Ich weiß nicht genau, wann die Idee geboren wurde, wahrscheinlich mitten auf dem Atlantik an Bord des „Peter von Seestermühe“, im Frühjahr 2021 zwischen Martinique und der Azoreninsel Fajal. Ein tolles Schiff von 1936, ein guter Skipper und eine Supertruppe, across the sea in high mood.
Bei den Nachtwachen fliegen die Gedanken und plötzlich entsteht eine Idee, nur eine kleine Option, gleich wieder vergraben. Dann sind die vier Wochen ohne Handy, E-Mails und Arbeit auch schon vorbei und der Alltag hat mich wieder. Aber die kleine Option geistert weiter in meinem Kopf herum. Da ist ein bisschen Geld aus einer Erbschaft, was soll ich damit machen? Zur Bank tragen, damit es wächst?

Das haben wir als Kind schon bei Mary Poppins gelernt: Egal wie die Zinsen stehen, irgendwas kommt schon dabei raus, aber sie hat uns auch gelehrt unsere Träume wie einen Drachen fliegen zu lassen – heute. Also kaufe ich mir einen Klassiker.
Eigener Herr auf hölzernen Planken
Einen Klassiker habe ich schon: Eine wunderschöne Berliner H-Jolle von 1935 von Berkholz und Gärsch (dort wurde 1929 der Albert-Einstein-Jollenkreuzer „Tümmler“ gebaut), die ich vor 15 Jahren restauriert habe. Sie segelt herrlich und schnell auf der Hamburger Alster. Vielleicht lag es am Atlantik, aber plötzlich war die Alster zu klein. Man kann nur bis zur Brücke segeln, dann ist das Tor zur Welt versperrt. Ich saß da auf meinem Boot und dachte: „Das kann doch nicht alles sein.“

Na klar, ich kann immer mal wieder mitsegeln auf großen Klassikern bei den FKY-Events wie „The Run“, „German Classics“ oder „Rendezvous der Klassiker“ – als Crewmitglied. Als Jugendlicher hatte ich mit meinem Holzpiraten schon die Ostsee bis nach Kopenhagen und Arhus erkundet, jetzt möchte ich wieder selbst den Kurs bestimmen und Skipper auf eigenem Kiel sein – aber nicht mehr auf der Jolle. Der Entschluss stand fest: Ein größeres seegängiges Boot muss her, möglichst aus Holz, gerne sehr alt, aber kein Restaurierungs-Objekt für die nächsten Jahre.
Das Gute liegt so nah
Wenn man im Internet nach alten Holz- und Stahlbooten sucht, findet man eine Menge Boote unter 50.000 Euro, in Schweden, England, Finnland und auch in Deutschland. Alle haben Vor- und Nachteile. Bei vielen nimmt man eine lange Anreise auf sich, ohne zu wissen, ob es sich lohnt. Alles Klassiker, die eine liebende Hand brauchen, um sie zu erhalten.
Der Kaufpreis ist oft geringer als die Werftkosten, die man investieren muss, damit das Boot sicher segelbar ist. Oft muss stehendes Gut und Segel ersetzt, weitere Ausrüstung angeschafft werden. Vielleicht kann man viele Arbeiten selbst erledigen, aber hat man die Zeit dazu? Ich wollte eigentlich segeln.

Manchmal findet man auch einen Schatz vor der Haustür – in Kiel. Ein befreundeter Bootsbauer von der Schlei hatte mir den Tipp gegeben. Sie stand lange zum Verkauf – sogar schon bei E-Bay-Kleinanzeigen – und fand keinen Käufer.
Der Verkäufer wollte gar nicht mehr daran glauben, aber als er die Plane zurückschlug, war es um mich geschehen. Unter der rotbraunen Vollpersenning kam eine kleine Yawl von Abeking & Rasmussen zum Vorschein, voll restauriert vor zwölf Jahren im Stil ihrer Entstehungszeit. Eine rüstige, schlanke Dame im besten Alter.
Der 40 Jahre alte Yanmar-Motor klingt wie ein dänischer Fischkutter und bringt die „Aeolus“ aus der Box. Mit dem Besansegel kann man das Boot steuern, das hatte ich auf dem Peter gelernt. Neue Segel, Plotter, UKW- Funkgerät, voll funktionsfähige Bordelektrik, Pütt un Pann … Es gibt sogar eine Toilette mit verschließbarer Tür.
Wink des Schicksals
Bei aller Begeisterung: So ein Boot kaufst du nicht vom Fleck weg, etwas Bedenkzeit muss sein. Die Angetraute – nicht segelbegeistert, höchstens mitsegelnd – sollte auch noch ihr OK geben. Ist es die richtige Entscheidung? Reicht uns der Wohnkomfort eines größeren Jollenkreuzers? Eigentlich sollte es doch mindestens eine 6-KR-Yacht sein.
Liegeplatz Sommer wie Winter, Versicherung, alles will organisiert sein – das Budget für die H-Jolle reicht da nicht mehr aus. Es ist eine Entscheidung für die nächsten zehn Jahre, mindestens. Aeolus ist eine Yacht, die vom Voreigner mit viel Eigenarbeit und einem nicht unerheblichen finanziellen Einsatz aus einem Beinahe-Wrack zu einem segelnden Schmuckstück verwandelt worden war. Das gilt es zu bewahren, erste Witterungs-Spuren sind trotz Vollpersenning schon sichtbar.

