Boris Herrmann befindet sich nach 26 Tagen aktuell auf Position 8 im Southern Ocean bei der Vendée Globe. Die letzte Woche hatte es in sich, mehrere Segler hatten Kollisionen und mussten aussteigen. Boris Herrmann hat im Moment Probleme mit seinen Hydrogeneratoren, die ihn mit Strom versorgen. Heute Morgen sprach er von Bord der SeaExplorer in seinem wöchentlichen Ocean-Videocall mit Journalisten.
Boris, wie ist die aktuelle Situation im Southern Ocean?
Im Moment haben wir schwierigen Seegang, die Wellen sind sehr hackig und kurz und ständig wechseln die Windbedingungen. Es ist kaum möglich, eine durchschnittliche Geschwindigkeit zu fahren.
Ich darf für meine Hydrogeneratoren, die Propeller, die den Strom erzeugen, nicht schneller als 26 Knoten fahren. Gestern hatte ich mehrere Momente, in denen ich 28 Knoten schnell war. Plötzlich riss einer der Generatoren ab. Ich habe ihn reingeholt und bin weitergefahren. Als ich in der Koje lag, hörte ich ein komisches Geräusch. Es war der zweite, der auch abgerissen war, auch ihn konnte ich bergen. Ich habe mit dem Team gesprochen und wir haben schon eine Idee, wie ich es reparieren kann. Aber erst brauche ich ruhige Bedingungen, im Moment ist es zu gefährlich. Tagsüber versorgen mich die Solarpanele und nachts nutze ich die Dieselmaschine, um Strom zu erzeugen.
Wie geht’s dir körperlich?
Eigentlich noch ganz gut, die Hände tun ein bisschen weh. Es sind harte Bedingungen, meine Güte! Verdammt noch mal, ich bin froh, wenn ich wieder zu Hause bin.
Wie kommst du mit der Wettersituation zurecht?
Der indische Ozean ist dafür berüchtigt, eine kurze, hackige See zu haben, der Pazifik sollte besser werden. Man braucht sehr viel innere Kraft und Geduld, um sich immer wieder zu sagen: Jaja, morgen wird’s schon besser sein. Ich komme ganz gut damit klar. Schlimmer kann es ja auch kaum werden. Die See ist so zerhackt, das habe ich so noch nicht erlebt.
Musst du dich sehr bremsen, um nicht schneller zu segeln?
Ich verliere nicht gerne Meilen, heute Morgen habe ich schon wieder 40 verloren. Das geht nicht spurlos an mir vorüber. Wenn ich mir überlege, wie wir uns krummgelegt haben vier Jahre lang, um ein schnelles Boot zu bauen …
Wie nimmst du die Vendée Globe nach fast vier Wochen wahr?
Natürlich verändert sich die Wahrnehmung vom Rennen über die Zeit, auch mit den Ausfällen. Es stellt sich eine gewisse Demut und eine große Hoffnung ein. Ich möchte unbedingt ankommen. Heil hier durchkommen.
Die Regatta ist mir wichtig, aber sie tritt zuweilen in den Hintergrund. Ich will nichts aufs Spiel setzen. So habe ich die Foils im Moment komplett eingezogen. Ich segle nur mit dem Vorsegel J3. Das J2 kann ich wegen des defekten Reißverschlusses nicht einsetzen, das ist wahrscheinlich der Hauptgrund, warum ich gerade langsamer bin als die anderen. Aber in vier Tagen kommt eine Leichtwindzone, dann müsste ich das alles instand setzen können.
Wie hast du die Rettungsaktion verarbeitet?
Ich habe es zumindest hinter mir gelassen. Mich beschäftigen meine eigenen Geschicke wieder mehr: Wie komme ich durch den Tag, wie mit meiner Stimmung zurecht, mit meinem Schlaf? Wie macht sich mein Boot?
Die Rettung von Kevin Escoffier hat mich bis gestern stark beschäftigt, ich habe auch noch mal eine Träne verdrückt. Die Sache war einfach auf Messers Schneide.
Bekommst du den Medienhype um dich und die Vendée Globe mit oder befindest du dich im Segel-Tunnel?
So richtig spüren tut man das hier nicht, aber man bekommt ein positives Feedback und das hilft.
