Rund 30 Tage Erfahrung mit seinem neuen Segel-Racer Malizia-Seaexplorer III hat Boris Herrmann auf der Uhr, wenn er diesen Sonntag zur diesjährigen Route du Rhum startet. Seit dem Stapellauf im Juli war der Probeschlag im August nach Hamburg und zurück die bisher längste Strecke für das Rennboot und ihren Skipper.
Das Team hat bei der Reise im August wertvolle Erfahrung gewonnen. Bei der Route du Rhum geht es jetzt über den Atlantik. Die Bedingungen werden hart. Wie wird sich die neue Malizia dabei bewähren? Boris Herrmann gibt dazu Einblicke im Pressegespräch.
Boris, welches Ziel verfolgst Du bei der Route du Rhum?
Mit der alten Malizia hatte ich nach der Vendée Globe richtig viel Erfahrung und war bei einer Lernkurve von etwa 90 %. Jetzt würde ich sagen, ich bin bei 40 %, also ganz am Anfang. Mein Ziel bei der Route du Rhum ist es, Erfahrung zu sammeln, anzukommen und mich zu qualifizieren.
Erste Qualifizierung geschafft
Wenn Du bei der Route du Rhum über die Startlinie fährst, bist du einen Schritt weiter bei der Qualifikation für die Vendée Globe 2024 …
Genau. Die Qualifikationsbedingungen für die Vendée Globe schreiben vor, dass man zweimal über den Atlantik gesegelt sein muss. Im Lauf dieses Jahres und dann noch einmal 2024. Und man darf nicht mehr als 20 % langsamer sein als der Sieger.

Wichtiger ist die Selektion. Es gibt nur 40 Startplätze, aber im Moment 43 Teams. 13 neue Schiffe haben automatisch einen Startplatz. Aktuell segeln sieben neue Schiffe bei der Route du Rhum mit. Wir sind also automatisch in der Selektion, wenn wir über die Startlinie fahren. Auch wenn ich es nicht ins Ziel schaffe.
Was kommt bei der Route der Route du Rhum auf dich zu?
Die Flotte war noch nie so groß. Angefangen hat es mal mit ungefähr 40 Schiffen, jetzt sind es 137. Nur die Route ist immer gleich geblieben: von St. Malo nach Guadeloupe.
Wir haben die schönsten Segelboote und die schrecklichsten Segel-Bedingungen.
Wir haben bei den Wetterbedingungen eigentlich immer eine Zweiteilung: Winter im Nordatlantik und Passatwinde im Südatlantik. Erst Feuertaufe und dann Barfußroute in einem Rennen. Da ist es natürlich delikat, Anfang November in den Nordatlantik zu starten.
Uns erwartet eine Abfolge von Tiefdruckgebieten – wahrscheinlich drei starke aktive Kaltfronten, um es dann in angenehmere Gefilde nach Süden zu schaffen.

Wir müssen uns langsam gegen drei Stürme mehr als eine Woche nach Westen kämpfen. Für die Nerven und für Schiff und Material ist es das Extremste, was man sich vorstellen kann!
Wir erwarten bis zu 55 Knoten Wind an manchen Stellen. Wir haben aber mit dem neuen Schiff erst an zwei Tagen überhaupt Wind gehabt, und dann nicht mehr als 30 Knoten. Nach Berechnung der Route sind es 11 Tage und 16 Stunden bis ins Ziel. Das klingt ganz realistisch, Die schnellste Zeit bisher waren zwölf Tage.
Dies hier ist eine sehr direkte, aber keine normale Passat-Route, sondern eher eine Nord-Route, und auf jeden Fall die erste Woche sehr hart. Das Azorenhoch ist im Moment sehr südlich. Dadurch werden die Passatwinde sehr weit nach Süden gedrängt.
Nach dem Rennen ist vor dem Rennen
Wie geht es nach der Route du Rhum weiter?
Nach diesem Rennen segelt das Team von Guadeloupe nach Alicante, ohne mich an Bord. Dort bereiten wir uns bis zum 15. Januar auf die erste Etappe des Ocean Race von Alicante nach Kapstadt vor.
Es wird eine unglaubliche logistische Herausforderung und körperliche Maximal-Anstrengung für uns alle. Gleichzeitig freue ich mich total drauf. Das Ocean Race ist die Kür und die Route du Rhum ist ein bisschen die Pflicht.

Die Route Du Rhum kann ich nicht wirklich mit Performance-Ambitionen angehen, weil ich das Boot noch zu wenig kenne. Mit der Erfahrung der Route du Rhum und der langen Trainingsüberführung sollten wir in einer guten Position sein, um das Ocean Race wettkampforientiert gegen unsere vier Konkurrenten anzugehen.
Bei der Route du Rhum anzutreten ist eine viel größere nervliche Belastung. Zu wissen, aller Druck lastet auf mir. Ich muss mit 136 anderen Schiffen irgendwie über diese extrem kurze Startlinie von nur 0,9 Seemeilen kommen. Das wird also unheimlich herausfordernd jetzt am Sonntag. Und natürlich will ich dabei kein großes Fuck-Up generieren und das Schiff beschädigen.