das Ocean Race Europe initiiert. Es soll den Teams die Chance geben, sich unter Rennbedingungen auf die Weltumseglung vorzubereiten. Drei Etappen und zwei Coastal-Races sind für das Debüt dieser Veranstaltung geplant.
Es ist für die Imoca-Klasse das erste Rennen überhaupt, in dem mit einer Crew aus mehreren Personen gesegelt wird – und nicht nur solo. An Bord sind vier Segler*innen und ein Onboard-Reporter. Für das Offshore Team Germany ist Felix Diemer an Bord, der auch für float fotografiert.
Der Rennplan des Ocean Race Europe
heute: Erwartete Ankunft Cascais
5. Juni: Coastalrace, Mirpuri Foundation Sailing Trophy
6. Juni: Start zur zweiten Etappe, Cascais – Alicante
10. Juni: Erwartete Ankunft in Alicante
13. Juni: Start zur dritten Etappe: Alicante – Genua
16. Juni: Erwartete Ankunft in Genua
19. Juni: Coastalrace Genua