Homeoffice unterwegs
Der wichtigste Punkt für den Eigner waren somit die Umplanungen im Vorschiff. Die sollten einen PC-Arbeitsplatz in der Vorschiffskabine mit zwei 27‘‘-Monitoren an einer Dockingstation mit zwei Laptops möglich machen: einen für die Arbeit und einen für alle privaten Belange. Der Schreibtisch lässt sich hochklappen und schützt dann die Monitore. Außerdem wird danach das Einhängen des zweiten Bettes ermöglicht, so dass man im Vorschiff wahlweise ein Büro oder zwei Schlafplätze hat.


Gearbeitet wird bei schöner Aussicht draußen aus dem Cockpit oder drinnen im Decksalon, dem liebsten Aufenthaltsplatz bei schlechtem Wetter. Oder eben ganz ohne Ablenkung aus dem Office im Vorschiff, das sich in eine Koje umbauen lässt. Aufträge solcher Art habe die Werft ganz speziell in diesen Zeiten schon mehrfach bekommen.
Ein (fast) kompletter Wohnsitz an Bord
Matthias Schmitz etwa brach im Juli 2020 seine Zelte an Land komplett ab und zog an Bord seiner „Clipper“ mit der Baunummer 45. Nach einer kleinen Ostseerunde ist er inzwischen in Portugal angekommen und verbringt dort erst einmal den Rest des Winters.
Seine Sirius 35 DS ist für weltweite Fahrt mit allem erdenklichem Komfort ausgerüstet. Ausführlich beschreibt Schmitz gegenüber float, welche speziellen Wünsche an die Ausstattung ihm die Werft in Erweiterung zur Standardausführung an und unter Deck erfüllt hat: „Es sind an Deck vor allem die Extras gewesen, die die Einhandtauglichkeit, die Blauwassereigenschaften und die Unabhängigkeit des Bootes weiter unterstützen.“

Schmitz nennt als Beispiele die Selbstwendefock, eine elektrische Furlexanlage für die Genua, sowie langlebige Segel und technische Vorbereitungen für z. B. Kurzwellenfunkanlage und Wassermacher. Unter Deck sei insbesondere die vorinstallierte Internet-Technik wichtig: Das Boot hat LAN und WLAN, das sich entweder aus dem Marina WiFi oder GSM speist.
Schmitz erklärt es: „Das Bordnetz besitzt neben der AGM-Vorschiffs- und Starterbatterie in der Hauptsache 4 x 100 Ah starke Lithium-Batterien, die den Strom entweder aus den Solarpaneelen mit 430 WP, dem Windgenerator oder dem Landstrom erhalten.“
Zum Heizen in der Übergangszeit gibt es einen kleinen Heizlüfter an Bord, dazu die obligatorische große Dieselheizung und zum Belüften im Sommer vier im Schiff verteilte Ventilatoren. Eine kleine Waschmaschine und sogar eine Kühltruhe befinden sich im Technikraum.
Eine Yacht als erster Wohnsitz?
Ausführliche Gedanken hat sich Schmitz auch darüber gemacht, welche Vor- und Nachteile es gehabt hätte, sein Boot als festen und ersten Wohnsitz zu anzumelden.

„Ich hatte mich mit der Frage eine Zeit lang auseinandergesetzt, da ich in der Tat keine Wohnung an Land mehr habe“, sagt Schmitz. Es standen zwei Optionen zur Auswahl: 1. eine Meldeadresse auf dem Boot – „was im Prinzip dann dem Wohnen in einem Yachtclub oder einer Marina entspricht“, so der Eigner, oder 2. die komplette Abmeldung bei den deutschen Behörden.
Steuerlich hätte wohl das Abmelden die größten Effekte gehabt, kam aber aus vielen Gründen nicht in Frage. Unter anderem sei es ohne feste inländische Meldeadresse zum Beispiel kaum noch möglich, einen abhanden gekommenen Führerschein oder eine Kreditkarte neu zu beantragen.