Ich bin auch nicht im Tunnel, weil ich sehr auf die Außenwelt bezogen bin. Ich bin kein Eigenbrötler und fühle mich manchmal einsam. Dann kommuniziere ich mit Freunden, die mich aufbauen.
Gerade wird Oscar viel diskutiert. Hattest du schon eine Kollisionswarnung durch das System?
Ja, tatsächlich. Oscar funktioniert anscheinend. Es kam eine Warnung bei mittleren Windbedingungen. Ich habe nachgeschaut und sah einen Fender im Wasser. Die Kollisionen von Sam und Sébastien können auch welche mit Walen gewesen sein. Da kann Oscar nicht helfen, weil es nicht unter Wasser gucken kann. Dafür haben wir den Walpinger am Kiel der SeaExplorer installiert.
Was ist deine wesentliche Beschäftigung im Moment?
Meine Segeleinstellung ist fast maximal gefiert auf diesem Kurs. Ich kontrolliere also vor allem die Autopilot-Einstellung auf dem Computer im Browser. Ich habe noch eine Fernbedienung für den Autopiloten neben der Koje, damit kann ich den Kurs auch regulieren. Mein Blick liegt fast ständig auf den Screens. Ich frage mich immer wieder: Wie mache ich es jetzt? Viel beschäftigt mich auch die Wetterananlyse.
Zwischendurch bremse ich regelmäßig ab, indem ich abfalle. Mit Wind von hinten fährt das Boot langsam und ich habe keine Gischt an Deck. Dann kann ich alles kontrollieren.
In den letzten zwölf Stunden hatte ich alleine drei Sonnenschüsse, wenn das Boot eine ausscherende Bewegung macht, weil der Segeldruck zu hoch ist. Dann muss ich das Großsegel ganz fieren und wieder dichthalten. Das ist ein ziemlicher Kraftakt. Vor allem sind diese Manöver nicht genussvoll und wir wollen das Rennen ja auch genießen. Wenn das Boot stampft und schlägt, unterschneidet und in die Welle reinfährt, leide ich mit dem Schiff. Ich habe große Sehnsucht nach einer langen Welle. Einfach nach schöneren Bedingungen.
Alles kostet Kraft. Sich etwas zu essen zu machen kostet viel Energie. Allein sich im Boot zu bewegen ist anstrengend.
Wie belohnst du dich nach so harten Tagen?
Ich habe auf meinem Telefon WhatsApp und da bekomme ich Nachrichten oder höre die Stimmen von Freunden in ihren Voicemeldungen. Die mache ich mir dann zum Essen an.
Gab es schon brenzlige Momente?
Gestern hat es mich nachts einmal richtig erwischt: Da ist das Boot plötzlich in einen Surf gestartet. Nach dem Problem mit dem Hydrogenerator hatte ich das Boot mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit um die 25 Knoten einreguliert. Dann hat es mich erwischt. Das Boot beschleunigte auf 30 Knoten und hörte nicht auf.
Irgendwann war das Speedometer bei 38 Knoten! Mit dieser hohen Geschwindigkeit ist das Schiff in die nächste Welle gedonnert. Da hatte ich natürlich Angst, dass dabei etwas kaputt geht. Alle Alarme gingen an. Meine Computertastatur, die ich auf dem Schoß hatte, ist zehn Meter weit ins Vorschiff geflogen. So stark war die Beschleunigung und das Abbremsen. Natürlich ist das Boot dann aus dem Ruder gelaufen und ich musste das Groß auffieren. Deshalb bin ich hier im Moment so stockend langsam unterwegs.
Was sagst du zu dem vielen Bruch auf den Booten? Ist das mehr geworden? Wie schätzt du die Situation ein?
Wir sind noch nicht bei der üblichen Quote von Ausfällen bei einer Vendée Globe. Die liegt bei einer durchschnittlichen Ausfallquote von 47 Prozent und über die Jahre hinweg zwischen 30 bis 60 Prozent.
Im Einzelfall ist man sehr bedrückt. Es sind sehr schwierige Ereignisse und jeder Fall ist singulär. Es ist viel Pech. Ich selbst fühle mich ganz solide im Rennen und bin sicher, dass ich ankomme. Toi, toi, toi.
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