Dann kam das German-Classic-Wochenende. Ich hatte eine Heuer auf einer englischen 7-KR-Yacht aus den 1960ern. Der Eigner kam erst spät, so verbrachte ich den Tag an Bord und schwimmend in Arnis, bis die Whats App von einer Freundin kam: „Wir liegen hier mit Mingary und Peter von Seestermühe in Kappeln bei der Stapelfeldt Werft und grillen, komm doch rüber.“ Der alte Willy Stapelfeldt ist bekannt für klassischen Holzbootsbau.
Vor einigen Jahren hat er das Ruder an Jo Vierbaum übergeben. Die Werft ist die letzte einer ganzen Reihe von Bootswerften Richtung Maasholm. Dort gibt es einen Steg voller klassischer Schönheiten. „Hast du eventuell einen Liegeplatz für Aeolus?“ Jo lächelt: „Wenn du sie kaufst, finden wir schon ein Plätzchen.“
Sie würde sich wirklich gut machen in diesem Ambiente und bis Schleimünde sind es nur drei Seemeilen. Ich habe an dem Abend viel positiven Input bekommen. So reift der Gedanke zum Entschluss. Die Stimmung mit den Crews der „Großen“ ist fantastisch, hier möchte ich gerne dazugehören als Skipper mit eigenem Klassiker.
Nägel mit Köpfen
An dem Abend habe ich den Eigner angerufen und Aeolus gekauft. 10,40 Meter (mit Bugsprit) lang und 2,35 Meter breit, die kleine A&R Yawl von 1923. In zwei Jahren feiern wir die 100, einen Winterliegeplatz bei Niels Engel in Arnis haben wir auch schon. In Niels altem Bahnhof liegen nur Klassiker. Hier darf jeder Eigner an seinem Boot arbeiten, wie er will. Viele kommen von weit her und mieten sich übers Wochenende ein.
Wenn die Arbeit nach einem Profi verlangt, legt Bootsbaumeister und Gutachter Engel selber Hand an und setzt es auf die Rechnung. Eine tolle Gemeinschaft, wo jeder jedem hilft und alle gemeinsam Kaffee trinken. Auch wenn die großen Baustellen auf der Aeolus vor 13 Jahren abgearbeitet wurden, bleibt genug zu tun, um ihren guten Zustand zu erhalten.
Blitzlichter und Gin Tonic
Der alte Eigner freut sich, einen neuen Liebhaber für seine Herzensdame gefunden zu haben, er hätte sie nicht jedem anvertraut. Seine „First Lady“ möchte gerne etwas bequemer reisen – auf einem GFK-Klassiker, einer Hallberg Rassy 35 aus den 80ern. Ein kleiner Batzen Geld wechselt den Besitzer, die Versicherung wird klargemacht, Aeolus darf noch bis Saison-Ende bei den Marinefliegern in der Plüschow-Bucht liegen bleiben.
Und dann der Auftakt zur Kieler Woche im Herbst, Rendezvous der Klassiker. Am Abend kommen die großen Geschwister Mingary und Peter in die Bucht. „Komm doch zu uns ins Päckchen.“ Damit hatte ich nicht gerechnet, was für ein Gefühl, wir waren aufgenommen in dieser Gruppe von Bootsbauern und Klassik-Enthusiasten.
Am Morgen dann die erste Fahrt zum Start vor dem alten Olympia-Hafen. Wir sind in der Gruppe der Folkeboote und kleinen Kreuzer. Zwei bis drei Windstärken, Aeolus lässt sich trotz des langen Kiels fast wie eine Jolle steuern. Bloß nicht übermütig werden, aber wir segeln ja schließlich Regatta, leider nur die kleine Bahn auf der Innenförde und nach 2 1/2 Stunden sind wir schon durch.
Unterwegs gab es Besuch von Fotografen-Booten, alle bewundern das schöne Schiffchen – endlich wieder in der Szene angekommen. Im Millionärsbecken vor dem ehrwürdigen Kieler Yacht-Club sind wir eher eine kleine Nummer. Aber zur Premiere kommen viele Freunde, die mit Gin Tonics verköstigt werden.

Für den zweiten Platz in der Gruppe gibt es einen Strander Beutel mit fair gehandeltem Kaffee aus einer lokalen Rösterei. Wegen Corona gab es keine Preisverleihung an Land, die Preise wurden per Ruderboot überbracht – Premiere geglückt.
Herrlicher Oldtimer, glänzende Zukunft
Jetzt sitzt der stolze neue Eigner und Autor ganz alleine an Bord und lässt die aufregenden letzten Wochen Revue passieren. Vor allem folgt die Bestandsaufnahme. Der Voreigner steht zwar hilfreich zur Seite, aber es gibt noch ein paar Baustellen und vor allem ein paar Ideen, um das Boot meinen Bedürfnissen anzupassen. Die Wochenenden bis Mitte Oktober sind verplant, dann geht Aeolus ins Winterlager.

Im nächsten Frühjahr kommt der rituelle Namenswechsel: Herta III soll sie heißen, Aeolus klebt zwar schon fast 70 Jahre am Spiegel, ist aber nicht der Taufname, der Auftraggeber nannte sie Hai. Wir werden den Windgott und seinen Kollegen im Meer schon besänftigen. Und dann stehen herrliche Touren auf Schlei und Ostsee und natürlich die Teilnahme an den FKY-Events an. Wer weiß, vielleicht schaffen wir es ja sogar mal zum Holzboot-Treffen in Risör.