Die Meldeadresse an Bord wäre noch eine Variante gewesen. Aber wenn man – wie es für Weltumsegler meist zutrifft – keinen Heimathafen hat und mit unbestimmtem Ziel reist, ist das auch am Ende nur ein sehr teurer Briefkasten.
Schmitz: „Ich habe es dann einfacher gestaltet und mich bei meinen Eltern zu Hause mit erstem Wohnsitz angemeldet.“ Seine Post lässt er sich über Postumleitung an einen Digitalisierungsdienst nach Berlin schicken. Dort wird sie ausnahmslos gescannt und auf eine Smartphone-App geschickt. „Somit bekomme ich die Post wie Mails und bin weitestgehend unabhängig.“
Homeoffice gab’s schon 2004
Das Thema, so erläuterte mir Werftchef Torsten Schmidt, wäre tatsächlich bei ihnen in der Werft schon „alt“ gewesen. Es begann wohl mit einer recht mysteriösen Story:
„Ich saß 2004 mit unseren ersten englischen Kunden zusammen und beriet über eine 32 DS. Sie wollten für lange Wochenenden und ausgedehnte Urlaube in der Ostsee über den Salon hinaus ein zusätzliches Office mit Hängeregistern, Laptopplatz und ordentlich Schrankraum haben. Beide haben im IT-Bereich gearbeitet und brauchten jeder für sich einen Arbeitsplatz, um von Bord ihrer normalen Bürotätigkeit nachgehen zu können und sich nicht gegenseitig zu stören.“
Duplizität der Ereignisse
Als gerade das richtige Konzept gefunden worden war, bekam der Werftchef Torsten Schmidt aus heiterem Himmel eine Mail von einem chinesischen Kunden aus Honkong. „Er hatte uns erstmalig kontaktiert und schickte in der Anlage eine Zeichnung der 32. Er hatte sie selber umgezeichnet mit der Frage, ob eine solche Sonderversion möglich wäre.
Beim Öffnen der Anlage sei es ihm dann kalt über den Rücken gelaufen; unwillkürlich habe er sich nach versteckten Kameras umgeschaut, „denn es handelte sich bei der Zeichnung aus Fernost um den exakt selben Entwurf, den wir gerade aufwändig mit den englischen Kunden entwickelt hatten.“
Beide Parteien hatten nie Kontakt gehabt, Zeichnungen waren nie veröffentlicht oder an dritte geschickt worden. „So kam es, dass in 2006 fast hintereinander die Sirius 32 DS Baunummer 66 für Hongkong und Baunummer 68 für England mit dem selben Office gebaut wurden.“
Planungen für 2021
Seit Ende Januar liegt Sirius-Eigner Schmitz wieder vor Portugals Küste. Noch hat er keine Entscheidung getroffen, in welche Himmelsrichtung es von dort aus weitergeht. Zumal er aufgrund der Pandemie Europa ungeimpft nicht verlassen wird. Das schließt eine weltweite Fahrt oder auch große Atlantikrunde für die kommenden Monate aus.

Schmitz sagt dazu: „Das Wichtigste sind nun bei der Törnplanung nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen, wie Navigation, Wetter, Strömung etc., sondern auch die Beschaffung des Internets zum Arbeiten im jeweiligen Land mit einem Plan B und C.“ Falls zum Beispiel in der anvisierten Ankerbucht kein GSM-Netz verfügbar sei, müsse noch ein alternativer Hafen mit WiFi erreichbar sein. Oder aber es müssen Simkarten an Bord bereit liegen, mit denen die Crew sich kostengünstig ins Funknetz des jeweiligen Landes einwählen könnte. Dienstreisen bleiben ein hoher Planungsaufwand!
Ein Kommentar
[…] der Ausgabe 22/2020), gab es nun auch einen größeren Beitrag im Online-Magazin Float “Homeoffice auf hoher See”. Mit dem Konzept war ich meiner Zeit wohl etwa 1 Jahr voraus. Durch Corona ist der Neu- und […]